Siegen. Vom Lustgarten zum Bürgerpark: Im Buch „Vergangene Fürstenpracht“ erzählt Christian Brachthäuser die Geschichte des Herrengartens in Siegens.
Siegen könnte um eine herausragende Sehenswürdigkeit reicher sein. Doch die Zeit war nicht unbedingt ein Freund der Unterstadt. „Noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts muss der Herrengarten ein barockes Kleinod gewesen sein“, sagt Bibliothekar Christian Brachthäuser. „Ein kunstvoll gestalteter Hofgarten des Unteren Schlosses mit zwei Orangerien, symmetrisch angeordneten Pflanzbeeten, antiken Götterskulpturen und einem eleganten Teehäuschen. Durch eine Fichtenallee war der Herrengarten sogar mit dem Tiergarten am Wellersberg verbunden.“ Der Mitarbeiter des Stadtarchivs zeichnet die Historie des Areals in seinem neuen Buch „Vergangene Fürstenpracht – Die Geschichte des Herrengartens in Siegen nach“ und präsentiert dabei jede Menge spannende Details.
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Derzeit ist die Fläche an den neuen Ufern ein umzäuntes Trümmerfeld. Das 70er-Jahre Geschäftshaus ist abgerissen, um Platz für die Errichtung des „Bürgerparks Herrengarten“ zu schaffen, der spätestens bis Ende 2023 fertig sein soll. Der Zeitpunkt für einen eingehenden Blick zurück ist also ideal gewählt, denn die aktuellen Maßnahmen zur „Umgestaltung des geschichtsträchtigen Terrains zu einer öffentlichen Grünanlage am Siegufer haben den einstigen Lustgarten des Fürsten Johann Moritz zu Nassau-Siegen (1604 bis 1679) wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt“, wie Christian Brachthäuser sagt. Er hat bereits mehr als ein Dutzend Bücher zu geschichtlichen Themen veröffentlicht. Diesmal zeichnet er die historischen Hintergründe des repräsentativen Schlossgartens nach, der sich an einer Stelle befand, an der Passantinnen und Passanten in den vergangenen Jahrzehnten ein solches Schmuckstück wohl nie vermutet hätten.
Siegen: Herrengarten als Ort der Repräsentation und des Amüsements
„Dessen Konzeption war so etwas wie die Quintessenz des Wirkens von Johann Moritz als Global Player, ein Ausdruck seines ausgeprägten Faibles für Orangeriekultur, barockes Gartendesign und antike Gestaltungselemente“, erläutert der Autor. Nach seiner Rückkehr aus Brasilien habe Johann Moritz in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Siegen aktiv in die Landschaftsgestaltung eingegriffen und eine Miniaturausgabe der sagenhaften „Gärten der Hesperiden“ – wunderschöne Orte der griechischen Mythologie – geschaffen: mit blühenden Zitrusgewächsen und antiken Stilelementen.
Dabei ließ er sich auch von gartenarchitektonischen Eindrücken aus den Niederlanden inspirieren. Dort hatte sich Johann Moritz vor seinem Aufbruch nach Südamerika am Hof des Statthalters Friedrich Heinrichs von Oranien (1584 bis 1647) aufgehalten und dessen Palastgärten mit ihren klassizistischen Bauwerken, dekorativen Statuen und mediterranen Gewächsen kennengelernt. „Im Zeitalter des aufkommenden Absolutismus sollte der Siegener Herrengarten zum Amüsement der Hofgesellschaft, aber auch zur Präsentation fürstlicher Herrschertugenden und künstlerischer Extravaganz dienen“, wie Christian Brachthäuser in seiner reich bebilderten Studie erläutert. Der am Ufer der Sieg modellierte Garten sei „eine Symbiose von Machtdemonstration, Selbstinszenierung und landschaftsarchitektonischer Innovationskraft“ gewesen, der das Ansehen von Johann Moritz angesichts der Konkurrenz zur katholischen Verwandtschaft im Oberen Schloss heben und das Renommee Siegens als Residenzstadt nach den Wirren des Dreißigjährigen Kriegs aufwerten sollte.
