Siegen-Wittgenstein. Nach der Corona-Zeit steigt das Verkehrsaufkommen in Siegen-Wittgenstein wieder auf „Normalniveau“ – die Unfallzahlen aber steigen nicht mit.
Das Verkehrsaufkommen hat sich normalisiert: 2020 waren corona- und lockdownbedingt deutlich weniger Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs; inzwischen liegen die Zahlen ungefähr wieder auf „Normalniveau“. Nicht wieder mit angestiegen ist allerdings die Zahl der Verkehrsunfälle und der Verunglückten im Kreis: „Wir stehen so gut da wie seit Langem nicht mehr“, sagt Landrat Andreas Müller als Chef der Kreispolizeibehörde.
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Der Trend gilt für ganz NRW, das zeigt die aktuelle Unfallstatistik für 2021 – innerhalb dieser insgesamt erfreulichen Entwicklung landet Siegen-Wittgenstein bei der sogenannten Unfallhäufung (Unfälle mit Personenschäden bezogen auf 100.000 Einwohner) auf dem dritten Platz. „Das Risiko, an einem Verkehrsunfall mit Personenschaden beteiligt zu sein, liegt bei uns um 32 Prozent niedriger als im Landesvergleich“, sagt Nathalie Paesler, Leiterin der Direktion Verkehr bei der Kreispolizeibehörde. Darauf könne man als Polizei stolz sein – und auch die Bürgerinnen und Bürger, die zu dieser Entwicklung genauso beigetragen hätten, lobt Bernd Scholz, Abteilungsleiter Polizei.
„Poser“-Treffen unter der HTS in Siegen ein Corona-Phänomen – fast verschwunden
Wissenschaftlich erforscht ist das Mobilitätsverhalten der Menschen in Siegen-Wittgenstein für das Jahr 2021 nicht. Dass aber Aspekte wie die Mobilitätswende mit einem weiter steigenden Anteil an Pedelecs im Straßenverkehr oder immer sicherere Fahrzeuge mit einer Vielzahl von Assistenzsystem, die Unfälle verhindern helfen, zumindest zu einer Verbesserung der Sicherheit auf den Straßen beitragen, dürfte unstrittig sein.
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Der Vergleich mit 2020 hinkt dabei ein Stück weit – nicht nur was das Gesamtverkehrsaufkommen angeht, sondern auch Phänomene wie die sogenannten „Poser“-Treffen auf den großen Parkplätzen der HTS. Die seien weniger Szene-Treffen gewesen, so Nathalie Paesler, sondern „eventorientiert“ – wegen der Pandemie waren Kneipen und Discos geschlossen, viele junge Menschen suchten nach sozialen Alternativen. Mit Rücknahme der Schließungen sei das Phänomen fast vollständig verschwunden. Zumal die Treffen immer unattraktiver wurden, je mehr die Polizei den Kontrolldruck erhöhte.
Aktuell erzeugt die Polizei Siegen-Wittgenstein „Flächendruck“: Kontrollen überall
Die Kreispolizeibehörde sei immer dann erfolgreich, wenn man Konzepte auf bestimmte Zielgruppen anwende, sagt Norbert Schellmann, Leiter der Führungsstelle Verkehr. Beispiel Motorradraser: Auch dank gezielter Sonderkontrollen, Ansprachen, Präventionsarbeit, Vernetzung mit den Nachbarkreisen, habe man es geschafft, die Unfallzahlen zu drücken. Ähnliches bei älteren Pedelec-Fahrern: Deren Zahl steige, nicht aber die Zahl der Unfälle in dieser Altersgruppe. Die Polizei hatte hier vermehrt Schulungen und ähnliche Angebote aufgelegt.
Aktuell liegt ein Fokus auf der Geschwindigkeitsüberwachung: „Flächendruck“ erzeugen, „jeder muss überall damit rechnen, kontrolliert zu werden“, so Schellmann. Nicht zuletzt sei es sicher auch der Druck, den die Polizei ausübt und dass die Bußgelder teils empfindlich erhöht wurden; Menschen ändern ihr Verkehrsverhalten.
