Eiserfeld. Mit einem Trip in die Vergangenheit will Juwelier Linschmann das Einkaufserlebnis umkrempeln. So funktioniert’s, wenn der Handel neue Wege geht.

Tische und Stühle sind wie in der klassischen us-amerikanischen Milchbar. Rechts eine hölzerne Theke, links eine Jukebox, die Wände pink und türkis gestrichen; vor der Sitzbank am hinteren Ende des Raums ein kleiner Nierentisch mit rot-weiß-gestreifter Platte. Doch in dieser Nachbildung eines American Diners aus den 1950er Jahren geht es nicht um Burger und Milchshakes, sondern um Trauringe und Schmuck, dezent ausgestellt in Metallvitrinen in den Ecken. Juwelier Linschmann eröffnet den besonderen Verkaufsraum unter dem Namen „Linschmann’s Flashback“ offiziell am Donnerstag, um mit dem nostalgischen Flair einem modernen Publikum außergewöhnliche Einkaufserlebnisse zu ermöglichen.

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Mehrere Faktoren sind zusammengekommen, erklärt Axel Linschmann das Konzept. 2018 übernahm er das Juweliergeschäft, das sein Vater Walter 1969 an der Eiserntalstraße gegründet hat und das damit einer der ältesten inhabergeführten Läden im Siegener Süden ist. „Wir wollen unseren Besuchern, Gästen, Kunden etwas Besonderes bieten, etwas Einzigartiges“, sagt Axel Linschmann. Solche Sätze führen viele Geschäftsleute auf den Lippen; aber mit dem Separee in der ersten Etage, dass wie eine Art begehbare Zeitkapsel wirkt, machen die Linschmanns Ernst. Und dieser Ernst macht richtig Spaß, auch und gerade dem Chef und seiner Ehefrau Amanda.

Das Trauringsofa ist von einem Bogen aus rosa, weiß und türkis angemalten Schallplatten eingerahmt. „Linschmann’s Flachsback“, der Raum im Stil der 50er Jahre, soll nicht nur besondere Atmosphäre beim Einkauf bieten: Er taugt auch als Fotolocation.
Das Trauringsofa ist von einem Bogen aus rosa, weiß und türkis angemalten Schallplatten eingerahmt. „Linschmann’s Flachsback“, der Raum im Stil der 50er Jahre, soll nicht nur besondere Atmosphäre beim Einkauf bieten: Er taugt auch als Fotolocation. © WP | Florian Adam

Siegen: Juwelier Linschmann schärft das Profil – Kombination aus Schmuck und Liebe

„Wir haben seit jeher einen Hang zum Look der 50er Jahre. Und wir wollten immer etwas in dieser Richtung machen“, betont Axel Linschmann. Wegen einer Sortimentsumstellung wurde der Raum in der oberen Etage frei. Bis vor relativ kurzer Zeit waren noch Armbanduhren und Edel-Geschirr wesentlicher Teil des Portfolios. Beides ist inzwischen aus dem Programm genommen. Solche Entscheidungen seien nicht immer einfach, merkt Axel Linschmann an – er ist selbst Uhrenfan. Aber während der Coronajahre hätten sie sich gefragt, „wohin sich der Markt bewegt“.

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Ihr Rezept für die Zukunft: „Profil schärfen. Das, was man macht, auf den Punkt bringen. Du musst Deine Sache richtig gut machen, um am Markt bestehen zu können.“ Und die Linschmann’sche Sache, da war er sich mit seiner Frau einig, ist die Kombination aus Schmuck und Liebe: Trau- und Verlobungsringe und besondere Stücke mit hohem emotionalen Wert, die der Kunde oder die Kundin nicht einfach nur in Empfang nehmen, sondern in einem besonderen räumlichen und menschlichen Ambiente aussuchen. „Diese Emotionalität kann das Internet nicht transportieren.“

Den 50er-Jahre-Phonoschrank haben Amanda und Axel Linschmann an der Straße gefunden und vor der Entsorgung bewahrt. Aufgearbeitet hat das authentische Möbelstück nun einen Platz im Fifties-Room des Juweliergeschäfts.
Den 50er-Jahre-Phonoschrank haben Amanda und Axel Linschmann an der Straße gefunden und vor der Entsorgung bewahrt. Aufgearbeitet hat das authentische Möbelstück nun einen Platz im Fifties-Room des Juweliergeschäfts. © WP | Florian Adam

Siegen: „Linschmann’s Flashback“ taugt auch als 1950er-Fotolocation für Paare

Einen eigenen Raum mit so viel Aufwand und Liebe zum Detail herzurichten, nur um dann relativ wenig Ware darin auszustellen, könnte man etwas verrückt finden. Oder auch hochgradig vernünftig, weil es genau dem Rechnung trägt, was Fachleute seit Jahren predigen, wenn es darum geht, wie der stationäre Einzelhandel sich gegenüber der Online-Konkurrenz behaupten kann.

„Linschmann’s Flashback“

Gefeiert wird die offizielle Eröffnung von „Linschmann’s Flashback“ am Donnerstag, 23. Juni, mit einem Event. Wegen der nach wie vor anhaltenden Pandemie musste die Zahl der Gäste allerdings begrenzt werden.

Ein sichtbares – und stilechtes – Zeichen der Eröffnung gibt es aber auch vor dem Gebäude zu sehen: Dort werden am Donnerstag ein roter Chevy-Pick-up, ein Cadillac und ein Ford Thunderbird aus den 50er Jahren ausgestellt sein.

