Netphen. Die Lage für Netphens Einkaufszentren ist nicht hoffnungslos. Fachleute empfehlen, Chancen zu nutzen und Ideen auszuprobieren.

Die Offenlegung des neuen Einzelhandelskonzeptes wird der Rat in seiner Sitzung am Donnerstag, 23. Juni, beschließen. Der Stadtentwicklungsausschuss hat sich bereits einstimmig dafür ausgesprochen – was nicht heißt, dass das Werk unumstritten wäre. Denn damit kann die Stadt festlegen, dass großflächige Lebensmittel- und Drogeriemärkte nur in Netphen, Dreis-Tiefenbach und Deuz errichtet werden dürfen, großflächige Textil- oder Elektromärkte nur im „Hauptzentrum“ Netphen.

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Als einen „Affront gegenüber den anderen Ortsteilen“ bezeichnete Paul Legge (CDU) die Herausstellung Netphens. „Es gibt kein Oberzentrum Netphen.“ Tatsächlich habe Netphen den kleinsten der drei zentralen Versorgungsbereiche, der meiste Umsatz wird in Dreis-Tiefenbach gemacht. „Warum schließt ein Schuhgeschäft in Toplage? Warum wird Leerstand zu Lagerzwecken umgebaut?“, fragte Legge und forderte, „endlich mal die Realität zu erkennen. Wir können uns abschminken, dass jemals Aldi und Lidl nach Netphen kommen.“ Beide Discountmarkt-Ketten sind in Dreis-Tiefenbach vertreten, Aldi auch in Deuz. „Viel wichtiger ist es, dass der öffentliche Nahverkehr ausgebaut wird“, forderte Alfred Oehm (CDU).

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Gudula Böckenholt, Projektleiterin des von der Stadt beauftragten Beratungsunternehmens Cima, stellte das Konzept vor: „Die Ansprüche der Kunden ändern sich, der Handel ist ein bisschen in den Hintergrund getreten.“ Inhabergeführte Geschäfte geben auf, weil sich keine Nachfolger finden. Der Online-Handel bindet Kaufkraft – im Bereich Textilien wandert fast schon jeder zweite Euro ins Netz. Auch in Netphen sei innerhalb der letzten zehn Jahre die Zahl der Geschäfte „enorm“ zurückgegangen, die in der Stadt gehaltene Kaufkraft auf 58 Prozent gesunken. „Im Vergleich zu anderen Städten stehen Sie noch gut da.“ Die Pandemie habe die Veränderung beschleunigt. Viele Kunden kehrten nicht mehr in die Geschäfte zurück. Der bloße „Versorgungseinkauf“ sei Geschichte. „Man sollte Chancen ergreifen. Wenn man Herausforderungen nicht annimmt, wird es nur schwieriger.“

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Die Stadtmitte: Spielhallen und Wettbüros abwehren

Sara Varlemann von Cima verwies auf Wünsche, die in der Befragung von Passanten gesammelt wurden: Bekleidungs- und Schuhgeschäfte werden vermisst, aber auch Gastronomie und ein Aldi-Markt. Gudula Böckenholt riet, den Handel in Netphen-Mitte „mehr auf mittel- und langfristige Güter auszurichten“. Dort empfiehlt das Konzept auch, den zentralen Versorgungsbereich auf das Einkaufszentrum zu konzentrieren und den weiteren Bereich der Lahnstraße bis zur Kronprinzenstraße herauszunehmen. Die Gutachterin riet zum vorsichtigen Umgang mit Leerständen: „Es ist ganz wichtig, dass man Spielhallen und Wettbüros ausschließt.“ Deren Eröffnung führe dazu, „dass sich dort so schnell kein Einzelhandelsbetrieb mehr ansiedelt.“

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„Gestalterisch könnte auf jeden Fall einiges getan werden“, sagte Gudula Böckenholt: Der Hufeisenplatz ist derzeit ausschließlich Parkplatz, die vorhandene Außengastronomie reicht den befragten Bürgern nicht aus. Nur befristet betriebene Pop-Up-Läden, die Einführung von Einkaufsgutscheinen, Feierabendmärkte und ein Lieferservice könnten die Stadtmitte attraktiver machen. Auch jenseits des großen Modehauses „gibt es Angebote, die den Besuch der Innenstadt lohnenswert machen“. Sehr wichtig werde „Click & Collect“ bleiben – das in der Pandemie geübte Online-Bestellen von Waren, die im Laden abgeholt werden. „Das ist hier noch ausbaufähig.“

Bürger können mitmachen

Die Arbeit am Stadtmitte-Rahmenplan geht mit zwei Workshops weiter. Eingeladen sind Bürgerschaft, Einzelhandel, Eigentümer und Gastronomie.

