Siegen. Vorm Landgericht Siegen musste sich 1987 Ernst August König für Verbrechen als SS-Rottenführer in Auschwitz-Birkenau verantworten. Ein Rückblick.

Das Thema ist grundsätzlich eher nicht für ein Lächeln oder Schmunzeln geeignet. Trotzdem schafft es der Referent immer wieder, sich selbst und sicher auch seinen Zuhörern hier und da ein positives Gefühl der Wärme zu vermitteln. Wenn er etwa den Brief einer Zeugin zitiert, die sich als „kleine, 68-jährige Zigeunerin mit viel Herz“ beschreibt und „in gestochener Handschrift“ erklärt, warum sie nicht in Siegen aussagen kann. Später habe er sie an ihrem Wohnort vernommen und genau die Person vorgefunden, die er sich nach dem Schreiben vorstellten konnte, erinnert sich Wolfgang Münker. Der Vorsitzende Richter am Landgericht a.D. ist nach langer Zeit wieder einmal im Saal 165 des Landgerichts, wo er unzählige Urteile verkündet und auch als Beisitzer an einem Prozess teilgenommen hat, der seinerzeit viel Aufsehen erregte.

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Gemeinsam mit Oberstaatsanwalt a. D. Klemens Mehrer, damals Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft Köln, berichtet Münker in einem Online-Vortrag vom Verfahren gegen Ernst August König, der ab Mai 1987 wegen einer Vielzahl von Tötungsdelikten in den Jahren 1943/44 vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Siegen angeklagt war. Der in Bad Berleburg lebende König hatte als SS-Rottenführer im „Zigeunerlager“ von Auschwitz-Birkenau Angst und Schrecken verbreitet, gehörte zu jenen SS-Leuten, die ganz offensichtlich großen Spaß am Quälen und Töten entwickelten. Die Kammer, die ihn nach fast vier Jahren und insgesamt 179 Verhandlungstagen zu lebenslanger Haft verurteilte, schätzte den Täter als einen ein, der stolz auf seine Position war: „Dem Angeklagten machte es Spaß, sich in der ihm von der SS verliehenen Macht gegenüber den Häftlingen zu sonnen.

Siegen: Landgericht kann Ernst August König Morde in Auschwitz-Birkenau nachweisen

Zunächst geht Klemens Mehrer auf die Anklage und die Person Königs ein, der es in einem normalen Leben wahrscheinlich nie zu einer besonderen gesellschaftlichen Stellung gebracht hätte, in Auschwitz aber in einem Rang gleich einem Obergefreiten Herr über Leben und Tod gewesen sei. König sei 1919 in der Nähe von Auschwitz geboren und zum Wachdienst dort eingezogen worden, weil er es nicht weit nach Hause zum Hof seiner Eltern gehabt hätte. Wo er immer wieder bei der Ernte helfen musste.

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Die Zuhörer des Online-Vortrags im Rahmen der Feierlichkeiten zum 75-jährigen Bestehen des Landes NRW, maximal sind rund 50 virtuell dabei, erfahren, dass drei von sieben Mordanklagen durchgegangen sind, König im Januar 1991 verurteilt wurde, Revision einlegte, gegen den Willen der Kammer vom OVG Hamm in U-Haft genommen wurde und sich später im Jahr das Leben nahm. Schon in seiner Zeit in Auschwitz war es zu einem Suizidversuch gekommen, für den König eine Haftstrafe bekam. Wahrscheinlich wegen Selbstverstümmelung. Die Anklage sei aus den Akten und Aussagen des Frankfurter Auschwitzprozesses erwachsen, erklärt der frühere Oberstaatsanwalt.

Oberstaatsanwalt a.D. Klemens Mehrer (oben) und Vorsitzenden Richter am Landgericht a.D. Wolfgang Münker während des Online-Vortrags.
Oberstaatsanwalt a.D. Klemens Mehrer (oben) und Vorsitzenden Richter am Landgericht a.D. Wolfgang Münker während des Online-Vortrags. © Michael Kunz

Landgericht Siegen: SS-Mann quälte und mordete

Lange Zeit seien die Vorgänge im „Zigeunerlager“ unbearbeitet geblieben, führt Mehrer aus und verweist auf ein bedrückendes Urteil des BGH aus den späten 50er Jahren. Da war Überlebenden bescheinigt worden, sie hätten nicht aus rassischen Gründen dort eingesessen, sondern seien wegen ihrer Gefährlichkeit für die Gesellschaft und ihrem verwahrlosten Dasein in Polizeihaft genommen worden. Entschädigungen hätten die gleichen Juristen abgelehnt, die schon vorher in Amt und Würden gewesen seien.