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Ein Trend zu mehr Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr, wie ihn Innenminister Herbert Reul (CDU) für zumindest einige Bereiche in NRW genannt hatte, lasse sich für Siegen-Wittgenstein nicht ausmachen, sagte der Landrat. Es gebe unangemessenes Verhalten am Steuer, keine Frage, aber dabei handle es sich um Einzelfälle. Das zeige sich unter anderem auch daran, dass zu hohe Geschwindigkeit als Hauptunfallursache Nummer 1 abgelöst wurde von Fehlern beim Abbiegen, Wenden oder Rückwärtsfahren (23 Prozent) – was im Gegensatz zu Tempoverstößen (20 Prozent) niemand absichtlich, sondern fast immer versehentlich verursache.
2021 wieder mehr Unfälle in Siegen-Wittgenstein – aber weniger Unfallopfer
Im Jahr 2021 sind die absoluten Verkehrsunfallzahlen im Vergleich zu den vor Corona-Jahren 2017 bis 2019 deutlich zurückgegangen. Die Zahl der Verunglückten konnte um 12,1 Prozent (-99) gesenkt werden. „Eine nochmalige Senkung der Verunglücktenzahlen trotz gleichzeitiger Steigerung der absoluten Unfallzahlen ist hierbei besonders erfreulich“, so Landrat Andreas Müller. 2021 wurden 136 Menschen schwer und 576 Menschen leicht verletzt. „Das ist der niedrigste Stand der Verletztenzahlen seit 1985,“ so Müller. Bereits 2020 waren Verkehrsunfälle mit Verletzten stark rückläufig, 2021 konnte die Anzahl mit einem Rückgang von 13 % (-83) nochmals deutlich gesenkt werden. Auch die Zahl der Verkehrstoten sank im Vergleich zum Jahr 2020 um 33 % (-3).
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Insgesamt ist die Anzahl der Verkehrsunfälle in 2021 im Vergleich zum Corona-Jahr 2020 mit 8.701 um 4,1 % (361) leicht angestiegen. Nach Landrat Müller kann dieser Anstieg, insbesondere in den Lockerungen der Corona Maßnahmen im Jahr 2021 und einem damit einhergehend gesteigerten Verkehrsaufkommen, begründet sein. Die Verkehrsunfallzahlen der Verkehrsunfallstatistik sind im zweiten Corona-Jahr 2021 in Folge der pandemischen Einschränkungen und einem veränderten Verkehrsaufkommen nur bedingt aussagekräftig. „Dennoch sind die Verkehrsunfallzahlen mit Blick auf 2017 bis 2019 kontinuierlich gesunken, damit kommen wir der ‘Vision-Zero’, keine Toten und Schwerverletzten im Straßenverkehr, einen Schritt näher“.
In Siegen-Wittgenstein 2021 kein tödlicher Motorradunfall
Diese Aussage wird durch die Analyse der Verunglückten in den Verkehrsbeteiligungsarten gestützt: Positiv sind auch die Entwicklungen der Verunglücktenzahlen bei Verkehrsunfällen unter Beteiligung von Motorrädern. Die Verunglücktenzahl des Jahres 2020 (55) ist um 40 % (33) im Jahr 2021 gesunken und erreicht damit den niedrigsten Stand der letzten 10 Jahre. „Erfreulich ist auch, dass 2021 kein tödlicher Motorradunfall verzeichnet wurde“, so Müller. Allerdings gab es eine leichte Zunahme bei den schwerverletzten Motorradunfällen. Hier stieg die Zahl der Verletzten von 16 auf 19 Schwerverletzte.
Weiterhin erfreulich ist der Rückgang der verunglückten Fußgänger seit 2019. So reduzierte sich die Verunglücktenzahl um 9,3 % von 86 im Jahr 2020 auf 78 im Jahr 2021. Diese positive Entwicklung setzt sich auch bei der Anzahl der verunglückten Fahrrad- und Pedelecfahrer fort. So sank die Anzahl der verunglückten Fahrradfahrer um 33 %, rückläufig war ebenso die Anzahl der verunglückten Pedelecfahrer um -1.
