Siegen. . Christian Brachthäuser forscht in einem neuen Buch zur Bibliothek des Franziskanerklosters Siegen. Die Mönche prägten die Stadt mehr als gedacht.

Der Einfluss der Franziskaner auf Siegen dürfte deutlich größer gewesen sein, als bisher angenommen. Zu diesem Schluss kommt Christian Brachthäuser, Mitarbeiter des Stadtarchivs Siegen, in seinem neuen Buch „Inventarium dero Closterbücher so zu Siegen“. Was die Bestandsliste der alten Klosterbibliothek über die Mönche und ihr Wirken in der Gesellschaft offenbart, erläutert er im Gespräch mit Florian Adam.

Es war einmal ein Franziskanerkloster mitten in Siegen ....

Christian Brachthäuser: Heute ist davon nichts mehr erhalten. Es stand da, wo heute Karstadt steht: Mit Klostergarten und Bibliothek, 1486 gegründet. 1534 wurden die Mönche im Zuge der Reformation des Landes verwiesen. Bisher war die Forschung überwiegend der Meinung, sie hätten auf die Menschen und die Stadt nur wenig bis keinen Einfluss gehabt. Aber sie waren fast ein halbes Jahrhundert hier, sie haben die Gesellschaft mitgeprägt. Es gibt zwar leider nur noch sehr wenige schriftliche Zeugnisse aus dieser Zeit. Anhand der Bücher, die es in der Bibliothek gab, lässt sich aber nachvollziehen, was die Mönche selbst gelesen haben – und was sie auf dieser Grundlage predigten. Darum ist die Inventarliste so spannend.

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Christian Brachthäuser, 44, lebt in Neunkirchen.

Der Bibliothekar arbeitet seit 2007 im Stadtarchiv Siegen. Zuvor war er in der Stadtbibliothek beschäftigt. Er hat mehr als ein Dutzend Bücher zu geschichtlichen Themen geschrieben.

Sein neues Buch „Inventarium dero Closterbücher so zu Siegen“ ist im Ancient Mail Verlag erschienen. Es hat 254 Seiten und ist im Buchhandel und online beim Verlag erhältlich.

Trotzdem hat sich in den fast 500 Jahren seither niemand damit befasst?

Die Forschung ging immer davon aus, dass die Mönche bei ihrem Auszug ihre Bibliothek irgendwie beiseite geschafft haben. Dr. Andreas Bingener erwähnt aber das ,Inventarium dero Closterbücher so zu Siegen’ – daher auch der Titel meines Buches – 1992 im Westfälischen Klosterlexikon: Das Originaldokument liegt heute im Königlich Niederländischen Hausarchiv in Den Haag. Zwei gräfliche Sekretäre haben es am 16. Dezember 1591 im Oberen Schloss angelegt. Dorthin wurden die Bücher aus dem Franziskanerkloster offenbar gebracht. Für 1591 lassen sich noch 85 Bücher nachweisen. Und es ist davon auszugehen, dass das ursprünglich nicht alles gewesen ist, dass es mehr gab. Wenn Sie von so einer Inventarübersicht einer Klosterbibliothek erfahren – da werden Sie als Bibliothekar kribbelig!

Vertraut mit Philosophie und Ethik

Kribbelte es vorher niemanden? 1992 ist ja schon eine Weile her.

Die Quelle war da, aber tatsächlich hat sich offenbar niemand damit auseinandergesetzt. Dabei ist es interessant, sich damit zu befassen, womit sich die Mönche damals beschäftigten und was sie aus den Büchern lernten.

Darauf können Sie anhand der Übersicht Schlüsse ziehen?

Wir haben die Kurztitel und die Autoren, die die gräflichen Sekretäre notierten. Dank der heute digitalisierten Bestände großer Staatsbibliotheken lassen sich viele dieser Bücher einsehen. Ein Ergebnis: Die Wissensgebiete waren viel vielseitiger, als landläufig angenommen. Außer Werken zu Theologie und Kirchengeschichte gab es viel über Philosophie und Ethik. Das waren Bücher von Größen wie Thomas von Aquin, dem heiligen Bonaventura, Vincenz von Beauvais oder Nikolaus von Lyra. Wichtig ist vor allem: Das war keine abgehobene Literatursammlung, mit der sich die Mönche hinter den Mauern beschäftigten. Das war eher – zumindest auch – eine Anleitung, um Menschen volksnah zu erreichen und ihnen Lebenshilfe zu geben.

