Siegen. Seifen, Gewürze, Suppen und Baklava – und zwar handgemacht. Ein Stadtbummel zeigt, wie kreativ diese Siegener Läden die Corona-Krise meistern.

Der Sommer ist so richtig da, die Inzidenzen purzeln weiter. Ein Stadtbummel? Längst überfällig. Meine Zeit als Volontärin begann im Lockdown: erschwerte Bedingungen, um Siegen als neue Stadt kennenzulernen. Denn wie ginge das leichter, als zum Beispiel über die kleinen Geschäfte, mit ihren handgemachten Seifen und selbst gemahlene Gewürzen? Wo käme man besser ins Gespräch, als in einer Suppenküche oder einer Bäckerei mit türkischen Spezialitäten? Anders als große Drogerien und Supermärkte verleihen diese etwas versteckten Perlen einer Stadt oft erst Charakter. Der Spaziergang zeigt: Viele von ihnen konnten es schaffen, die Krise kreativ zu deichseln – und fühlen wieder Auftrieb.

Handgesiedete Naturseifen in Siegen

Nach dem Corona-Test beginnt der Einkaufsbummel in der Oberstadt. Die Stufen der Nikolai-Kirche hinunter, im Slalom um die Menschen herum, die da sitzen – mit Eiskugeln in Hörnchen. Beim Eiscafé „Martini“ muss man dafür heute anstehen. Auf der Löhrstraße schlendern zwei Teenager mit Bubble Tea von „Dang Asia“: Der Trend aus Taiwan hat die Krise überlebt. Unter den Arkaden ist es kühl – vorbei an einem Woll-Geschäft und einem Second-Hand-Laden. Ein frischer Duft zieht hinein in Sylvia Söhnges „Seifenkunst“. Handgesiedete Naturseife, in kleinen Blöcken aufgeschichtet. Mit Blüten, Kräutern und bunten Schlieren verziert, kein Stück gleicht dem anderen. Sylvia Söhnge sagt: „Sie können eine handgemachte Seife nicht mit einer Industrie-Seife vergleichen.“

Hochwertige Inhaltsstoffe, Verzicht auf Chemie und Plastik: „Es ist nicht einfach nur das Stück Seife“, erzählt sie. „Viele Kunden kommen mit Neurodermitis oder Schuppenflechte hier her. Die benötigen Beratung.“ Von Januar bis März schloss sie ihren Laden – ohne es zu müssen, da ihr Geschäft als Drogerie gilt: „Aus Solidarität und um die Pandemie weiter einzudämmen.“ In dieser Zeit lieferte sie die Seife persönlich an ihre Stammkundschaft nach Hause. Viele kennt sie näher, durch die Seifensiedekurse, die sie in Siegen seit fünf Jahren gibt. Auch für Kindergeburtstage kommt sie raus – da allerdings ohne Natronlauge im Gepäck: zu gefährlich. Stattdessen dürfen die Kleinen Seife raspeln und zu duftenden Bällen kneten. Viele hätten noch Gutscheine für die Kurse. Sie sei optimistisch, dass sie bald wieder möglich seien – über den engen Draht zu ihrer Kundschaft sei sie sehr glücklich.

Suppen in Gläsern kommen in Siegen gut an

Nur einen Katzensprung entfernt schneidet Barbara McCoy derweil ihr Suppengemüse. Ein Baum spendet Schatten für den lauschigen Innenhof, Ecke Grüner Pfuhl. Vor der „SBar“: einige Plätze zum draußen sitzen. Drinnen: Kunst an den Wänden – eine offene Suppenküche mit Barhockern davor. Weiter im Raum ein langer Holztisch für Gäste. „Diese großen Familientische waren ja ein Trend in der Gastronomie“, kommentiert Barbara McCoy ihre Einrichtung. „Ich glaube das ist jetzt wieder rückläufig“. Ihr Eindruck: „Vor Corona war die Bude immer brechend voll. Aber jetzt, wo sie es anders kennengelernt haben, wollen die Leute das gar nicht mehr zurück, dieses hektische Gedränge.“

Schon vor Jahren hatte sie angefangen, ihre selbst gemachten Suppen, Salate und Eintöpfe auch in Gläsern „to go“ anzubieten. Durch Corona kam das Gläsersystem dann aber erst richtig zum Tragen. „Ich nehme fünf Euro Pfand pro Glas – oder im Wechsel: Leeres Glas gegen gefülltes Glas.“ Das treffe den Zeitgeist: „Die Leute haben sich daran gewöhnt und nehmen es unheimlich gerne an.“ Denn es sei nicht nur nachhaltig, sondern auch entspannt, „sein Mittagessen einfach im Glas abzuholen und sich draußen irgendwo auf ein Mäuerchen zu setzen, um es zu genießen.“

