Siegen. Streifzug durch die Kneipenszene von Siegen: Wie haben Vortex, Schellack und Verstärker den Lockdown überstanden, was gibt es Neues? Einiges!

Ein Jahr ist’s her, da waren die Inzidenzen niedrig und der Andrang im Biergarten hoch. Nach langem Winterlockdown und verregnetem Frühling geht es nun wieder los: Das Wetter wird besser, die Inzidenzen sinken, Innen- und Außengastronomie dürfen wieder öffnen.

Wie haben Siegens Kneipenbetreiber das vergangene Jahr erlebt – oder vielmehr: nicht erlebt?

Das Schellack, seit langem feste kleine Größe in der Siegener Abendszene, freut sich über die neuen Öffnungsmöglichkeiten. Ohne staatliche Hilfsgelder wäre die Kneipe wohl nicht über die Runden gekommen. Umso besser, dass es nun weitergeht: „Alle sind froh, dass wir wieder offen haben. Es war toll, die Stammgäste wieder zu sehen“, sagt Betreiberin Stefanie. „Gäste und Angestellte haben sich gegenseitig auf jeden Fall noch mehr schätzen gelernt“.

Größerer Außenbereich für die Musikkneipe Schellack in der Oberstadt von Siegen

Die Kneipe setzt nun wie so viele andere auf den Sommerbetrieb, um wieder Umsätze zu generieren. Ob das klappt, werde sich in den nächsten Wochen zeigen. Dem Schellack steht nun eine größere Außenfläche zur Verfügung, ebenfalls Anlass zur Hoffnung.

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Einige Angestellte haben das Team oder Siegen pandemiebedingt verlassen oder andere Jobs gefunden, eine feste Kraft ist in Kurzarbeit. Die Situation sei eine ganz andere als vergangenen Sommer, als Ausmaß und Folgen von Corona noch nicht gut abschätzbar waren: Niemand dachte vor einem Jahr, dass für fast sieben Monate geschlossen sein würde, sagt die Gastronomin, die sich vom Staat noch etwas Rücksicht für die Gastrobranche wünscht: „Die Regeln mit Mindestabständen und Hygienevorschriften machen den täglichen Betrieb nicht leicht. Die Stadt ist uns zwar auch dieses Jahr wieder mit der Außenflächengebühr entgegengekommen, aber manchmal wünschte ich mir von deren Seite noch ein bisschen mehr Verständnis. Wir haben über ein Jahr kaum Geld verdient. Da wäre ein wenig mehr Gelassenheit schön“.

Etwas Unsicherheit bleibt: Hält das Wetter? Bleiben die Inzidenzen niedrig? Klappt das auch im Winter mit der Innengastro? „Man kann nichts planen. Hoffen wir einfach, dass das Schlimmste nun hinter uns liegt“, sagt Steffi und dankt ihren Gästen: „Wir sind sehr froh euch zu haben“.

Vortex kann auf Stammkundschaft zählen – Spendenaufruf erfolgreich

Über tatkräftige Unterstützung seitens der Stammkundschaft konnte sich der Vortex Surfer Musikclub in Weidenau freuen – eine Spendenaktion vergangenes Jahr wurde zum Erfolg. „Das hat uns auf jeden Fall Luft verschafft und hilft auch weiterhin, da trotz klammer Kassen weiter Investitionen nötig sind. Wir bekommen natürlich auch staatliche Hilfsmittel. Da sieht es in anderen Ländern schon deutlich schlechter aus“, sagt Inhaber Philipp Bade.

Auch das Vortex nutzt die Zeit – jetzt gibt es einen Biergarten. Beim Freak-Valley-Abend sind alle Plätze ausverkauft – trotz Regens.
Auch das Vortex nutzt die Zeit – jetzt gibt es einen Biergarten. Beim Freak-Valley-Abend sind alle Plätze ausverkauft – trotz Regens. © Clara Wanning

Nach einem für die Szene desaströsem Jahr 2020 hofft er, dass 2021 ein bisschen besser wird – auch von Seiten der Politik: „2020 haben wir ziemlich schnell abgeschrieben. Dank Impfungen und Schnelltests sind wir zuversichtlich. Es gibt doch die ein oder andere Maßnahme, die der Eventszene helfen soll. Leider im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen und den sofortigen langfristigen Schließungen sehr zögerlich.“ Er hofft, dass die Politik die Szene langfristig auf dem Schirm behält – unlängst wurde auf den Weg gebracht, dass Clubs baurechtlich als Kulturstätte behandelt werden sollen.

Vortex Surfer Musik Club in Siegen-Weidenau hat jetzt einen Biergarten

Als Alternative zu Konzerten vor Ort hat das Vortex immer wieder Livestreams angeboten – eine Möglichkeit, etwas Vortex-Atmosphäre ins Wohnzimmer zu bringen, findet Bade. Aber kein Ersatz für richtiges Publikum: Das sei am Ende „die treibende Kraft für uns alle“. Nun möchte sich das Vortex schrittweise wieder an den Betrieb herantasten, soweit es die Regeln zulassen: Partys und Konzerte – auch mit begrenzter Besucherzahl und Testpflicht – wären schön. Bade hofft, auf die Sitzplatzpflicht verzichten zu können und setzt auf eine Verbesserung der Lage im Herbst: „Ein paar Veranstaltungen haben wir dünn im Kalender stehen. Für eine richtige Planung sind die Aussichten aber noch zu trüb.“

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Das Team hat die Coronazeit genutzt, um den bisher ungenutzten Außenbereich hinter dem Club zum Biergarten umzubauen. Herausgekommen ist ein gemütlicher Ort zwischen Lichterketten und Bäumen. Ein Erfolg, sagt Vortex-Pressesprecherin Pia Schwarzkopf: „Der Biergarten wurde sehr gut angenommen und hat uns allen ein bisschen Normalität verschafft. Es war einfach schön, unsere Gäste endlich wieder zu sehen und sich auszutauschen. Auch wenn natürlich Livemusik gefehlt hat, aber so gab es wenigstens ein kleines Stück Vortex-Feeling“.