Herrengarten Siegen: Glanzzeiten mit Orangerien und vergoldeten Statuen
Doch es flossen noch mehr Faktoren in die Gestaltung des Herrengartens in Siegen ein, wie der Bibliothekar und Buchautor herausfand: Beispielsweise die Gartentheorien der italienischen Spätrenaissance, die Johann Moritz als Statthalter des „Großen Kurfürsten“ Friedrich Wilhelm von Brandenburg auch in Kleve ästhetisch anspruchsvoll realisierte, oder sein Bildungsaufenthalt in Kassel von 1616 bis 1619. Hier war der junge Siegener Graf am Hof seines Schwagers Landgraf Moritz „der Gelehrte“ bereits in frühen Jahren mit einem blühenden Schlossgarten in Berührung gekommen, der sogar ein „Pomeranzenhaus“ zur Aufzucht der kälteempfindlichen Zitruspflanzen enthielt. „Es ist daher sicher kein Zufall, dass der niederländische Architekt Maurits Post 1668 einen ersten Entwurf für den Bau einer Orangerie in Siegen schuf, als auch die Fürstengruft errichtet wurde“, sagt Christian Brachthäuser.
Neues an neuen Ufern
Der Kauf des Herrengarten-Gebäudes, dessen Abriss und die Errichtung des „Bürgerparks Herrengarten“ auf dem Gelände werden maßgeblich durch Fördermittel möglich.
Diese konnte die Stadt mobilisieren, da das Vorhaben wegen der unmittelbaren räumlichen Nähe nachträglich noch dem Regionale-Projekt „Siegen – Zu neuen Ufern“ zugerechnet wurde. Die neue Grünanlage entsteht immerhin direkt an den Siegstufen.
Tatsächlich beweise ein Inventar des Herrengartens aus dem Jahr 1817, das von Christian Brachthäuser erstmals überhaupt der Öffentlichkeit präsentiert wird, dass ein Gewächshaus zur Kultivierung botanischer Raritäten und duftender Zitruspflanzen bereits 1669 im Herrengarten existierte. Von aufgestellten vergoldeten Statuen, etwa des Weingottes Bacchus, ist in zeitgenössischen Quellen sogar die Rede.
Siegen: Christian Brachthäuser präsentiert bisher unbekannte Details zum Herrengarten
Das gartenarchitektonische Engagement Johann Moritz’ sei so weit gegangen, dass er als Ratgeber für Wilhelm III. von Oranien in den Niederlanden fungierte. „Durchaus denkbar, dass der Architekt des Siegener Fürsten, eben der bereits erwähnte Maurits Post, auch die Pläne für die Umgestaltung des pittoresken Gartens von Landsitz Soestdijk lieferte“, merkt der Autor an. „Zeitgenössische Darstellungen des Palastgartens von Soestdijk vermitteln vielleicht sogar ein Bild davon, wie auch der Herrengarten in Siegen ausgesehen haben könnte.“
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Unter dem Krönchen wurde 1703 unter Friedrich Wilhelm Adolf Fürst zu Nassau-Siegen (1680 bis 1722) sogar eine zweite Orangerie errichtet, wie historische Dokumente berichten. Doch der ehemalige Landschaftspark im Siegtal hat nicht überdauert. Christian Brachthäuser hat sich auf eine spannende Spurensuche begeben, bislang unbekannte Details zusammengetragen und unveröffentlichte Schriftstücke ausgewertet, „um auch an das traurige Schicksal des Herrengartens zu erinnern“.
Herrengarten Siegen: Alte Parkanlage ging schrittweise verloren
Nach Versteigerung des Interieurs einer Orangerie im Jahr 1783 verschwand der fürstliche Garten des Unteren Schlosses im Zuge der fortschreitenden Urbanisierung Siegens aus dem Stadtbild. Die zerbrochenen antiken Figuren des Herrengartens wurden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ebenso veräußert wie die gusseisernen Treppenstufen mit der Inschrift „JOHANNES MAURITIUS NASSAVIAE PRINCEPS 1669“; der historische Lanzengitterzaun und das steinerne Eingangsportal vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs entfernt.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden ein Knappschaftsgebäude und schließlich ein Ehrenmal für die Marine auf dem historischen Areal errichtet, 1938 das letzte der beiden historischen Gewächshäuser abgebrochen. 1965 folgte der Abriss des ehemaligen „Teehäuschens“ – die Bausubstanz aus vergangener Fürstenzeit war der „modernen“ Stadt und dem Infrastrukturausbau im Wege. An ihre Stelle traten unter anderem ein Parkplatz, eine Tankstelle und das Geschäftshaus, das inzwischen abgerissen ist – „um Siegens Weg zu neuen Ufern gewissermaßen auf den Fundamenten eines barocken Musenorts, eines fürstlichen Gartenidylls neu zu definieren“, so Christian Brachthäuser.
„Vergangene Fürstenpracht“ (ISBN 978-3-96182-106-8) ist im Universi-Verlag Siegen erschienen und zum Preis von 21,00 Euro direkt beim Verlag oder im Buchhandel erhältlich.
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