Wie kamen die Franziskaner Ende des 15. Jahrhunderts überhaupt nach Siegen?

Es war eine Krisenzeit, in vielen Bereichen. Hinzu kam ein aufstrebendes Bürgertum in den Städten. In dieser Situation gab es eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte. Mit der Stiftung eines Klosters der Franziskaner, gerade der Franziskaner der strengen Observanz, konnte der Graf ein Zeichen Richtung Bevölkerung setzen: ,Ich nehme Eure Sorgen und Nöte ernst’.

Volksnah und verständlich

Warum?

Die Amtskirche galt oft als abgehoben und korrumpiert. Die Franziskaner der strengen Observanz aber waren volksnah. Sie predigten so, dass es auch die einfache Frau, der einfache Mann verstehen konnte. Sie waren karitativ tätig, gingen zu den Menschen hin. Und sie lebten selbst ein gottesfürchtige Leben und ein Leben in Demut. Sie machten es vor und konnten es so auch in die Gesellschaft tragen.

Das traf, wenn man sich in der Geschichte umschaut, nicht immer auf alle Vertreter der Kirche zu ....

Gerade deshalb sind die Franziskaner der strengen Observanz von Rom unterstützt worden. Aufgrund der Ideale des Heiligen Franziskus aus dem 13. Jahrhundert von einem Leben in Armut und Demut galten sie als so streng und authentisch, dass sich dank ihres Vorbilds die Bevölkerung vor Ort wieder auf die katholische Lehre konzentrieren konnte.

Aber was den Grafen betrifft: Sicherlich machte ein Kloster in der eigenen Residenzstadt doch auch eine Menge her?

Es war natürlich ein Prestigeobjekt und diente der Repräsentation. Es ging dabei unter anderem um die Frage, wie man seine Residenzstadt aufwerten kann. Aber das Ganze hatte sicher auch eine spirituelle Ebene. Graf Johann V. hat die Mönche 1486 nach Siegen geholt, aber sein Vater, Johann IV., hatte schon 1473 beim Mainzer Erzbischof die Genehmigung eingeholt, ein Franziskanerkloster zu stiften. Er kam wegen anderer Aufgaben nicht mehr dazu. Aber sein Sohn, gerade von einer Wallfahrt ins heilige Land zurückgekehrt, machte es.

Und wieso flogen die Mönche 1534 raus?

Wilhelm der Reiche, Sohn von Johann V., führte das Luthertum ein. Die Franziskaner haben sich offenbar nicht reibungslos in die neue Situation gefügt und sich auf Scharmützel eingelassen.

Impulse für die Stadtgeschichte geben

Und ab vor die Tür! Wo gingen die Mönche hin?

Siegen gehörte zur Kölnischen Ordensprovinz der Franziskaner, vermutlich gingen sie ins Rheinland. Aber wir wissen es nicht. Es gibt keine vollständige Personalliste mehr, übrigens auch keine fürs Klosterinventar.

Was geschah mit dem Gebäude?

Zeitweise war dort die Hohe Schule untergebracht. Ab 1623 war es die Residenz der protestantischen Linie von Nassau-Siegen. Dann kam der Stadtbrand von 1695. 1970 beim Neubau von Neckermann wurde schließlich noch die Krypta beseitigt. Das war der letzte Rest des Franziskanerklosters.

Bei Ihrer Arbeit im Stadtarchiv stoßen Sie auf viele Ansätze, die Sie als Autor – Sie haben mehr als ein Dutzend Bücher zu geschichtlichen Themen geschrieben – aufgreifen könnten. Warum wählten Sie diesmal gerade diesen?

Da läuft viel auf intuitiver Basis. Für mich stellt sich die Frage: ,Ist das ein Thema, das neue Impulse für die Stadtgeschichte geben könnte? Ich versuche immer, neue Ergebnisse zu Tage zu fördern. In diesem Fall zum Beispiel: Die Bedeutung der Franziskaner für Siegen war größer, als bisher vermutet.

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