Siegerland. „Siegerland“-Zeitschrift erinnert an das strenge Teich-Regime in Freudenberg, den Auf- und Abstieg der Postbusse und die Panzerstraße in Siegen.

Wasserstaaten? Die neue Ausgabe der Blätter des Siegerländer Heimat- und Geschichtsvereins entführt natürlich nicht in pazifische Inselwelten. Schauplatz der Abhandlung von Dr. Andreas Bingener ist Freudenberg.

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Wasserstaaten in Freudenberg

Wasserkraft treibt Blashütten, Hammerwerke und Mühlen an. Und ist knapp. In seinem Aufsatz beschreibt Andreas Bingener, wie die Freudenberger Gewerken damit umgehen, dass das Wasser aus den Bächen nicht ausreicht: Sie legen Stauteiche an, zusätzlich zum Asdorfer Weiher, den es zwar seit 1469 bereits als Fischteich gibt, der mit seiner Lage unterhalb der Stadt aber vielen Betrieben nichts nutzt. Der Gambachsweiher wird neu angelegt, erstmals 1611 erwähnt, 1702 der Eicher Weiher, 1815 der Büscher Weiher, danach noch der Seelbachsweiher. Gräben verbanden die Teiche, acht Hammerhütten gründeten die Eicher-Gambacher Weihergenossenschaft.

Die „Wasserstaaten“ – so wurde ihr Verband genannt – regelten, wann wo und von wem das Wasser genutzt werden darf. „Die Reihenfolge, nach welcher die einzelnen Gewerken schmieden, steht ein für allemal fest“, heißt es in ihrer Verordnung. „Ist derselbe wegen Wassermangel genöthigt vor erfolgtem gänzlichen Herausschmieden seiner berechtigten Zeit abzulassen, so bleibt er der Erste, welcher bei wieder einsetzender Zulänglichkeit des Wassers, das Schmieden wiederum fortsetzt.“ Je nach Wasserstand darf 16 oder 24 Stunden am Tag geschmiedet werden, entweder von 8 Uhr abends bis 8 Uhr am nächsten Abend oder von 10 Uhr abends bis zum nächsten Mittag um 2 Uhr.

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Ein kalter Badeweiher mit Karpfen

1910 wird der Betrieb einer Badeanstalt im Gambachsweiher erwähnt, in dem im Winter auch auf dem Eis gelaufen wird. Solche Nutzung kollidiert mit den Interessen der Fischereipächter, die dort Karpfen, Hechte und Barsche züchten, auch die Leimfabrik Nöll braucht gerade im Sommer das Wasser für ihre Mühle. 1952 verliert die Stadt Freudenberg das Recht, im Gambachsweiher ein Freibad zu betreiben. Die Folge war der Neubau des Freibades im oberen Gambachtal, das 1965 eröffnet wurde. „Die Wassertemperaturen erreichten selbst im Sommer in den Morgenstunden kaum 16 bis 18 Grad“, berichtet Andreas Bingener. 1968 startet die erste Saison des Warmwasserfreibades.

Erst 1974 geht der Besitz der Eicher-Gambacher Weihergenossenschaft an die Stadt über. Der Gambachsweiher steht heute unter Denkmalschutz, 2015 wurde sein Damm saniert. Er ist eine der Stationen des „Wanderweges Wasserstaaten“, der beim Technikmuseum in der Nähe des Eicher Weihers beginnt.

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Panzerstraße in Siegen: Rüttelstrecke für belgische Panzer

Schnurgerade führt die Panzerstraße über den Wellersberg, ein gut fünf Kilometer langes Band aus Betonplatten. Skater, Jogger, Fahrradfahrer nutzen die Piste heute. Die Rüttelstrecke, auf denen sich Erdreste von den Ketten der Panzer lösen sollten, wächst nach und nach zu. Auf dem Heidenberg und auf dem Wellersberg wurden ab 1947 belgische Einheiten stationiert. Sie wollten den 1936 von der deutschen „Wehrmacht“ angelegten Truppenübungsplatz in Trupbach nutzen. 1952 wurde die Zufahrt dorthin, einspurig mit Ausweichen, von einer belgischen Pioniereinheit gebaut.

Außerdem

In einem weiteren Beitrag berichtet Karl Heinz Gerhards über Konrad gen. Molner von Selbach. Der Vorfahre der Familie von und zu der Hees war 1350 am Bau der Burg Hohenselbach beteiligt.

Christoph Galle hat sich auf die Spuren Siegener Akademiker von 1450 bis 1618 begeben.

Über den Oberfischbacher Abendmahlsbecher von Fürst Johann Moritz berichtet Ulrich Althöfer.

Auf die Spuren der Werkbahnen im Buchhellertal hat sich Michael Kelm begeben. Vom Burbacher Bahnhof führten Schienen zur Grube Viktorsfeld, dem Bleiberg, und zur Peterszeche, die später von den Westerwaldbrüchen für ihren Basaltabbau übernommen wurden.

Herbert Bäumer hat für seinen Aufsatz in Verwaltungsakten blättern können – ganz reibungslos waren die Begegnungen von Zivilisten und Militär nicht. Besondere Gefahrenstelle war die Kreuzung mit der Kreisstraße von Trupbach nach Birlenbach. Umfangreiche Beschilderungspläne wurden aufgestellt, Schrankenanlagen installiert, für die Anlieger einen Schlüssel bekommen konnten. 1987 wurde eine Passierscheinregelung eingeführt, die auch städtische Bedienstete betraf. In dem Formular des „Permis de Circulation“ wurden Name („Herr – Monsieur“) und Autonummer eingetragen. Herbert Bäumer berichtet über die Kleinkaliberschießanlage am Tiergarten. Der Kommandeur beschwert sich bei der Kreisverwaltung über dort spielende Kinder, an den Schulen taucht Übungsmunition auf. „Dass es dabei nicht zu größeren Unglücken kam, grenzt heute noch an ein Wunder.“ 1994 ziehen die letzten belgischen Soldaten aus Siegen ab. Die NRW-Stiftung, der heute der ehemalige, unter Naturschutz stehende Truppenübungsplatz gehört, hat den Abschnitt der Panzerstraße zwischen Wellersberg und Birlenbacher Höhe 2017 an die Stadt Siegen verkauft.