Im Juli soll das Vortex wieder regulär öffnen – Freak-Valley-Abend ausverkauft

Auch für das Personal eine neue Seite der Veranstaltungskultur: „Im Gegensatz zum reinen Thekenbetrieb war der Tischservice für uns alle neu, aber wir haben das gut gemeistert. Und aus dem typischen Schnack an der Theke ist dann eben ein kurzer Plausch am Tisch geworden“, sagt Schwarzkopf. Nach Corona-Maßstäben lohnt sich der Biergarten zwar, ersetzt aber keinen regulären Clubbetrieb mit Konzerten, Partys oder Theater – das fehle nicht nur finanziell, findet Inhaber Bade.

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Voraussichtlich im Juli soll wieder regulär donnerstags, freitags und samstags geöffnet sein – wenn die aktuellen Bauarbeiten abgeschlossen sind: die alte Lüftungsanlage wird ausgetauscht. Und einen kleinen Vorgeschmack gab es kürzlich beim Freak-Valley-Abend: Alle Plätze waren ausverkauft. „Viele fiebern auf ein Ende der Maßnahmen hin“, sagt Bade. „Die Freunde des Vortex haben uns noch nicht vergessen“.

Im „Verstärker“ in Reichwalds Ecke leben alte Instrumente weiter

Izzet Kürekçis Rockkneipe „Verstärker“ liegt in den Räumen der ehemaligen Diskothek „Reichwaldz“ im Keller, hat keinen Außenbereich. Schon deshalb ist der Herbst eine wichtige Zeit für Kürekçi. Im Januar 2020 eröffnete er nach dem Umzug, nur um zwei Monate später wieder zu schließen. Den Konzertsaal hat bis heute kein Besucher betreten. Auch der Verstärker wird vorerst über staatliche Hilfsgelder finanziert.

Izzet Kürekçi hat die Monate genutzt und den „Verstärker“ fertig dekoriert – mit vielen alten, umfunktionierten Musikinstrumenten.
Izzet Kürekçi hat die Monate genutzt und den „Verstärker“ fertig dekoriert – mit vielen alten, umfunktionierten Musikinstrumenten. © Clara Wanning

Im Spätsommer 2020 hatte Kürekçi zwischenzeitlich geöffnet – besonders die Quiz-Nacht montags lief so gut, dass Gäste schließlich Plätze reservieren wollten und Spontanbesucher an der Tür abgewiesen werden mussten. Wirklich voll wurde es aber erst im Oktober, als das Biergartenwetter vorbei war. „Das mit den Auflagen hat auch wirklich gut funktioniert“, sagt Kürekçi, „99 Prozent der Gäste waren sehr kooperativ.“ Dann aber stieg die Inzidenz, die Gäste wurden weniger, im November musste dann geschlossen werden.

Der Konzertsaal im „Verstärker“muss noch auf Bands und Publikum warten

Das halbe Jahr hat der Betreiber gut genutzt: Der Kneipenraum ist nun vollständig dekoriert. Fast alles hat Kürekçi allein erledigt: Alte Schlagzeugtrommeln zu Lampenschirmen umfunktioniert, alte Verstärker zu Tischchen umgebaut. „Ich bin Fan vom Nicht-Wegschmeißen. Die alten Instrumente sind eine prima Deko und gleichzeitig nützlich. Wir sind darauf gespannt, wie die Leute auf das Neue reagieren werden. Der Laden soll ja etwas gemütlicher sein und mehr Kneipenflair bekommen“, sagt Kürekçi – bei der Neueröffnung sei alles noch etwas provisorisch gewesen. „Ich würde gerne fertig werden, bevor wir aufmachen, mal sehen, ob das klappt. Hoffen wir mal, dass ab Oktober eine gewisse Normalität einkehrt, und hoffen wir auf ein gutes 2022.“

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Die Kneipe darf nun wieder öffnen, der Konzertsaal muss aber noch warten. Kürekçi geht aber auch nicht davon aus, dass sich alles sofort wieder auf „normal“ einpendelt – wie dem Schellack und vielen anderen Kneipen fehlt Personal. Auch hier mussten sich viele Beschäftigte anderweitig orientieren, Kürekçi hofft, neue zu finden, was derzeit nicht so einfach ist.

Grundsätzlich, findet er, gibt es viele Gründe, nach vorn zu schauen: Der Konzertsaal ist fertig, irgendwann sollen hier wieder Bands wieder auftreten können. Mit dessen Eröffnung will Kürekçi noch etwas warten. Bis die Pandemie tatsächlich überstanden ist – denn dann könnte deren Ende und der Neuanfang des Verstärkers gleichzeitig gefeiert werden.

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