Siegen. Auch für Siegen ist extremes Hochwasser eine realistische Bedrohung. Politik und Verwaltung arbeiten an Konzepten, um dafür gewappnet zu sein.

Nach den katastrophalen Überschwemmungen im Ahrtal setzt sich die Stadt Siegen intensiv mit der Bedrohung durch Hochwasser auseinander. In einer gemeinsamen Sondersitzung des Ausschusses für Umwelt, Klima und Energie und des Bauausschusses gab die Verwaltung einen Überblick über den aktuellen Sachstand zu diversen Teilaspekten und diskutierte mit der Politik das weitere Vorgehen. Die Herausforderungen sind sehr komplex: Denn das Ausmaß extremer Wetterlagen und die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens sind kaum berechenbar.

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Klar ist nur, dass die Gefahr besteht. Dass ein Fluss wie die Ahr derartig anschwillt wie im vergangenen Juli und dermaßen verheerende Schäden anrichtet, „hätte ich nie vermutet“, sagte Matthias Ebertz, Leiter der Feuerwehr Siegen. „Wir haben da alle ganz viel lernen müssen. Der Klimawandel bringt solche Lagen hervor.“ Und entsprechend könnte, auch wenn solche Wetterphänomene aus topgrafischen Gründen für gewöhnlich an Siegen vorbeizögen (wir berichteten), irgendwann auch die heimische Region betroffen sein.

Siegen: Gerade von kleineren Flüssen geht größere Hochwassergefahr aus

Vor allem die kleinen Flüsse, die in die Sieg münden, seien dabei im Blick zu behalten. Hochwasser, das durch Fließgewässer verursacht wird, kündige sich dabei immerhin in der Regel noch mit einem gewissen Vorlauf an – aufgrund von steigenden Pegelständen flussaufwärts. Das erfordere aber eine ausreichende Zahl von Messstellen. Die Sieg zum Beispiel hat im Stadtgebiet gerade einmal zwei: Eine in Weidenau nahe des Hallenbads, eine in Niederschelden. In der Vergangenheit, daran erinnerte der Feuerwehrchef, seien Überschwemmungen in der Innenstadt mit einer gewissen Regelmäßigkeit vorgekommen – so habe der Gerichtsparkplatz häufiger unter Wasser gestanden.

Bis zu einem gewissen Grad ist Hochwasser in der Sieg in bestimmten Situationen normal – hier etwa nach einem Unwetter im Januar 2018. Seit dem Rückbau der Wehre sind damit allerdings keine Überschwemmungen mehr von Teilen der Innenstadt verbunden.
Bis zu einem gewissen Grad ist Hochwasser in der Sieg in bestimmten Situationen normal – hier etwa nach einem Unwetter im Januar 2018. Seit dem Rückbau der Wehre sind damit allerdings keine Überschwemmungen mehr von Teilen der Innenstadt verbunden. © Hendrik Schulz

Seit dem Rückbau der Wehre geschehe dererlei im Normalfall nicht mehr. Sollte jedoch ein HQ100 auftreten – so die Abkürzung für ein Hochwasser, wie es ein Mal in 100 Jahren vorkommt – wäre auch der Gerichtsparkplatz wieder geflutet, ebenso die Neuen Ufer, wie Stephan Roth, Technischer Betriebsleiter des auch für Gewässer zuständigen Entsorgungsbetriebs der Stadt Siegen (ESi), erläuterte. Zum massiven Problem wird aber viel eher die Weiß, die im Falle eines HQ100 Teile des Häutebachwegs unter Wasser setzen würde. Und bei einem „HQextrem“ – der potenzierten Version eines „HQ100“ – würde es noch deutlich ärger.

Siegen: Forschungsprojekt zeigt die bei Starkregen besonders gefährdeten Flächen auf

Gefahr, das machte Stephan Roth klar, geht aber nicht nur von den Flüssen aus, sondern auch von den Niederschlägen an sich. 2016 startete ESi zusammen mit dem Forschungsinstitut Wasser und Umwelt der Uni Siegen das Projekt „SiSSi“: „Simulation von Starkniederschlägen im Stadtgebiet Siegen“. Dafür wurde über die gesamte Stadt ein Raster mit Punkten im Abstand von 50 Zentimetern gelegt, um anhand der topographischen Daten, die jedem dieser Punkte zugeordnet sind, vorhersagen zu können, wie sich extreme Regenfälle in der Fläche bewegen, welche Wege sie nehmen, in welchen Mulden sie sich sammeln und welche Gebäude und Bereiche besonders gefährdet sind – auch völlig unabhängig von den Flüssen.

