Siegen. Landrat: Rund 85 Prozent der Berechtigten in Siegen-Wittgenstein gegen Corona geimpft. Impfungen für Kinder und „Booster“ stehen an.

Eine Impfdosis musste in acht Monaten weggeworfen werden, eine einzige. 150.000 Spritzen gegen die Coronapandemie wurden seit dem 8. Februar in Eiserfeld gesetzt – die letzte davon am Donnerstag, 30. September. Das Impfzentrum muss schließen. Die Verantwortlichen hätten nicht nur gern weitergemacht, sie sehen auch die Notwendigkeit dazu – aber Erlass ist Erlass.

„Das Impfzentrum ist eine absolute Erfolgsgeschichte“, resümiert Landrat Andreas Müller. Von einer Impfmüdigkeit, vom Stocken der Impfkampagne, von der in den vergangenen Wochen die Rede war, könne in Siegen-Wittgenstein keine Rede sein; im Gegenteil: Lege man statt der absoluten Bevölkerungszahl die Zahl der Impfberechtigten zugrunde – alle Menschen ab 12 Jahren – und addiere man zur „offiziellen“ Impfquote der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) die ungefähre Zahl der Impfungen durch Privat- und Betriebsärzte (die nur direkt ans RKI gemeldet werden), erreiche Siegen-Wittgenstein eine Impfquote von um die 85 Prozent. Wäre die Lage deutschlandweit ähnlich, könne man der anstehenden Herbstwelle deutlich gelassener entgegensehen, sagt Müller.

Danksagungen auf einer Stellwand im Siegener Impfzentrum: Das Team habe enorm viele positive Rückmeldungen erhalten.
Danksagungen auf einer Stellwand im Siegener Impfzentrum: Das Team habe enorm viele positive Rückmeldungen erhalten. © Hendrik Schulz

Der Dank gebühre allen Menschen, die sich haben impfen lassen und das künftig noch tun werden, bekräftigt der Landrat: Für ihre Solidarität im gesellschaftlichen Miteinander, dass sie dazu beitragen, dass es keinen erneuten Lockdown brauche, vor allem an Schulen und Kitas nicht.

Impfteams in Siegen-Wittgenstein viel an Schulen – viele Eltern skeptisch

Denn nicht nur dort geht das Impfen weiter. Die Berufskollegs seien weitgehend durchgeimpft, sagt Christine Domnick, die organisatorische Leiterin des Impfzentrums, auch an den weiterführenden Schulen sei man schon weit. Aber im Unterschied zu den Anfangstagen, als der Kreis den Schulen anbot, speziell für sie Impftermine durchzuführen und das noch eher wenig nachgefragt wurde, sei man derzeit mit den mobilen Impfteams dort sehr stark eingebunden: Es habe sich gezeigt, so Domnick, dass zwar viele Jugendliche bereits geimpft seien, dass aber auch viele Eltern noch sehr skeptisch seien. Das bestätigten auch die Schulleitungen.

+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++

Domnick wird die aufsuchenden mobilen Impfteams künftig koordinieren, die auch weiter in den Stadtteilen präsent sein werden; um noch mehr Menschen zu erreichen, ihnen Sorgen zu nehmen, sie aufzuklären. Denn bei einer angenommen Impfquote von 85 Prozent der Berechtigten gehe es nun darum, die zu überzeugen, die zweifeln. Dass das funktionieren kann, habe sich beispielsweise in der Geisweider Moschee gezeigt, wo man zusammen mit dem Imam große Teile der Gemeinde bewegen konnte, sich die schützende Spritze geben zu lassen. „Jetzt versuchen wir, diese 5 oder 7 Prozent zu erreichen“, sagt Dr. Michael Klock, einer der ärztlichen Leiter des Impfzentrums; in den Praxen und über die mobilen Impfteams.