Die Planungswerkstätten finden am Montag, 11. Juli und 8. August, 16 bis 20 Uhr im Rathaus statt. Der Teilnehmerkreis ist beschränkt, die Termine sind nicht öffentlich. Da sie aufeinander aufbauen, sollte an beiden Tagen teilgenommen werden.

Bewerbungen mit Angabe eines Interessensschwerpunkts sind bis 23. Juni möglich: i.rosenthal@netphen.de. Gehen mehr Bewerbungen ein, als Plätze besetzt werden können, entscheidet das Los.

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Viele positive Ansätze für Netphen

Manfred Heinz (SPD) zeigte sich „überrascht“: Die Sachverständigen hätten die Lage des Einzelhandels in Netphen „positiver beurteilt, als wir das gewöhnlich tun“. Die Politik sehe den Handel nämlich eher in einer „Abwärtsspirale“. Zu Unrecht, fand Gudula Böckenholt: „Es gibt viele positive Ansätze.“

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Emotionen, Unterhaltung und Service bieten die Zentren in Netphen allenfalls sparsam, räumte Rüdiger Bradtka (CDU) ein: „Da haben sie hundertprozentig Recht. Aber welche Auswirkungen hat das auf unser Handeln?“ Geschäftsleute, Immobilienbesitzer, Verbraucher und Verwaltung müssten zusammenarbeiten – die jüngst erfolgte „Schatzsuche“, bei der Ideen für einen Rahmenplan für die Stadtmitte gesammelt wurden, sei ein guter Ansatz. Für Netphen bedeute es eine Chance, dass jetzt Rahmenplan und Einzelhandelskonzept parallel erarbeitet werden, pflichtete Annette Scholl (SPD) bei.

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Kälberhof-Einkaufszentrum Deuz: Hier ist Aldi – in Netphen nicht.
Kälberhof-Einkaufszentrum Deuz: Hier ist Aldi – in Netphen nicht. © WR | Steffen Schwab

Die Ortsteile: Die Lieblings-Discounter sind in Dreis-Tiefenbach und Deuz

Warum nur Netphen Hauptzentrum sei, wollte Jörg Roth (UWG) wissen. Menschen aus Deuz würden eher nach Siegen, aus Dreis-Tiefenbach eher nach Weidenau fahren – „aber Dreis-Tiefenbacher haben überhaupt keine Beweggründe, nach Netphen zu fahren.“ Vielleicht sei der Unterschied zwischen den drei Netphener Versorgungsbereichen „nicht so stark ausgeprägt“, räumte Gudula Böckenholt ein. Dennoch biete Netphen-Mitte das größere Angebot zum Beispiel mit Optiker, Schmuck-, Feinkost- und Geschenkartikelgeschäften. „Es ist mit der Nähe zur Stadt Siegen verbunden, dass Sie nur begrenzte Handlungsspielräume haben.“ Dazu trügen auch die Berufspendler bei, die in Netphen wohnen, aber auf dem Weg zur oder von der Arbeit Besorgungen in Siegen tätigen.

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In Dreis-Tiefenbach wird der zentrale Versorgungsbereich über das Einkaufszentrum hinaus bis zum Lidl-Markt am Fuße des Dreisbacher Bergs erweitert, in Deuz bis in die Marburger Straße hinein. Für Dreis-Tiefenbach empfiehlt das Gutachten, Erweiterungsmöglichkeiten für den Aldi-Markt vorzusehen, für Deuz eine bessere Anbindung des Kälberhof-Einkaufszentrums an die Kölner Straße. „Die Standorte, die Sie im Moment haben, sind gut“, antwortete Gudula Böckenholz auf die Nachfrage von Lothar Kämpfer (SPD). Die Stadt solle jedenfalls keine Verlagerung des Discounters in Dreis-Tiefenbach anstreben. „Es kann passieren, dass dabei das ganze Zentrum kaputt geht.“

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