In Siegener Gewürzwerkstatt wird selbst gemahlen und geröstet

Beim weiteren Flanieren trifft man an der Alten Poststraße auf pinke Deko-Schafe vor der „Gewürzwerkstatt arte-in-cucina“. Beim neugierigen Betreten erwarten einen fast deckenhohe Regale voll mit Tee-Dosen, Gewürz-Gläsern und Öl-Fläschchen. „Bioqualität und hochwertige Produkte“ zeichneten ihr Angebot aus, sagt Inhaberin Claudia Nell, die einige Gewürze und Currys auch selber herstellt: „Die werden von mir angeröstet, zermahlen und verpackt. Mein Paprika hat eine feuerrote Farbe und schmeckt auch nach Paprika.“ Man brauche davon viel weniger, als von den Produkten, die man bei Aldi oder Lidl bekomme – „vom Aroma her unschlagbar“.

Ihre Gewürzwerkstatt habe sie die ganze Zeit aufhaben dürfen, aber das Café, das dazugehört, war monatelang zu. „Harte Zeit, keine Frage“, erzählt Claudia Nell „es ging an meine Grenzen.“ Ihre Mitarbeiter musste sie in Kurzarbeit schicken und entlassen. Seit November habe sie dann allein im Laden gestanden und alles selber gemacht. „Nach Feierabend bin ich noch in die Küche, um meine Gewürze zu mischen und meine Marmeladen zu machen. Das ist alles aufwendig, aber eben etwas besonderes.“ Eine Zeit lang habe sie den Laden schon ab 15 Uhr zugemacht und dann Bestellungen an ihre Kundschaft ausgefahren.

Heute sagt sie: „Ich habe einfach verdammt tolle Stammkunden, die mir echt die Stange gehalten haben und gesagt haben: Ich lauf’ jetzt bis in die Oberstadt und hol’ bei der Claudia meinen Tee.“ Mittlerweile sei sie guter Dinge – seit Kurzem ist ihr Café für getestete Gäste wieder auf. „Ich habe schon 20 Frühstücksanfragen für nächste Woche.“

Türkische Bäckerei in Siegen macht sich trotz Corona einen Namen

„Marmelade“, „Frühstück“... Nach diesem Gespräch meldet sich spätestens vorm Kölner Tor der süße Zahn. Rechter Hand H&M, vorbei an der Subway-Filiale – die gibt es auch in anderen Städten. Nach dem Überqueren der Sieg steigt die Lust auf etwas Süßes. Fast am Bahnhof angekommen, lockt der Geruch von „Royal Donuts“, davor eine Schlange. Doch was ist dahinter? Ein Schild bewirbt Özlems Backstube – zu der man erst durch einen Gang gelangt. „Diese 500 Meter machen schon etwas aus“, sagt Özlem Uçmak. Direkt an der Straße wäre es natürlich leichter mit der Laufkundschaft.

Özlems Backstube öffnete erst im März: „Wir waren schon länger auf der Suche und wollten etwas in Bahnhofsnähe haben.“ Als dann die Bäckerei „Hafer-Back“ aus den Räumlichkeiten rausgegangen sei, „kam das für uns genau richtig. Die haben uns das dann im Dezember untervermietet.“ Ihre Backstube sei komplett eigenständig. Dahinter stecke keine Kette, nur sie und ihr Mann: „Er ist für die Backstube hinten zuständig und ich für für vorne“, erzählt Özlem Uçmak, die zwischendurch eine Kundin auf Türkisch bedient.

Seitdem die Läden drumherum nun wieder aufhätten, schauten auch spontan mehr Leute rein. Eine große Nachfrage gebe es auch nach ihrem türkischen Frühstück. So habe sich trotz Corona ihr Geschäft bereits in Siegen herumzusprechen. Vielen hätte genau das gefehlt: „Herzhafte türkische Backwaren, frischgebackenes, noch warmes Brot und süße Baklava“ – Blätterteiggebäck mit Honig, Walnuss oder Pistazie – „eine Alternative für die Mittagspause“, so Özlem Uçmak. Und so endet der Stadtbummel zufrieden, mit klebrig-süßem Blätterteig am Gaumen.

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