Kreuztal. Täter und Opfer zusammengeschlossen auf engstem Raum: Corona hat sexuelle Gewalt in Familien befördert – und die Hilfe schwieriger gemacht.

Die Beratungsstelle für Mädchen in Not ist mehr gefragt denn je. Die Lockdowns haben das Team vor große Herausforderungen gestellt. Das geht aus dem Jahresbericht hervor, den die Sozialpädagoginnen Katharina Heinrich und Melissa Thor jetzt vorgestellt.

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Welche Herausforderungen gab es?

„Die Frage im März 2020 war, wie können wir weiter für unsere Klientinnen und Hilfesuchenden erreichbar bleiben“, erzählt Melissa Thor. „Wir haben uns dann dafür entschieden, unserer Beratungsangebot unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen und Terminabsprachen für Hilfesuchende weiterzuführen.“ Zusätzlich zu den persönlichen oder telefonischen Gesprächsmöglichkeiten sei das Online-Angebot zur Kontaktaufnahme via WhatsApp weiter ausgebaut worden. Denn die meisten Hilfesuchenden leben mit den Tätern unter einem Dach und konnten aufgrund der Lockdown-Bestimmungen zu Hause nicht frei telefonieren.

Schwerpunkte: Siegen, Kreuztal, Hilchenbach

Das Einzugsgebiet der Beratungsstelle für Mädchen in Not umfasst das gesamte Kreisgebiet. Die Städte Siegen mit 30 Gewalttaten gegen Kinder und Jugendlichen, Hilchenbach mit 19 und Kreuztal mit 23 Fällen sind am meisten vertreten.

Aus dem Kreis Olpe haben sich elf Opfer an die Beratungsstelle in Kreuztal gewandt. Die Leiterinnen wünschen sich finanzielle Unterstützung, um auch in Olpe eine Beratungsstelle zu eröffnen. Seit Jahren komme rund ein Zehntel ihrer Fälle aus Olpe.

Wie haben sich die Zahlen verändert?

Im Jahr 2020 haben die Mitarbeiterinnen 117 Fälle betreut und die Betroffenen beraten. 2019 waren es 99 Fälle. 91 der 117 Fälle in der Beratungsstelle waren Neuzugänge,. In sieben Fällen war das Opfer männlich und wurde an andere Stellen vermittelt. Die anderen 110 Gewalttaten richteten sich gegen Mädchen.

Wo liegen die Ursachen?

Zum einem haben sich während des Lockdowns vermehrt Betroffene an die Beratungsstelle gewandt, bei denen die Taten schon einige Jahre zurückliegen. Viele hätten die Zeit im Lockdown genutzt, die Erinnerungen an das Geschehene zuzulassen, so Katharina Heinrich. Zum anderen hätten aufgrund der langen Zeit zu Hause mehr Taten stattgefunden. „Diese Art von Gewalt findet häufig im eigenen Zuhause statt. Während des Lockdowns waren die Opfer über Wochen hinweg mit den Tätern zusammen auf engsten Raum sozusagen eingesperrt“, beschreibt Katharina Heinrich. Dadurch habe sich das Konfliktpotenzial weiter gesteigert. Sexualisierte und psychische oder physische Gewalt hat am häufigsten in der Familie stattgefunden. „Bei den in 2020 beschuldigten Personen handelte es sich in 34 Fällen um Menschen aus dem familiären Umfeld. Bei 34 weiteren Tatbeständen handelt es sich um Täter aus dem sozialen oder institutionellen Umfeld der Opfer“, berichtet Melissa Thor. Lediglich in sechs Fällen sei der Täter als Fremder angegeben worden. Die Gewalttaten wurden zu 72 Prozent von männlichen Personen ausgeführt.

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Welche Altersgruppe ist besonders betroffen?

Junge Menschen im Alter von 11 bis 18 Jahren. In dieser Altersgruppe wurden 63 Personen beraten. Gerade der Anteil der 11 bis 14-Jährigen sei im Vergleich zum letzten Jahr deutlich angewachsen, berichtet Melissa Thor. Er lag 2019 bei 22 und ist 2020 auf 33 Klientinnen gestiegen. Die bis zu 10-Jährigen sind mit 27 Fällen nicht so stark vertreten. „Kinder im jungen Alter können viel leichter von Tätern oder Täterinnen unter Druck gesetzt werden, damit diese sich nicht Dritten anvertrauen. Außerdem verfügen sie meistens noch nicht über die Möglichkeiten, das traumatische Erlebnis zu verbalisieren und sich außerhalb des familiären Rahmens Hilfe zu suchen“, erklärt Katharina Heinrich.

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Wie kann dagegen vorgegangen werden?

Die Lage für die Opfer habe sich auch durch die Schließung der Schulen und Kindergärten verschärft. In der Regel informieren die schulischen Einrichtungen die Beratungsstelle bei Verdachtsmomenten „Daher war es für uns erstaunlich, dass trotz des Wegfalles dieser Institutionen die Zahl der Fälle angestiegen ist“, erklärt Katharina Heinrich. 2020 nahmen vor allem Mütter mit 30 gemeldeten Tatbeständen Erstkontakt zur Beratungsstelle auf. Das Internet und die Nutzung von Social Media sind nach Meinung der Leiterinnen nicht erst seit Corona, aber gerade in Pandemiezeiten ein Gefährdungsfaktor für Jugendliche und Kinder, da die meisten von ihnen im Lockdown sehr viel Zeit im Internet verbracht haben. Melissa Thor: „Kinder wissen meistens nicht, dass die freizügigen Bilder, die sie da geschickt bekommen, schon als Straftat zählen.“ Melissa Thor erachtet es für sinnvoll, wenn Schulen und Eltern sich mehr mit der digitalen Wirklichkeit der Kinder auseinandersetzen. Katharina Heinrich: „Eltern und schulische Einrichtung müssen mehr zur präventive Arbeit betragen, damit Gewalttaten frühzeitig verhindert werden können.“, appelliert . auch von schulischen Einrichtungen und Eltern übernommen werden.

Träger der Beratungsstelle ist der Verein für soziale Arbeit und Kultur Südwestfalen (VAKS) e.V.. Ihren Sitz hat die Beratungsstelle in der Moltkestraße 11 im Kreuztal. Offene Sprechzeiten sind Montag von 13 bis 15, Mittwoch von 9 bis 11 und Donnerstag von 16 bis 18 Uhr. 02732/4133, i

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