Siegen. Alles hängt mit allem zusammen. Hier sind Fragen und Antworten zur Siegener Schul-Diskussion.

Der Schulausschuss wird im Mai Beschlüsse fassen – entweder über die Errichtung einer vierten Gesamtschule oder über andere Veränderungen in der Schullandschaft. „Sie kommen nicht um Entscheidungen herum“, sagte Schuldezernent Andree Schmidt dem Gremium am Dienstag. Der Zuschauerraum im Gläsersaal war gut gefüllt, immer mehr Stuhlreihen mussten aufgestellt werden. Die Kollegien der beiden Realschulen und der Hauptschule waren aufgeschreckt.

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Theresa Pflogsch (Grüne) sprach „im Namen der Oppositionsparteien“ (Grüne, UWG, GfS, FDP, Linke und Volt) und zeigte sich verärgert: Während CDU und SPD im Bild gewesen seien, hätten die anderen Fraktionen erst am Mittwoch „aus der Presse“ erfahren, welche These die Verwaltung vorzutragen gedachte, dass es in Siegen künftig nur noch ein zweigliedriges Schulsystem mit drei Gymnasien und vier Gesamtschulen geben wird. „Wir kritisieren massiv, dass wir von der Information so ausgeschlossen wurden.“ „Da ist was dran“, räumte Joachim Pfeifer (SPD) ein.

Andree Schmidt räumte ein, dass es eine Woche vor der Sitzung die reguläre Besprechung mit den Schulleitungen gegeben habe, in der er auch das Ergebnis des „Gesamtschul-Prüfauftrags“ skizziert habe. So hätten das auch die Schulaufsichten der betroffenen Schulen gewünscht.

Anmeldezahlen

Sechs Kinder sind für die nächste Klasse 5 der Hauptschule Achenbach angemeldet. Die Realschulen haben 73 (Oberes Schloss) und 39 Anmeldungen (Morgenröthe). Ans Löhrtor-Gymnasium wollen 114 Fünftklässler, ans FJM 95, auf die Morgenröthe 86. Damit bekommt das FJM ein Kapazitätsproblem. Ohne eine vierte 5. Klasse werden Absagen fällig.

Dass aus einer solchen Runde Informationen weitergetragen würden, „lässt sich nicht ausschließen“, sagte Schmidt und nahm Bezug auf die Berichterstattung in dieser Zeitung: „Das läuft dann oft über die Medien – wir haben aber auch keine Geheimnisse.“ Im Schulausschuss legte der Dezernent die aktuelle Situation dar: Die Nachfrage nach Gesamtschulplätzen sei „erheblich“, Kinder aus dem Umland „nehmen Siegener Kindern die Plätze weg.“ Die Schulsysteme seien „ungleich ausgelastet“, insgesamt bestehe – bei steigenden Kinderzahlen – Schulraummangel. „Wir müssen endlich mal den Durchbruch schaffen.“

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Holger Engelbert, Leiter der Realschule Auf der Morgenröthe, warnte vor „Schnellschüssen“. „Es ist wichtig, dass wir miteinander ins Gespräch kommen“, sagte Christoph Henrichs, Leiter der Achenbacher Hauptschule. „Mich haben Sie nicht überzeugt“, erwiderte Angelika Flohren (SPD) auf die Plädoyers der beiden Schulleiter – anders als Peter Stahl (CDU): Die Frage, ob für eine vierte Gesamtschule drei andere Schulen aufgegeben werden sollen, sei für seine Fraktion nicht beantwortet: „Wir werden uns jetzt mit den Schulen unterhalten.“ Kevin Lee Hörnberger (FDP) zeigte wenig Neigung, dem von der Verwaltung nahegelegten Kurs zu folgen: „Jetzt muss mal wieder die Politik das Heft in die Hand nehmen.“

Die Realschule Am Oberen Schloss ist als Talentschule Teil eines Schulversuchs.
Die Realschule Am Oberen Schloss ist als Talentschule Teil eines Schulversuchs. © Realschule Am Oberen Schloss | Realschule Am Oberen Schloss

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.„Die politische und öffentliche Diskussion muss geführt werden“, sagte Schuldezernent Andree Schmidt im Schulausschuss und sprach von einem „immer noch offenen Prozess“. Wenn sich bei den nun folgenden Beratungen ein Konsens in der Politik abzeichne, werde eine Entscheidung im Mai fallen können, sagte Schulausschussvorsitzender Florian Kraft (Grüne). „Sonst später.“ Dann, so der Schuldezernent, werde die vierte Gesamtschule aber nicht mehr schon zum Schuljahr 2023/24 errichtet werden können

Fragen und Antworten zur vierten Gesamtschule für Siegen

Vorerst gibt es vor allem Fragen:

Warum soll überhaupt an der Siegener Schullandschaft geschraubt werden?