Entsiegelung

Nicht einig wurden sich die Ausschüsse über einen Antrag der Grünen. Die Verwaltung sollte beauftragt werden, alle Plätze und Flächen in der Stadt auf die Möglichkeit zur Entsiegelung zu prüfen. Der Bauausschuss war mit knapper Mehrheit dafür, der Umweltausschuss mit knapper Mehrheit dagegen. Der Haupt- und Finanzausschuss muss nun entscheiden.

Mittlerweile ist dank der Ergebnisse zwar bekannt, wo das Wasser entlangrauschen würde; das Ausmaß – Wasserstände, Fließgeschwindigkeiten – lässt sich aber nicht voraussagen, wie Stephan Roth einräumte; denn nach Angaben der Uni sei wegen des engen Rasters der Detailgrad so hoch, dass die verfügbare Rechenleistung (noch) nicht ausreiche, um die Daten zu verarbeiten. Dieser Punkt stieß bei vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Ausschusssitzung auf wenig bis kein Verständnis, weil sich nicht klären ließ, ob lediglich die Siegener Forscher nicht auf die erforderlichen Rechenkapazitäten Zugriff hätten – oder ob heutige Computersysteme generell damit überfordert seien.

Hochwasserrisiko in Siegen: Gefahrenpunkte möglichst genau ermitteln

Wertvolle Erkenntnisgewinne habe das Projekt dennoch geliefert, unterstrich Stephan Roth – weil schon das Wissen um die Fließwege hilfreich sei. Auch, wenn vielleicht nicht das Ausmaß zu prognostizieren sei, dass eine Wassermenge entlang eines bestimmten Weges oder in einer Mulde – einem Innenhof etwa – erreiche, so sei zumindest ersichtlich, welche Stellen besonders gefährdet seien. Und das dies so gut gelinge, sei einzig dem 50-Zentimeter-Raster geschuldet – in vergleichbaren Modellen anderer Städte sei dieses Netz sonst in Fünf-Meter-Schritten gesteckt, und die Resultate damit weit unpräziser.

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„Nach dem Hochwasser im Ahrtal sind von einzelnen Bürgerinnen und Bürgern Fragen zu ihrem Grundstück an ESi und an die Stadt herangetragen worden“, berichtete Bürgermeister Steffen Mues. Wer Interesse habe, könne sich nach wie vor an den Entsorgungsbetrieb wenden. Die Daten ins Internet zu stellen, sei derzeit jedoch nicht geplant, wie Stephen Roth anmerkte. Grund: Sie seien nicht ohne Weiteres selbsterklärend, individuelle Erläuterungen also ratsam.

Stadt Siegen plant Bauprojekte mit Blick auf das Hochwasserrisiko

SiSSi offenbare „potenzielle Gefahrenpunkte“, sagte Stadtbaurat Henrik Schumann. „Damit können wir in der Stadtplanung sehr gut arbeiten.“ Beispielsweise sei die Uni, die in der Innenstadt innerhalb des Projekts Siegen – Wissen verbindet den Bau mehrerer Gebäude und eine Umgestaltung der Weiß-Ufer plant, über Besonderheiten informiert worden. Die Lage an der Weiß, das betonte der Stadtbaurat, werde durch das Projekt sogar entschärft. Zwar würden Gebäude am Siegzufluss entstehen, diesem werde aber ein hochwassersicherer Ausbau zuteil – ausgerichtet zumindest auf ein HQ100. Die Uni erkenne dies als Notwendigkeit an. Denn naheliegenderweise besteht dort kein Interesse daran, vermeidbare Flutschäden zu riskieren.

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Die Stadt berücksichtige schon heute bei allen neuen Bauvorhaben Aspekte der „Schwammstadt“. Die UWG hatte beantragt, dieses Konzept, bei dem dezentral Flächen und Einrichtungen geschaffen werden, die große Wassermengen aufnehmen und speichern können, zur Grundlage allen Handels zu machen – zog den Antrag aber zurück, da die Verwaltung eine solche Herangehensweise ohnehin schon anwendet und weiterhin zusagte.

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