Siegen-Wittgenstein. Teilhabemanager der Caritas zieht Bilanz: Zusammenarbeit mit der Kreisverwaltung bei Integration von Geflüchteten war eine „Einbahnstraße“.

Junge Menschen, Ausländer, Aufenthalt in Deutschland geduldet oder gestattet in Arbeit zu bringen – schwierig. Auch, weil sich dieses Ziel ganz erheblich damit beißt, dass diese Menschen nicht selten „vollziehbar ausreisepflichtig“ sind, wie es im Behördendeutsch heißt – dass sie abgeschoben werden sollen. Manuel Raichle, Teilhabemanagement des Caritasverbands Siegen-Wittgenstein, hat der Kreissozialpolitik jetzt die Arbeit der zurückliegenden zwei Jahre und die damit verbundenen Probleme dargelegt. Grundsätzlich sei das inzwischen ausgelaufene Projekt Teilhabemanagement vielversprechend: „Von denen, die zu mir kamen, konnte ich 80 Prozent helfen“, so der Sozialarbeiter.

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Die Aufgabe: Integrieren bei drohender Abschiebung

Etwa 400 Personen umfasst die Zielgruppe des Teilhabemanagements. Schon ihre Erfassung sei schwierig gewesen, „wir wussten nicht, wer sie sind“, sagte Raichle über die Anfänge des 2019 gestarteten Projekts. Abschiebepflichtig hin oder her: Oft genug mache der Datenschutz dabei einen Strich durch die Rechnung, wenn es darum ging, Listen potenzieller Klienten abarbeiten zu können. Aufsuchende Arbeit habe sich wegen Corona schwierig gestaltet.

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Zulässige Angebote für Qualifikation und Beschäftigung gebe es für diese Personen wenig bis gar nicht, so Raichle. Als Teilhabemanagement könne man diese Klienten so gut es geht beraten und in Kontakt mit den staatlichen Strukturen bringen, Hürden abbauen, um der Zielgruppe den Zugang zum Arbeitsmarkt zumindest zu erleichtern. Sie bräuchten Sprachkenntnisse, Berufsorientierung und -begleitung, um den Integrationsschritt Ausbildung/Arbeit nachhaltig vollziehen zu können, erläuterte Raichle. Konkret: eine begonnene Ausbildung auch tatsächlich zu beenden. Denn der Abbruch einer Lehre kommt oft vor, so der Teilhabemanager – zum Nachteil der Betroffenen, was ihren Aufenthaltsstatus betrifft.

Selbst wenn es klappt: Nachhaltige Strukturen würden fehlen. Zukunftsperspektiven zu erarbeiten sei schwierig, wenn Unterstützungsprojekte auslaufen – wie das Teilhabemanagement selbst zum Beispiel.

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Der Konflikt: Unvereinbare Sichtweisen, gegensätzliche Ziele

Grundlegendes Problem seien staatlich angelegte, aber voneinander abweichende Ziele. Raichle: „Da sind Konflikte vorprogrammiert.“ Die eine Stelle soll die jungen Männer integrieren und sie in Arbeit vermitteln, während eine andere sie abschieben soll. Inhaltlich sei die Kreisausländerbehörde gebunden an die Orientierung am Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BMI). Mit dem Teilhabemanagement sowie „Durchstarten“ in Ausbildung und Arbeit“ wollten die NRW-Ministerien für Arbeit und Flüchtlinge genau die Zielgruppe in Ausbildung und Arbeit bringen, die ja eigentlich vollziehbar ausreisepflichtig ist. Das gesamte Projekt ist also im Grunde darauf ausgelegt, dass solche regionalen Konflikte entstehen. Das bestätigte auch Caritas-Vorstand Matthias Vitt.

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Die Zusammenarbeit mit der Kreisausländerbehörde sei eine kommunikative Einbahnstraße gewesen, berichtet Raichle, beide Seiten hätten bislang unvereinbare Sichtweisen auf Duldung; Ausreisepflicht und Arbeitsmarktintegration stünden gegeneinander, was letztlich den Erfolg verhindere.

Das sei womöglich historisch so gewachsen und politisch, wenn vielleicht nicht gewollt, so doch zumindest hingenommen. Zum Beispiel müssten seine Klienten der Kreisausländerbehörde Identitätsdokumente bringen, um eine Arbeitserlaubnis erhalten zu können. Sie haben aber oft kein Vertrauen in die Behörde, sie fürchten ihre Abschiebung – um die es zu diesem Zeitpunkt gar nicht geht. In der Folge geht dann bei der Behörde das Vertrauen verloren, dass die Dokumente tatsächlich noch gebracht werden – eine Abwärtsspirale.