Kinder verunglücken in Siegen-Wittgenstein massiv weniger
Auch bei detaillierter Betrachtung der Entwicklungen der Verunglücktenzahlen in den Risikoaltersgruppen sind bis auf eine Altersgruppe die bereits im Vorjahr gesunkenen Zahlen nochmals teilweise massiv rückläufig: So ist in der Altersgruppe der Kinder (bis 14 Jahre) ein Rückgang der Verunglückten um 21 % zu verzeichnen. Hervorzuheben ist, dass kein Kind tödlich verunglückte und die Anzahl der schwerverletzten Kinder um die Hälfte gesunken ist.
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Nachdem im Jahr 2020 die Anzahl der verunglückten Jugendlichen (15-17 Jahre) deutlich gestiegen war, konnte in 2021 wieder ein leichter Rückgang verzeichnet werden. Kein Jugendlicher verunglückte in 2021 tödlich. Die Zahl der insgesamt verunglückten Jungen Erwachsenen (18-24 Jahre) ist im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunken, jedoch ist die Zahl der Schwerverletzten in dieser Altersgruppe leicht angestiegen. Dabei musste ein tödlich verunglückter junger Erwachsener verzeichnet werden. Die Verunglücktenzahlen bei den Senioren (65 Jahre und älter) sinken weiterhin um fast 14 % auf ein 5-Jahrestief von insgesamt 87 Verunglückten. Diese Entwicklung ist besonders erfreulich, da der Bevölkerungsanteil der Senioren im Kreisgebiet steigend ist und mittlerweile bei einem Anteil von 22 % der Einwohnerzahl des Kreises liegt. Trotz dieser positiven Entwicklungen mussten drei tödlich verunglückte Senioren im Jahr 2021 verzeichnet werden.
Geschwindigkeit nicht mehr Nummer 1 der Unfallursachen in Siegen-Wittgenstein
Bei der Betrachtung der Unfallursachen ist festzustellen, dass die Ursache „Abbiegen/Wenden/Rückwärtsfahren“ einen Anteil von 23 % an allen Personenschadensunfällen mit Hauptunfallursachen ausmachte und damit vor der Unfallursache „Geschwindigkeit“ mit 20 % und „Missachtung Vorfahrt/Vorrang“ – ebenfalls 20 % – liegt. Insgesamt ist zu berücksichtigen, dass bei Unfällen mit anderen Ursachen „Geschwindigkeit“ meist nur sehr schwer exakt zu ermitteln ist, wohingegen etwa eine Vorfahrtsverletzung oftmals eindeutig ist. Geschwindigkeitsüberschreitungen in Kombination mit anderem Fehlverhalten erhöhen die Unfallgefahr also deutlich. Insofern bildet die Hauptunfallursache Geschwindigkeit auch weiterhin einen Schwerpunkt in der polizeilichen Verkehrsunfallbekämpfung.
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Die Gesamtzahl der Verkehrsunfälle mit Unfallflüchtigen ging im Vergleich zu den Vorjahren deutlich zurück (10 %). Trotzdem kam es insgesamt im Schnitt vier Mal täglich im Kreisgebiet zu einer Verkehrsunfallflucht. Die Anzahl der Verkehrsunfallfluchten mit Personenschaden ging ebenfalls im Vergleich zum Vorjahr um 13 Fälle (28 %) zurück. Die Aufklärungsquote bei den Verkehrsunfallfluchten konnte im Vergleich zum Vorjahr nicht gesteigert werden. Voraussetzung für die erfolgreiche Ermittlung von Verkehrsunfallflüchtigen ist eine sofortige Meldung bei der Polizei, das Vorhandensein von Spuren und sachdienlichen Hinweisen. Bei einer verspäteten Anzeigenerstattung durch die Unfallopfer oder einer Anzeigenerstattung abseits des Tatortes gehen wertvolle Ermittlungsansätze verloren und erschweren die Ermittlungsarbeit maßgeblich.