Schuldezernent Andree Schmidt nennt eine Reihe von Argumenten: die hohe Nachfrage nach Gesamtschulplätzen – „Sie werden nicht um die Grundsatzentscheidung herumkommen, ob man dem zahlenmäßig größten Bedarf Rechnung tragen will“. Dann der Zustrom aus Nachbarkommunen zu den Siegener Gesamtschulen: „Im Grunde machen wir die regionale Schulentwicklungsplanung.“ Schließlich Inklusion und Integration: Diese Aufgaben seien nicht gleichmäßig auf die Schulformen verteilt. Ebenso ungleichmäßig sei die Auslastung der einzelnen Schulen – unter dem Strich mit einem Schulraummangel für die ganze Stadt. Mit dem Beschluss, das Peter-Paul-Rubens-Gymnasium auslaufen zu lassen, verringere die Stadt gymnasiale Überkapazität – „zu spät“, sagte Andree Schmidt. Die Aufgabe des PPR hätte schon zeitgleich mit der Errichtung der dritten Gesamtschule Auf dem Schießberg im Jahr 2016 beschlossen werden müssen. Die Siegener Schulleitungen hätten das gefordert. „Aber die Politik hat das nicht entschieden.“

Gesamtschulen

Noch nicht abgeschlossen ist das Anmeldeverfahren an den Gesamtschulen. Am Ende der Anmeldezeit wurden 345 Kinder aufgenommen und 91 abgewiesen, darunter 17 aus Nachbarkommunen. Es gab noch freie Plätze auf den Schießberg und für noch nicht angemeldete Inklusionskinder reservierte Plätze. Nicht genannt wurden die Wohnorte der auswärtigen Schüler.

Was haben die Gymnasien mit der Entscheidung zu tun?

Auch ohne das Peter-Paul-Rubens-Gymnasium geht die Rechnung im aktuellen Anmeldeverfahren nicht auf. Während die Realschule Auf der Morgenröthe bisher erst 39 von 50 mindestens benötigten Anmeldungen hat, läuft das Fürst-Johann-Moritz-Gymnasium über: Für 81 Plätze in drei Klassen gibt es 95 Anmeldungen. Die Stadt bemüht sich nun um die Genehmigung der Schulaufsicht bei der Bezirksregierung, dass dort eine vierte 5. Klasse gebildet werden darf – sonst müssen dort und auch an den anderen Gymnasien Kinder abgewiesen werden. Eigentlich ist Siegen auf zehn Gymnasial-Züge begrenzt, das wäre dann der elfte. Nur vorübergehend darf das Löhrtor eine vierte, die Morgenröthe eine dritte 5. Klasse bilden – auf Dauer reicht der Platz nicht.

Holger Engelbert, Leiter der Realschule Auf der Morgenröthe, verwies im Schulausschuss auf einen unerwünschten Effekt, wenn es in Siegen nur noch Gesamtschulen und Gymnasien gibt: „Im nach­hinein müssten die Gymnasien alle aufnehmen, die an den Gesamtschulen keinen Platz finden.“

Was spricht für den Erhalt von Realschulen und Hauptschule?

„Gut, dass es sie gibt“, sagte Holger Engelbert, Leiter der Realschule Auf der Morgenröthe, über die drei Schulen, die zusammen immerhin auch 150 Schüler pro Jahr aufnähmen. An den Gesamtschulen würden nicht so viele Siegener Kinder abgewiesen, dass für sie eine neue Gesamtschule errichtet werden könnte. Die, die dort keinen Platz gefunden hätten und zur Realschule gekommen seien, „sind im nachhinein recht glücklich, dass sie da sind“. Engelbert forderte, auch den Willen der Eltern an Haupt. und Realschulen zu berücksichtigen.