Bundeskanzlerin Angela Merkel auf Wahlkampftour in Siegen am 14. August 2017. Sie landet mit dem Hubschrauber an der Panzerstraße.
Bundeskanzlerin Angela Merkel auf Wahlkampftour in Siegen am 14. August 2017. Sie landet mit dem Hubschrauber an der Panzerstraße. © Jürgen Schade | Jürgen Schade

Postbus: Nahverkehr nach Siegen mit Briefschlitzen

Wilfried Lerchstein widmet sich dem Postbus. 1905 fuhr die erste „Kraftpost“, die Personen und Post zugleich beförderte, von Bad Tölz nach Lenggries. Im Siegerland, wo 1704 zum ersten Mal eine Postkutsche fuhr, starteten am 9. März 1926 sechs Linien nach Freudenberg, Wilnsdorf, Burbach und Gosenbach; die elf Postomnibusse wurden auf dem Hof des 1926 eröffneten neuen Postamts in der Hindenburgstraße abgestellt. Die Konzessionen für die Linien waren begehrt, in den folgenden Jahren bekam mal die Kreisbahn, mal die Post, mal ein Privatunternehmen den Zuschlag. „Es dauerte viele Jahre, bis man zu einem geordneten Neben- und Miteinander fand.“ Die Linie von Hilchenbach nach Altenhundem wurde ab 1927 vom Postamt Hilchenbach betrieben. Neues Standbein wurde ab den 1950er Jahren der Berufsverkehr aus dem Westerwald - das Siegerland brauchte Arbeitskräfte. Und mit der kommunalen Neugliederung verschwanden die Schulen im Dorf – nun kam der Schulbus zu Ehren. Mit den Bau der A 45 wurde der „Schnellwagen“ von Burbach nach Siegen möglich, die Fahrzeit aus dem Hickengrund und dem Freien Grund verkürzte sich um bis zu 40 Minuten.

Briefschlitze hatten schon die letzten Modelle der gelben Postbusse nicht mehr. 1983 übernahm der Bahnbus die letzten vier Linien. „Mit dem Busfahrer Jost Schreiber aus Burbach startete am 30. September um 20.15 Uhr der letzte Linienbus des Postreisedienstes in Siegen zur Fahrt nach Burbach“, berichtet Wilfried Lerchstein. 2014 kamen die ADAC-Postbusse nach Siegen, neue Fernbuslinien führten nach Köln, Frankfurt und München. Das Unternehmen stellte seine Tätigkeit 2017 ein. „Damit war die Zeit des Postreisedienstes im Siegerland endgültig zu Ende.“

Personen

Der Netphener Helmut Baldsiefen meidet Öffentlichkeit. Aber auf ihn gehen – seit 1976 - mehr als 150 Fundorte zur Mittelsteinzeit zurück. Prof. Dr. Michael Baales und Dr. Manuel Zeiler von der LWL-Archäologie in Olpe widmen ihm eine Würdigung zum 80. Geburtstag. „Kaum abzuschätzen ist, wie oft er sich auf seinen Gängen über abgeregnete Ackeroberflächen gebückt hat, um Funde aufzuheben und vorzubestimmen.“ Helmut Baldsiefen hat in Dreis-Tiefenbach einen Ort entdeckt, der in drei verschiedenen Zeitphasen der Mittelsteinzeit genutzt wurde, zu den Funden zählt eine Klinge aus dem bayerischen Donaugebiet. Bei Deuz fand er freigepflügte Keramikscherben und Leichenbrandreste – ein eisenzeitliches Gräberfeld, das von 1987 bis 1996 ausgegraben wurde. „Die Aktivitäten von Helmut Baldsiefen waren auch für unsere Kenntnisse zu den letzten Jahrhunderten vor Christus im Siegerland von großer Bedeutung“, stellen die Archäologen fest. „Den einen oder anderen Versuch, ihn als Mitautoren für Fundberichte zu gewinnen, hat er mit dem Hinweis abgelehnt, dass dies die Aufgabe der Wissenschaft sei – und damit nicht seine.“

Friedhelm Menk wurde 83 Jahre alt. Andreas Bingener erinnert in seinem Nachruf an den ehemaligen Siegener Stadtarchivar. „Gerne zitierte er dem verblüfften Benutzer aus den fremdsprachigen Quellen in der jeweiligen Originalsprache“ - um die Briefe der nassauischen Fürsten lesen zu können, hatte Friedhelm Menk sich Französisch und Niederländisch im Selbststudium beigebracht. Andreas Bingener erwähnt, „mit welcher Leichtigkeit der Autodidakt Friedhelm Menk auch die schwierigsten mittelalterlichen oder barocken Handschriften entziffern konnte“. Menk, der gelernte Verwaltungsmann, kam 1966 als Laie ins Stadtarchiv – 1984 wurde er in die Historische Kommission für Nassau berufen, 1993 wurde er für seine Verdienste um die Erforschung der historischen Beziehungen zwischen Deutschland und den Niederlanden zum „Offizier des Ordens von Oranien-Nassau“ ernannt. Friedhelm Menk war es übrigens auch, der das Geburtshaus von Peter Paul Rubens identifizierte: in der Burgstraße

„Siegerland“, Band 98, gibt es für 12 Euro im Buchhandel

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