Siegen. Mit einer Siegener Fassung von Beethovens „Fidelio“ tritt das „Musiktheater Kiew im Exil“ bundesweit an – erzählt für die Menschen von heute.

Der Orchestergraben ist leer, die Stühle sind verwaist, und doch erklingt Musik. Dennoch, trotzdem und trotz allem. „Wir schweigen nicht“, sagt Andrey Maslakov. Der Leiter des „Musiktheaters Kiew im Exil“ kämpft mit in diesem Krieg, der die Welt derzeit in Atem hält. Auf seiner Position, und die heißt: Bühne. Der Regisseur, Produzent und Opernsänger tritt ein für die Freiheit seines Landes. Außer Landes, in Deutschland. Er war mit Beethovens „Fidelio“ in Meiningen, Coburg und Heidelberg zu erleben und will es wieder sein: noch einmal neu und verändert in einer Inszenierung, die am Samstag, 25. Juni, ab 20 Uhr im Apollo-Theater zu sehen ist. Ohne Orchester, aber mit Klavierbegleitung, mit den Gesangsprofis aus Kiew und mit einem in Siegen eigens zusammengestellten kleinen Chor.

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Eigentlich hatte Andrey Maslakov die große Freiheitsoper schon im Beethoven-Jahr in seiner Heimatstadt, der ukrainischen Hauptstadt Kiew, präsentieren wollen. Doch dann wurde 2020 das Coronajahr und die Premiere verschoben. Am 12. Februar 2022 glückte die Uraufführung, keine zwei Wochen später startete die russische Invasion. Plötzlich war Krieg und alles anders.

Andrey Maslakov (r.) und Magnus Reitschuster werben für die Siegener Fassung der Kiewer „Fidelio“-Inszenierung. Sie wird am Samstag, 25. Juni, im Apollo-Theater Siegen erstmals zu sehen sein.
Andrey Maslakov (r.) und Magnus Reitschuster werben für die Siegener Fassung der Kiewer „Fidelio“-Inszenierung. Sie wird am Samstag, 25. Juni, im Apollo-Theater Siegen erstmals zu sehen sein. © Claudia Irle-Utsch

Siegen: „Musiktheater Kiew im Exil“ erzählt „Fidelio“ für ein modernes Publikum

Mit einem hohen ideellen und organisatorischen Aufwand hat Maslakov mit Unterstützung des Staatstheaters Meiningen seinen „Fidelio“ nach Deutschland gebracht. Hier eine deutsche Oper zu spielen, das habe es weder zu sowjetischen noch zu ukrainischen Zeiten gegeben. Aus seiner Sicht sei das „ein kulturpolitisches Signal“. Denn, das wird im Gespräch mit dem Regisseur mehr als deutlich, er möchte ungeachtet der politisch so herausfordernden Rahmensituation als Künstler wahrgenommen werden und in der Rezeption, in der Kritik auch bewertet.

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Sein Regietheater erzähle die Geschichten von Verdi, Puccini, Mozart oder eben Beethoven „maximal realistisch“, so Maslakov. „Ich möchte Fragen stellen und sie beantworten, mal symbolisch, mal direkt, aber so, dass sie das Publikum heute verstehen kann.“ Er verstehe das Theater als „tatsächlichen Lebensort“.

Apollo-Theater Siegen: „Musiktheater Kiew im Exil“ übersetzt „Fidelio“ in die Gegenwart

Seine Inszenierungen arbeiten abseits einer überhöhten Intellektualität, sie wollen relevant sein – für die Menschen, und zwar für möglichst alle. Auch deshalb singen Florestan, Pizarro und Leonore in Kiew auf Ukrainisch und in Deutschland auf Deutsch, auch deshalb hat Maslakov die Texte der Beethoven‘schen Librettisten entstaubt und in die Gegenwart gesetzt. Er gibt Zeit und Ort der Handlung ein Setting, das die Despoten von Jetzt im Fokus hat – und am Ende bezwingt.

Zur Person

Der Bassist Andrey Maslakov wurde 1976 in Kiew geboren. Seine musikalische Ausbildung erfolgte von 2001 bis 2009 an der Hochschule für Musik in Augsburg. Seit 2010/11 gehört er zum Ensemble der Ukrainischen Nationaloper Kiew. Im Jahr 2019 hat er in der ukrainischen Hauptstadt das Modern Music Theatre Kiev gegründet. Bei der „Fidelio“-Inszenierung übernimmt er Regie, Licht und Bühnenbild.

Mit dem „Musiktheater Kiew im Exil“ möchte Andrey Maslakov künstlerisch Fuß in Deutschland fassen und damit auch widerständig für sein Land, die Ukraine, eintreten.

Für die Premiere der Siegener „Fidelio“-Fassung gibt es Karten an der Apollo-Theaterkasse, Morleystraße 1, 0271/77 02 77-20. Gäste aus der Ukraine haben freien Eintritt.

Andrey Maslakov hofft, mit seiner tourneefähigen Siegener Fassung des „Fidelio“ bundesweit die Programmplaner von Bespieltheatern gewinnen zu können. Gemeinsam mit dem in Siegen scheidenden Intendanten Magnus Reitschuster präsentiert er sein Projekt in diesen Tagen in Bielefeld bei der Theatermesse INTHEGA. Er hat im Gepäck dort auch einen leichter realisierbaren Lieder- und Arienabend und hofft für sein „Musiktheater Kiew im Exil“ auf Engagements in den Spielzeiten 2022/23/24.

„Fidelio“ im Apollo-Theater Siegen: Regisseur möchte auch an anderen Häuser arbeiten

Darüber hinaus werde er sich an deutschen Häusern als Gastregisseur anbieten. „Es geht ums Überleben“, sagt Andrey Maslakov – und meint, das ist an seiner Regung zu spüren, damit nicht nur das materielle, sondern auch das ganz existenzielle Durchkommen. „Dass man sich nicht verliert …“

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Bis zum 20. Juli gilt die Ausreisegenehmigung für das ukrainische Ensemble. Dann geht es vermutlich zurück: nach Kiew und hier auch an die Nationaloper, die wieder geöffnet hat, wenn auch nur für maximal 300 Menschen, die im Falle eines Bombenalarms im Keller Zuflucht finden könnten. Es wäre zu hoffen, dass Maslakov und seine Leute auch wieder in Kiew spielen können, an einer der Spielstätten seines Modern Music Theatre Kiev. Ein eigenes Haus hat die freie Gruppe nicht – eine Heimat aber schon.

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