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Während Klemens Mehrer ansonsten vergleichsweise nüchtern die Anklagen zitiert, die einen Mann zeigen, der keine Skrupel hatte, eine kranke Frau von fast 70 durch das Lager zu prügeln und zu treten, bis sie nicht mehr atmete, der Menschen zum „Sport“ zwang und totschlug, geht Wolfgang Münker in vertraut ausführlicher Weise auf einzelne Aspekte des langen Prozesses ein. Auf die ständige Gefahr eines „Platzens“, weil anders als heute maximal zehn Tage unterbrochen werden durfte. Einmal im Jahr habe es 30 Tage gegeben, „in der dann Berufsrichter und Schöffen ihren Jahresurlaub nehmen mussten“.

Von Siegen um die halbe Welt: Zeugen in den USA, Polen, Kanada und Israel vernommen

Wolfgang Münker erinnert sich an die Auslandsreisen, um Zeugen in den USA, Polen, Kanada oder Israel zu vernehmen. „Keine Lustreisen“, betont er und erzählt von der dienstlichen Tour nach Tel Aviv 1990, als gerade Saddam Hussein mit Giftgasangriffen drohte und er sich eine ABC-Maske von einem befreundeten Reserveoffizier geliehen habe: „Ich wollte nicht, dass Saddam Hussein unseren Prozess platzen lassen kann!“

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Es geht um Aussagen von König und anderen früheren SS-Leuten, die gerade die Sinti und Roma als überwiegend gebildete Menschen beschrieben hätten, Ärzte und Direktoren, „gegen die waren wir kleine Lichter“. Ein anderer Zeuge, der niederländische Ex-Offizier Anton Van Velsen, habe dagegen ausgesagt, diese Häftlinge seien „zu 99 Prozent Analphabeten“ gewesen. „Wir müssen dann vor allem das eine Prozent gehabt haben“, konstatiert der pensionierte Jurist. Nicht nur die eingangs zitierte Zeugin habe einen sehr gebildeten Eindruck hinterlassen. Der Niederländer habe auch davon gesprochen, dass die Blockführer wie König eher harmlos und ungefährlich gewesen seien, „die hatten wir alle bestochen“. Politische Häftlinge wie Van Velsen seien sehr eng vernetzt gewesen, „heute hätten die sicher eine WhatsApp-Gruppe“.

Neugeborene lebten nur kurz – doch starben mit eintätowierter Nummer

Kein Lächeln gibt es bei der Erinnerung daran, dass auch Kinder täglich geboren worden seien in diesem Lager, die als erstes eine Nummer eintätowiert bekommen und dann auch nicht lange gelebt hätten. Oft habe es nur 30 Minuten gedauert, „vom Eintreffen eines Transportes bis zu dem Moment, als die Schornsteine rauchten“. Die Zeugen hätten dies täglich erleben müssen.

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Wolfgang Münker spricht über bekannte Beteiligte wie Hermann Langbein und überhaupt über die Probleme, ausschließlich mit menschlichen Zeugen zu arbeiten, die bekanntlich die schwächsten Beweismittel seien. Auch deshalb hätten am Ende nur drei Morde nachgewiesen werden können. Wobei das andere keine glatten Freisprüche gewesen seien, versichert er und gibt auch noch Einblicke in das Zustandekommen von Urteilen, ohne Einzelheiten aus dem Beratungszimmer zu eröffnen.

Eine Zeugin erwähnt er noch, die einzige, die sich gemeldet habe, um etwas Gutes über König zu sagen. Die Frau aus Bad Berleburg sei auch im Lager gewesen, habe sich über eine schlechte Behandlung durch einen Ältesten beklagt und beim Angeklagten Gehör gefunden. Der habe den Mann zur Strafe so heftig verprügelt, dass er kurz danach gestorben sei. Bis heute rätselt Wolfgang Münker, wo da wohl das Positive gewesen sein könnte. Allerdings habe die Staatsanwaltschaft keine Nachtragsanklage wegen einer weiteren Tötung erhoben.

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