Genau 58 Siegener Kinder fänden am Ende an keiner der drei Gesamtschulen Platz, rechnete Christoph Henrichs vor, Leiter der Achenbacher Hauptschule. Einige Kinder, die am Giersberg abgelehnt würden, fänden nämlich noch einen Platz auf dem Schießberg. In den gemeldeten „fast 100“ Abweisungen seien auch die Anmeldungen aus Nachbarkommunen mitgezählt. „Aber durch diese Meldungen werden Fakten in den Köpfen geschaffen.“ Christoph Henrichs wies das Bild von der „belasteten“ Hauptschule zurück., Sein Kollegium habe sich bewusst für diese Schulform entschieden, „wir haben Spaß an unserer Arbeit.“ Die Schule sei personell gut ausgestattet, die Klassen seien klein. „Wir sind uns bewusst, dass wir die schwierigsten Schüler mit den größten Herausforderungen beschulen. Wir machen das gern.“ Allein vier Gruppen mit Deutsch als Zweitsprache wurden gebildet, 38 Kinder nehmen am gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung teil, 30 sind in der „Beruf-und-Schule-Klasse“ mit zwei Praktikumstagen in der Woche, acht in der Jugendwerkstatt. Zwei Sozialarbeiter „haben jeden Tag die Ohren voll – ich bezweifle, ob das große Systeme leisten können.“ 18 der insgesamt 281 Schüler waren auch schon einmal an einer Gesamtschule – sie sind zur Hauptschule gewechselt. „Das Rad setzt sich jetzt in Bewegung“, warnte Christoph Henrichs, „wenn es einmal ans Laufen kommt, kann man es schlecht noch aufhalten.“

Und was dagegen?

Die Verwaltung hält neben dem Rosterberg als Hauptstandort die Achenbacher Schule als Teilstandort der neuen Gesamtschule für die „bestmögliche Lösung“. Für Realschulen und Hauptschule ist die Zahl der Anmeldungen gegenüber dem Vorjahr rückläufig: 112 für die Realschulen statt im Vorjahr 131, sechs für die Hauptschule statt im Vorjahr 17. Die Stadt rechnet aber mit weiteren Anmeldungen an der Hauptschule und auch an der Morgenröthe-Realschule, sodass auch dort 5. Klassen gebildet werden können

Was ist mit den Kindern aus den Umlandkommunen?

Weil außer Siegen nur Kreuztal und Freudenberg Gesamtschulen haben, kann die Stadt Kinder aus den anderen Nachbargemeinden an den Gesamtschulen nicht von vornherein ablehnen – auch dann nicht, wenn stattdessen Siegener Kinder keinen Platz bekommen. Bei den Gymnasien ist das anders: Der Rat hat beschlossen, dass Kinder aus Kommunen mit eigenen Gymnasien abgelehnt werden, wenn der Platz für Siegener Kinder nicht ausreicht. Das könnte – siehe oben – am FJM passieren. „Dann träte ein Domino-Effekt ein", erklärt Andree Schmidt auf Nachfrage dieser Zeitung. Den am FJM nicht aufgenommenen Siegener Kindern müssten an anderen Gymnasien Plätze angeboten werden, die wiederum von anderen auswärtigen Kindern freizumachen wären. Bis zu 34 von 58 an Gymnasien angemeldeten auswärtigen Kinder, die in Kreuztal, Hilchenbach, Netphen, Wilnsdorf oder im Nachbarkreis Altenkirchen wohnen, wären davon betroffen.

Warum werden die gymnasialen Oberstufen zum Problem?

Mit einer vierten Gesamtschule gäbe es im Stadtgebiet acht, nach Schließung des PPR sieben gymnasiale Oberstufen. Jeder Jahrgang braucht mindestens 44 Schülerinnen und Schüler. Werner Jüngst, Leiter der Gesamtschule Eiserfeld, machte diese Rechnung auf: Eine kleine gymnasiale Oberstufe mit drei Zügen könnte sechs Leistungskurse anbieten, von denen fünf schon vorgegeben sind. Für das eigene Profil bleibe dann nur der sechste Kurs: „Je mehr Schulen wir uns leisten, desto kleiner ist die Vielfalt. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.“ Womöglich werden dann mehr Kooperationen erforderlich, wie sie jetzt schon die Oberstufen von Löhrtor, PPR und Morgenröthe praktizieren, räumte Schuldezernent Andree Schmidt ein. „Die Situation spitzt sich zu.“ Ob denn die Schließung noch eines weiteren Gymnasiums geplant sei, fragte Samuel Wittenburg (Volt). „Das Thema spielt bei uns keine Rolle“, antwortete Andree Schmidt.

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