Siegerland. Im Kirchenkreis Siegen zeigt sich in der Pandemie deutlich, welche Bedeutung Begegnungen in der Kirche haben. Es geht nicht nur um Predigten.

Vielleicht war sie ein Vorgeschmack auf bessere Zeiten: Die Phase, bevor die vierte Welle uns mit Wucht traf. Er erlebte „ein großes Aufatmen darüber, dass Begegnung wieder analog und persönlich möglich ist“, sagt Peter-Thomas Stuberg, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Siegen. Aber es bleibe immer auch „eine Beklommenheit, die sich über die Corona-Monate eingespielt hat“: Unsicherheit, die Frage nach Abständen oder danach, wie man sich begrüßt. „Es ist nicht mehr so wie 2019.“

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Ob es jemals wieder so wird wie in der Zeit vor der Krise – kein Mensch weiß es. Was sich allerdings bereits feststellen lässt: Die Pandemie zeigt auch im religiösen Kontext, was die Digitalisierung alles nicht kann und auch in Zukunft nicht können wird. Natürlich setzten die Gemeinden in den Lockdowns auf digitale Formate, das Streaming von Gottesdiensten etwa. Das sei eine Möglichkeit, aber eine „Einbahnstraße“, sagt der Superintendent – mit einem Sender und vielen Empfängerinnen und Empfängern, die nicht aktiv in Erscheinung treten.

Kirchenkreis Siegen und Corona: Kirchen stehen für Begegnung, Austausch, Kontinuität

Das funktioniert zwar; aber ergiebiger und „mit großem Erfolg“ seien zum Beispiel Gottesdienste als Zoom-Konferenzen gelaufen. „Da sieht man die Menschen, die teilnehmen“, erklärt Peter-Thomas Stuberg. „Und es gibt auch Beteiligungsformen.“ Viele Leute hätten von tollen Erfahrungen mit diesem Format berichtet. „Ein ansehnlicher Ersatz“, sagt der Superintendent. „Aber es kann die Begegnung eben nicht tatsächlich ersetzen. Wir brauchen für den Gottesdienst auch den symbolischen Raum der Kirche, weil Gott hier besonders leicht zu begegnen ist. Das ist anders als im Wohnzimmer oder am Küchentisch.“

Zur Serie „Wie wir uns wiedersehen“

Zuhause bleiben oder doch mit Freunden treffen? Waldspaziergang oder Weihnachtsmarkt? Büro oder Homeoffice? Unser Miteinander hat sich in den letzten anderthalb Jahren verändert – das merken wir jetzt, in der vierten Corona-Welle, wieder besonders. Viele von uns begegnen einander anders, oft vorsichtiger als zuvor.

Manche Arten der Begegnung haben sich durch Corona von Grund auf verändert, andere waren schon dabei, sich zu verändern und Corona hat diesen Prozess weiter beschleunigt. Mit diesen „Begegnungen im Wandel“ befasst sich unsere große Serie „Wie wir uns wiedersehen“.

Alle Serienteile finden Sie gesammelt auf unserer Homepage unter waz.de/nrz.de/wp.de/wr.de/ikz-online.de/begegnungen

Der religiösen Überzeugung nach ist Gott überall – mag sein. Aber eine Kirche ist ein spezieller Ort, wie Peter-Thomas Stuberg unterstreicht. Sie sei ein „Geborgenheitsraum“. Die Gebäude stünden schon aufgrund ihrer oft langen Geschichte zudem für Kontinuität und Verlässlichkeit. Vor allem aber sei sie einer der „Räume für Begegnung und Kommunikation“, ähnlich – wenn auch auf einer anderen inhaltlichen Ebene – wie Diskotheken, Festivals oder Theater. „Eine Theater-Übertragung im Fernsehen ist eher dröge“, präzisiert Peter-Thomas Stuberg den Vergleich. „Aber wenn Leute vor der Bühne sitzen, springt ein Funke über.“ Die speziellen Orte dienten eben nicht nur dem offiziellen Zweck, irgendeinen Inhalt zu rezipieren. „Es geht um das Erzielen eines Einklang-Erlebnisses“, sagt der Theologe. „Alle Menschen werden in derselben Weise angesprochen und es berührt alle gleichermaßen.“ Und zwar: Zur selben Zeit am selben Ort aufgrund der Präsenz.

Kirchenkreis Siegen: Corona verändert Begegnungen auch außerhalb der Gottesdienste

Das betrifft nicht nur die Gläubigen, die dem Gottesdienst folgen, sondern ganz extrem auch die Predigenden. Allein vor der Kamera und leeren Bänken entstehe eine „Retortenatmosphäre“. Ein volles Haus hingegen sei „inspirierend. Man spürt, ob man in Kontakt ist mit den Leuten. Es fließt sowas wie Energie.“ Dies sei in einem Kirchenraum „qualitativ zu erwarten“. Darüber hinaus ist eine Predigt kein Diktat. Die biblischen Geschichten „sprechen elementarste Grundgefühle an“, sagt Peter-Thomas Stuberg. „Es geht um Themen, die wir in der Kirche miteinander betrachten.“ Die Menschen reagierten, vielleicht rege sich auch mal Widerspruch. Das alles gehöre dazu, aber „das hat man allein vor der Kamera nicht“.

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Auch die Begegnungen außerhalb der Kirchen und der Gottesdienste sind von größter Bedeutung. „Mein Eindruck ist: Das ist intensiver geworden. Und bewusster“, sagt Peter-Thomas Stuberg. Viele Menschen würden sich genauer als früher überlegen, welche Besuche sie machen und diese dann um so mehr wertschätzen. Gerade ältere Leute hätten unter den Einschränkungen sehr gelitten. „Einsamkeit macht krank. Und ein Telefonat ersetzt nicht das persönliche Gespräch bei Kaffee und Kuchen. Man braucht das Sich-gegenseitig-Wahrnehmen.“ Das gilt auch für die Pfarrerinnen und Pfarrer. Wer sich für diese Aufgabe entscheide, „sucht den Kontakt zu Menschen, interessiert sich für ihre Geschichten. Darum ist man ja auch Pfarrer geworden. Aber das alles ist im Moment eingeschränkt bis gekappt“, sagt der Superintendent. Das betreffe auch die Hausbesuche und werde insgesamt „schon zu einem Stresstest“.

Siegen: Kirchenkreis will nach der Pandemie das persönliche Miteinander zurückbringen

„Man muss sich wieder unvoreingenommen begegnen können“, betont Peter-Thomas Stuberg mit Blick auf die Zukunft. Die Gemeinden würden überlegen, welche digitalen Formate aus den Lockdowns sie beibehalten oder auch weiterentwickeln. Müsse ein Arbeitskreis zum Beispiel lediglichsimplere Sachfragen klären, sei eine Zoom-Konferenz meist ausreichend. Stünden jedoch Brainstorming, Arbeit an neuen Konzepten oder „Neuland“ an, dann „benötigt man einen Raum des Miteinanders“. Aufgrund all der Prozesse, die sich zwischen Menschen bei der Begegnung von Angesicht zu Angesicht abspielen – Körpersprache, informelle Gespräche am Rande – „springt dabei noch einmal was ganz Anderes raus“.

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Zoom-Gottesdienste „finde ich ein ganz spannendes Format“, sagt Peter-Thomas Stuberg. „Persönliche Resonanz ist aber von zentralem Stellenwert für das, was Begegnung nachhaltig macht. Wir brauchen einander.“

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