Am Rekord-Tag 1939 Corona-Schutzimpfungen im Impfzentrum Siegen

Christine Domnick und ihre Stellvertreterin Sabrina Zwirnlein haben also weiter einiges zu tun und dennoch schauen sie durchaus wehmütig auf die vergangenen acht Monate zurück. Monate, in denen sie kaum Urlaub oder Wochenenden hatten, in denen sie – zumindest am Anfang – noch spätabends die in den Seniorenheimen übriggebliebenen Impfdosen überall im Kreisgebiet einsammelten, um in Eiserfeld 70 Feuerwehrleute zu impfen. „Schon komisch heute“, sagt Domnick am letzten Tag.

Das Siegener Impfzentrum in dem früheren Baumarkt war zentral gelegen, nahe der HTS und auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen.
Das Siegener Impfzentrum in dem früheren Baumarkt war zentral gelegen, nahe der HTS und auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen. © Hendrik Schulz

Domnick, die einige ihrer Leute mitunter „Mutti“ nannten und das voller Respekt, erinnert sich an den Tag, an dem 1939 Impfdosen verabreicht wurde und irgendwann der Satz fiel: „Man muss das hier schon sehr wollen.“ Und das könne sie nach acht Monaten bestätigen: Diese „zusammengewürfelte bunte Truppe“ aus 450 Ärzten, 24 Apothekern, 38 Pharmazeutisch-technischen Assistenten, elf Bundeswehrsoldaten, zwei FSJ-lern und 25 Beschäftigten der Kreisverwaltung – „die haben das alle sehr gewollt.“ Das Engagement des Teams, mit dem man an einem Strang gezogen habe, sei unglaublich gewesen, jeder habe weit mehr geleistet als irgendwo festgelegt und auch das stehe sinnbildlich für die gemeinsame Bewältigung der Pandemie.

Im Impfzentrum Siegen wurden 165.000 einzelne Impfungen verabreicht

Das lobt auch Dr. Thomas Gehrke, der andere medizinische Leiter: Das könne dem Team niemand mehr nehmen. Und die gewaltige Arbeit – 165.000 Impfungen wurden verabreicht; das heißt aufgezogen, verabreicht, 165.000 mal aufgeklärt – für die Gesellschaft auch nicht. Er werde nie vergessen, wie in der Anfangsphase eines abends die alten Menschen, begleitet von ihren Kindern, Enkeln, geduldig in der Kälte warteten, um endlich die ersehnte Impfung zu bekommen.

Neben den niedergelassenen Ärzten führen die mobilen Impfteams nun die Corona-Schutzimpfungen in Siegen-Wittgenstein durch.
Neben den niedergelassenen Ärzten führen die mobilen Impfteams nun die Corona-Schutzimpfungen in Siegen-Wittgenstein durch. © Hendrik Schulz

Jeder habe seinen Job „verdammt gut gemacht“, man habe aufeinander aufgepasst, sich unterstützt, sich aufgefangen – eine „Familienleistung“, sagt Domnick und meint das auch genau so. Und das habe sich auf die Impflinge übertragen, man sei förmlich überschwemmt worden von Lob und Dankbarkeit: Für freundliche Worte, für beseitigte Ängste. Die Menschen seien mit einem guten Gefühl hier rausgegangen „und nun gehen auch wir mit einem guten Gefühl“.

Für Booster- und Kinderimpfungen wäre Impfzentrum Siegen sinnvoll gewesen

Besser, man hätte das Impfzentrum nicht schließen müssen, finden die Verantwortlichen. Der Aufwand in den Praxen sei deutlich größer, sagt Dr. Klock, dazu kommen in Kürze die Nachimpfungen („Booster“) für die, die bisher nur AstraZeneca oder Johnson & Johnson erhalten haben – und die erwarteten Impfungen für Kinder: „Ohne Zentren kaum zu schaffen“.

+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++

Auch Landrat Müller hätte bei allem Kostendruck das Impfzentrum lieber in den Stand-by-Modus versetzt, statt am 30. November die Schlüssel zurückzugeben. Mangelnde Nachfrage gebe es nach wie vor nicht. Als niedrigschwelliges Angebot, zu dem man jederzeit kommen konnte, war der verkehrsgünstig gelegene frühere Baumarkt bis zum letzten Tag durchaus gut frequentiert.