Siegen-Wittgenstein. 140 Terabyte Datenmaterial wertet die „BAO Tera“ der Polizei Siegen-Wittgenstein aus – die Ermittler suchen und finden neue Spuren auf die Täter.

Die Kreispolizeibehörde hat den Kampf gegen Missbrauch von Kindern und Kinderpornografie im Netz deutlich intensiviert. Mit der neu geschaffenen Ermittlungsstruktur „BAO Tera“ setzt die Polizei mehr Kräfte ein, um Beweismaterial auszuwerten und Täter zu schnappen. „Wenn Erwachsene Kinder und Jugendliche missbrauchen, um eigene sexuelle Fantasien zu befriedigen, sind das Verbrechen, die mit aller Härte verfolgt und bestraft werden müssen“, betont Landrat Andreas Müller als Leiter der Kreispolizeibehörde.

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Bereits kurz nach den schockierenden Missbrauchsfällen von Lügde und Bergisch-Gladbach hatte der Landrat die Zahl der Ermittler in diesem Bereich verdoppelt, zwischenzeitlich sogar fast vervierfacht. Mittlerweile sind mehr als 20 Beschäftigte mit der Auswertung und Aufbereitung des Materials, das im Zuge der Ermittlungen in Fällen von Kinderpornografie anfällt, beschäftigt.

Die Ermittler der Polizei Siegen-Wittgenstein brauchen starke Nerven

Auch vor diesem Hintergrund hat der Landrat die Arbeit der Ermittler in die neue Struktur „BAO Tera“ überführt. BAO steht für „Besondere Aufbauorganisation“, „Tera“ sinnbildlich für eine große Datenmenge. Die BAO besteht aus Personal der Direktion Kriminalitätsbekämpfung und auch aus Beschäftigten aller Bereiche und Direktionen der Kreispolizei. Aufgabe: Alle aufbereiteten Bild- und Videodateien, Chats und Sprachnachrichten aus bis dahin aktuellen Kinder- und Jugendpornografieverfahren sichten und kategorisieren – bislang knapp 140 Terabyte Datenmaterial, eine gewaltige Menge, waren hier bislang sichergestellt worden. Nun werden sie ausgewertet.

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Nachdem die BAO Tera zehn Wochen im Einsatz ist, hat die Kreispolizeibehörde eine erste Bilanz gezogen: Knapp 20 Prozent des Materials wurden bisher ausgewertet, 324 Datenträger aus 71 Verfahren gesichtet. „Für das, was sich die Kolleginnen und Kollegen da zum Teil ansehen müssen, braucht man sehr starke Nerven“, betont Andreas Müller und dankt allen, die sich freiwillig eingebracht haben, um diese Aufklärungsarbeit zu leisten.

Polizei Siegen rechnet mit vierstelliger Täterzahl im Bereich Kinderpornografie

Durch die neuen Erkenntnisse haben sich Hinweise auf weitere Tatverdächtige ergeben: In mindestens 730 Fällen geht es um den Verdacht des Erwerbs, Besitzes und Verschaffens von Kinder- und Jugendpornografie. Die Ermittler gehen am Ende von einer vierstelligen Täterzahl aus. Bislang ergaben sich in neun Fällen Anhaltspunkte für sexuellen Missbrauch. In 16 Fällen wurden Sachverhalte festgestellt, die den Staatsschutz betreffen.

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Die hohe Zahl der Verdächtigen ergibt sich aus der Art der Delikte, erklärt der Leitende Polizeidirektor Bernd Scholz: „Wenn zum Beispiel in WhatsApp-Gruppen mit bis zu 200 Teilnehmern entsprechende Bilder oder Videos geteilt werden, entsteht zunächst ein Tatverdacht gegen alle Mitglieder der Chatgruppe. Wer entsprechende Darstellungen weiterleitet, macht sich strafbar.“ Vielen sei zudem offensichtlich noch immer nicht klar, dass auch der bloße Besitz von Kinder- und Jugendpornografie unter Strafe steht. „Jedes geteilte Bild oder Video, egal ob versendet oder eben auch nur erhalten, dokumentiert einen realen sexuellen Kindesmissbrauch“, so Scholz. In den Ermittlungen geht es dann darum, dem Verdacht des Besitzes oder des Verbreitens nachzugehen.

Auch Kinder und Jugendliche beteiligen sich an Verbreitung von Kinderpornografie

Darüber hinaus hätten sich bislang zum Glück keine Hinweise auf akute Gefahren für Kinder und Jugendliche ergeben, so Scholz – die bisher gefundenen Dateien weisen nicht auf aktuelle Missbrauchshandlungen hin, bei denen sofort eingeschritten werden müsste. Vorrangig geht es eben um Besitz und Verbreitung kinder- und jugendpornografischer Inhalte.

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Leider wurde bei der Auswertung auch deutlich, dass sich auch Kinder und Jugendliche zuweilen an der Verbreitung solcher Inhalte beteiligen. „Oft ist ihnen nicht bewusst, dass beispielsweise hinter einem im Chat verbreiteten Video ein realer sexueller Kindesmissbrauch stehen kann“, sagt Andreas Müller und betont: Solche Videos und Bilder dürfen keinesfalls weitergeleitet werden. Wer sie findet oder erhält, sollte das sofort der Polizei melden und dann löschen. Mitglieder einer Chatgruppe, in der solche Inhalte verbreitet werden, sollten die Gruppe sofort verlassen.

Warnung an die Täter: „Wer glaubt, unentdeckt zu bleiben, irrt sich!“

„Hier werden die Seelen von Kindern zerstört. Es entstehen Traumata, die ein ganzes Leben belasten“, sagt der Landrat. Umso wichtiger sei es, den Tätern ihr grausames Handwerk zu legen und sie zur Rechenschaft zu ziehen. „Wer glaubt, unentdeckt zu bleiben, irrt sich! Niemand darf sich sicher fühlen!“, betont Müller. Man werde allen Hinweisen nachgehen und die vor Gericht bringen, die sich an Kindern und Jugendlichen vergehen – egal ob in der Realität oder im Netz. Seit 1. Juli gelten verschärfte Gesetze: Für Verbreitung, Erwerb oder Besitz kinderpornografischer Inhalte wurden die Strafen deutlich angehoben, die Mehrheit dieser Straftaten wird nun als Verbrechen eingestuft.

Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt ist für Landrat Müller eine zentrale Aufgabe, die intensivierte Bearbeitung solcher Delikte soll dauerhaft in den Polizeialltag integriert werden. Auch das Jugendamt des Kreises werde seine Präventionsarbeit im Kampf gegen sexualisierte Gewalt verstärken: Eine entsprechende Stelle nur für diesen Aufgabenbereich soll geschaffen werden. Der Kreis unterstützt die Ärztliche Beratungsstelle an der DRK-Kinderklinik, spezialisiert auf Kindesmisshandlung, sexuellen Missbrauch, Vernachlässigung.

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„Um junge Menschen vor sexualisiertem Missbrauch zu schützen, will ich alle Möglichkeiten nutzen, die wir haben: Kreispolizeibehörde, Jugendamt, DRK-Kinderklinik, aber auch Einrichtungen wie ‘Mädchen in Not’. Sie alle sind wichtige Bausteine, um dieses Ziel zu erreichen“, so Müller.