Burbach/Siegen. Ein Senior soll auf den Freund seiner Tochter geschossen haben. Er sagt vor Gericht in Siegen: „Ich konnte ja nicht einmal ein Karnickel töten!“

Das Urteil gegen den Rentner (89), der versucht hat, den Lebensgefährten seiner Tochter in einem Burbacher Ortsteil zu töten, ist für den 5. Mai festgelegt worden. Um 14 Uhr will das Schwurgericht unter Leitung von Richterin Elfriede Dreisbach über das Schicksal des Mannes entscheiden.

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Staatsanwalt Giesing hat am Freitag vier Jahre Haft beantragt. Verteidiger Menzel hält zwei Jahre mit Bewährung für ausreichend. Damit seien die erhöhte Haftempfindlichkeit seines Mandanten und dessen Persönlichkeit berücksichtigt, dem Gesetz dennoch genüge getan, betont der Anwalt. Beide gehen dabei von einem minderschweren Fall der versuchten Tötung in Tateinheit mit gefährlicher und einfacher Körperverletzung aus. Wobei sich erstere auf die Schussverletzung und die zweite auf die Schläge bezieht, die der Täter seiner Tochter beim Kampf ums Gewehr versetzte.

Siegen: Angeklagter vor Gericht – „Ich konnte ja nicht einmal ein Karnickel töten!“

Aufgrund der längeren Unterbrechung wird das letzte Wort des Angeklagten erst kurz vor dem Urteil gehört. Der Mann, der die Tat bereits kurz nach der Verhaftung gestanden hatte, hat am Freitag dennoch Gelegenheit gehabt, sich ausführlich zu äußern.

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Er hat sein „langes Leben“ schildern können, von der Geburt als Sohn eines Kommunisten 1932 in Duisburg, der Vater sei im KZ misshandelt worden, über die Übersiedlung ins Siegerland 1938 bis zu seiner Karriere als Maurer nach dem Krieg. Er sei nie bestraft worden, nickt er auf eine Frage der Vorsitzenden, sei in seinem Beruf sehr gut und überall beliebt gewesen: „Nur zuletzt nicht mehr.“ Das sei aber nach dem Geschehen sicher nicht verwunderlich, meint die Vorsitzende.

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Über die Folgen der Tat will er sich keine großen Gedanken gemacht haben, sagt der Angeklagte dem Staatsanwalt. Er habe nur wissen wollen, wer ihn nun vergiften wollte, hätte nur gedroht. Schießen sei nicht seine Absicht gewesen: „Ich konnte ja nicht einmal ein Karnickel töten!“ Aus Sicht des Angeklagten hat sich der Schuss versehentlich gelöst, weil seine Tochter versuchte, ihm die Waffe zu entreißen und „auf mich losstürmte“.

Siegen: „Ich musste sie töten“ soll auf einem Briefumschlag gestanden haben

Einer Polizistin hat er im Anschluss berichtet, an Suizid gedacht zu haben. „Wenn wir später gekommen wären, hätte er sich erschossen“, erinnert sich die Beamtin. Der Angeklagte sei sehr friedlich und umgänglich gewesen. Allerdings habe es immer wieder Phasen gegeben, in denen er von der Vergiftung berichtet hätte, angespannt und mit deutlich lauterer Stimme.

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Psychiater Dr. Bernd Roggenwallner sieht eine gewisse Wahnidee in der Vorstellung, möglicherweise vergiftet worden sein, aber kein dauerhaftes Wahnerleben. Der Gutachter geht von einer hirnorganischen Störung aus, möglicherweise einer beginnenden Demenz, die an jenem 4. November 2021 mitursächlich für den Schuss gewesen sei. Der alte Mann sei unter dem Eindruck des nicht lange zurückliegenden Todes seiner langjährigen Ehefrau gewesen, hätte sich an den Rand gedrängt und zurückgesetzt gefühlt, aus dem Moment heraus gehandelt.

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Der Arzt geht von einer stark verminderten Steuerungs- und damit Schuldfähigkeit aus. Das bewegt Staatsanwalt und Verteidiger zur Annahme eines minderschweren Falles. Wobei der Ankläger die Gefährlichkeit des Geschehens und die Aussagen des alten Mannes, „der muss weg“ sowie auf einem Briefumschlag „ich musste sie töten“, als ernst genug ansieht, die vier Jahre zu beantragen.

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Der Verteidiger hingegen bezieht sich auf die Angaben des Sachverständigen, der die Tat und ihre Umstände als so besonders ansieht, dass die Gefahr einer Wiederholung etwa in einem Altenheim praktisch nicht bestünde. Zumal Dr. Bernd Roggenwallner auch noch von einem Fortschreiten der Demenz und damit verbunden auch einer körperlichen Schwächung ausging. Es müsse auch daran gedacht werden, dass die Lebenszeit seines Mandanten unweigerlich sehr begrenzt sei.

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