„Linschmann’s Flashback“ sei doppeldeutig zu verstehen, erklärt Amanda Linschmann. Einerseits gehe es um den Fifties-Flashback, andererseits auch darum, dass nach den Einschränkungen in Folge der Pandemie wieder mehr Dinge erlaubt sind.

Wer den Raum im ersten Stock sehen mag, kann einfach in den Laden kommen und danach fragen. Im ersten Stock werden übrigens nicht nur Paare auf Ringsuche beraten, sondern alle Leute, die das möchten.

Das Sofa mit dem Nierentischchen davor, umringt von einem Bogen aus weiß, pink und türkis gestrichenen Schallplatten und gekrönt von einem pinken Neonröhrenschriftzug „#bestweddingever“ („beste Hochzeit aller Zeiten“) etwa ist nicht irgendein Möbelstück, „sondern das Sofa, auf dem unsere Trauringpaare ,Ja’ zu ihren Ringen sagen“, erläutert Amanda Linschmann. Es gehe nicht nur um den formalen Akt des Erwerbs, sondern „um mehr Erlebnis, darum, zu feiern, was man tut. Dafür geht man ja in den Einzelhandel: um eine schöne zu Zeit haben.“ Der Raum bietet sich auch gleich noch als Fotolocation an. Hier sollen Erinnerungen an besondere Momente entstehen.

Voll retro – doch zeitlos chic: Neon-Werbelampen weisen den Weg zu „Linschmann’s Flashback“ in der oberen Etage des Geschäftes.
Voll retro – doch zeitlos chic: Neon-Werbelampen weisen den Weg zu „Linschmann’s Flashback“ in der oberen Etage des Geschäftes. © WP | Florian Adam

Siegen: Amanda und Axel Linschmann haben ein Faible für die 1950er

Das klingt in der Theorie vielleicht etwas hochtrabend, wirkt in der Praxis – wenn man in dem Raum steht – aber höchst plausibel. Das Inhaber-Ehepaar entwickelte den Fifties-Faible unabhängig voneinander schon, bevor beide sich kannten. Amanda Linschmann ist US-Amerikanerin und lebt seit 2006 in Deutschland. „Ich hatte immer eine Vorliebe für Petticoats. Ich sammele sogar alte Nähanleitungen.“ Doch es ist definitiv nicht nur die Mode, die sie an dieser Ära so fasziniert. „Es war die Zeit nach dem Krieg, in der alles aufwärtsging. Die Menschen wollten wieder mehr machen, etwas erleben, die Welt durfte bunt sein – eine Zeit des Aufbaus, in der die Leute wieder leben durften.“ Und auch für ihren Mann macht genau dieses Lebensgefühl – selbst wenn diese Sicht etwas idealisiert sei – den Reiz aus: „Man verbindet etwas Besonderes mit dieser Zeit.“

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Von dieser persönlichen Begeisterung profitiert der neu gestaltete Raum spürbar. Die Ausstattung ist weitestgehend alt und stammt oft aus den Privatbeständen des Ehepaars. Die Musikbox zum Beispiel gab es bei Ebay-Kleinanzeigen, den Original 50er-Jahre-Phonoschrank „haben wir von der Straße geholt“, erzählt Amanda und lacht – das gute Stück wollte jemand entsorgen, nun hat es – aufbereitet – einen Ehrenplatz. Die Möbel und Accessoires haben Geschichte, das Zimmer ist eine Leidenschaft, keine Reißbrettkonstruktion. „Wir haben jahrelang gesammelt. Wir haben das nicht vor 14 Tagen zusammengekauft“, betont Axel Linschmann.

Schallplatten griffbereit auf dem Phonoschrank: Da werden Erinnerungen wach; erstaunlicherweise auch bei Leuten, die in den 1950ern (noch) gar nicht dabei waren. Der Flashback-Raum bei Juwelier Linschmann soll das Lebensgefühl der Fifties vermitteln.
Schallplatten griffbereit auf dem Phonoschrank: Da werden Erinnerungen wach; erstaunlicherweise auch bei Leuten, die in den 1950ern (noch) gar nicht dabei waren. Der Flashback-Raum bei Juwelier Linschmann soll das Lebensgefühl der Fifties vermitteln. © WP | Florian Adam

Siegen: Darum kommt die Kundschaft von Juwelier Linschmann aus weitem Umkreis

Ein solches Vorhaben nicht in einer Innenstadtlage, sondern eher in der Peripherie umzusetzen, ist für Axel Linschmann kein Widerspruch, sondern passt ins Gesamtkonzept, „weil die Kunden gezielt zu uns kommen“. Das Geschäft ist online sehr präsent, hat eine aufwendige Website, ist bei Facebook und auf Instagram. Viele Leute würden digital ins Sortiment schauen, bevor sie dann persönlich vorbeikämen: Aus Siegen, Kreuztal, Olpe, auch aus Koblenz oder Köln – nicht nur, weil Linschmann für manche Marken der einzige Händler im weiten Umkreis ist, sondern auch, „weil der Kunde weiß, dass er bei uns was erwarten kann“, sagt Axel Linschmann. „Das ist das beste Zeugnis, das man erhalten kann: Wenn jemand sagt ,Ich komme auf Empfehlung eines Freundes’.“ Bei Linschmann kommt das häufiger vor.

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