Aktionen am Samstag und am Montag

Ein Fall, bei dem dieses Problem Öffentlichkeit erfährt, ist der von Karen Agayan aus Netphen (wir berichteten). Der junge Armenier, Vater eines Kindes, ist rechtlich abschiebepflichtig, kann in Deutschland nicht arbeiten. Ganz ähnlich ist der Fall von Elvin Muradi aus Aue-Wingeshausen, der gebürtig aus Aserbaidschan kommt.

An einem Infostand am Samstag, 22. Januar, ab 10 Uhr auf der Siegbrücke in Siegen soll über die Betroffenen und ihre Familien informiert werden, außerdem werden Unterschriften für eine bereits gestartete Petition gesammelt.

Eine Kundgebung, die das Bleiberecht für beide Männer fordert, findet Montag, 24. Januar, ab 11 Uhr vor dem Kreishaus an der Koblenzer Straße in Siegen statt.

Die Lösung: Jetzt kommt das „Integrationsmanagement“

Die soll durchbrochen werden. Das Land möchte eine Haltungsänderung in den Ausländerbehörden herbeiführen. Das „Kommunale Integrationsmanagement“ (KIM) löst das Teilhabemanagement ab, über eine längere Laufzeit, und soll der Behörde mit diesem Ziel beigeordnet werden. Aus den Erfahrungen der zwei Jahre will man lernen, Vertrauen statt Druck aufbauen, die Ausländerbehörde zur „Willkommensbehörde“ machen, Perspektiven schaffen und aufzeigen. Wenn etwa in einem Leitfaden klipp und klar stehe: „Um eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, brauchst Du...“ würden auch mehr Leute die Dokumente anbringen, die die Behörde ja nun einmal unbedingt braucht, ist Raichle überzeugt.

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Wertschätzende Atmosphäre könne ein weiterer Baustein sein – bislang sei ein persönlicher Kontakt der Klienten zu ihren jeweiligen Sachbearbeitern nicht vorgesehen. Dabei könne der gerade wichtig sei, um wechselseitiges Vertrauen herzustellen, bekräftigt Raichle.

Die Debatte: Abschiebebehörde kann nicht Willkommensbehörde sein

„Ich wünsche mir, dass die Behörde auf diese wertvollen Erfahrungen zurückgreift“, sagte Margit Haas (Grüne) im Kreissozialausschuss, „wir müssen uns überlegen, wie wir Menschen im erwerbsfähigen Alter ins Land und qualifiziert bekommen – wir haben ja gar keine andere Wahl“, spielte sie etwa auf den „eklatanten Pflegefachkraftmangel“ an. Ihr Fraktionskollege Bernd Mäckeler wunderte sich über die kommunikative Einbahnstraße: „Es geht um Menschen, da sollte es doch wohl unter Fachleuten einen Austausch geben?“

Horst Löwenberg, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Siegen-Wittgenstein/Olpe, bezweifelte, dass der Wandel im Amt vollzogen werden könne: „Die Kreisausländerbehörde kann keine Willkommensbehörde sein – sie ist Abschiebebehörde, sie soll das ja gerade umsetzen.“ Das Kommunale Integrationsmanagement gehöre daher nicht dort angesiedelt. Er hoffe auf die neue Bundesregierung, zum Beispiel mit Regelungen zu „Aufenthalt auf Probe“ für die, die seit fünf Jahren in Deutschland leben, ohne straffällig geworden zu sein. Den Zielkonflikt gelte es zu löschen: „Diese Männer könnten ihre Familien ernähren, dürfen es aber nicht“.

Katrin Fey (Linke) kritisierte, dass behördliche Schreiben schon für Ehrenamtliche wie sie selbst schwer zu verstehen seien, die Sprache und System kennen würde. Die Zusammenarbeit sei überdies geprägt von Intransparenz, Beliebigkeit, stets neuen Forderungen. „Ich kann nicht verstehen, warum man nicht wohlwollender agiert“, etwa dass Klienten alle zwei Monate persönlich vorstellig werden müssten – in Ausbildung müssten sie sich immer wieder dafür frei nehmen.

Dezernent Thiemo Rosenthal verwies für die Verwaltung auf das Engagement des Landrates, der mit den Wohlfahrtsverbänden Einzelfälle regelmäßig persönlich bespreche. „Ich kann Einzelfälle verstehen, habe aber auch nach anderen Maßstäben zu handeln“, betonte Rosenthal. Er weise zurück, dass man nicht willens sei, Integration zu betreiben. Kommunikation indes sei sicher eine Aufgabe für die Zukunft.

Für das Jugendamt bestätigt Dezernent Thomas Wüst, dass die Erfahrungen für unbegleitete minderjährige Geflüchtete mit der Ausländerbehörde positiv seien.

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