Netphen/Siegen. Ein Mann campt im Wald bei Eckmannshausen, der Ortsbürgermeister spricht ihn an – und wird beschimpft, bedroht und mit einem Messer aufgesucht.

Schon erstaunlich, wie unterschiedlich manchmal die Eindrücke von Menschen sein können. Da ist der 35-jährige Angeklagte, der neben einer ganzen Serie anderer Straftaten den Ortsbürgermeister des Netphener Stadtteils Eckmannshausen und dessen Familie bedroht haben soll, die Vorfälle aber ganz offensichtlich nicht so hoch aufhängt, wie die Zeugen. Diese erklären unisono, an jenen Tagen im Juli 2020 wirkliche Angst ausgestanden und die massiven Drohungen ernst genommen zu haben, die dem mutmaßlichen Täter vorgeworfen werden.

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Da ist der Verteidiger, der mit ungewöhnlichen Fragen irritiert, und dann noch eine Polizistin, die bei einem Mediationsgespräch in der Weidenauer Psychiatrie dabei war, und auch ganz eigene Erinnerungen mitgenommen hat. Aber von vorn.

Angeklagter soll in Eckmannshausen im Wald gehaust haben

Begonnen hatte die Affäre im Sommer 2020 damit, dass der Ortsbürgermeister auf Hilfeschreie im Wald aufmerksam gemacht wurde. In den folgenden Tagen hatte er mehrfach Kontakt mit dem Angeklagten, der an mehreren Stellen im nahen Wald in einem Zelt hauste, dessen Umgebung von Müll, leeren Flaschen, Medikamenten und Fäkalien verunreinigt gewesen sei. Als Ortsbürgermeister, Jäger und Haubergsgenosse habe er das nicht schön gefunden und den Mann aufgefordert, sein Zelt zu entfernen und den Müll gleich mit, berichtet der Zeuge. Dabei sei der Angeklagten brüllend mit erhobenen Fäusten und nacktem Oberkörper hinter ihm und seinem Begleiter hergelaufen.

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Zwischenzeitlich hatte er sich nach dem Namen des beim ersten Male hilflos angetroffenen Mannes erkundigt und bei dessen Eltern nachgefragt, ob er heil zu Hause angekommen sei. Dessen Vater habe ihn gewarnt, bloß nicht die Tür zu öffnen, sollte der Sohn einmal davor der Tür stehen. „Ich solle alles Nötige tun, wir können ihm nicht mehr helfen“, soll der Vater noch zum Zeugen gesagt haben.

Eckmannshausen: Angeklagter soll mit Messer vor dem Haus gestanden haben

Tatsächlich stand der Angeklagte dann am 9. Juli das erste Mal vor der Tür des Ortsbürgermeisters, klingelte nach dessen Erinnerung Sturm und schrie üble Bedrohungen und Beleidigungen. Das wiederholte sich mehrfach in der folgenden Woche, zwischenzeitlich seien die Beschimpfungen von „Ich bringe Dich um“ zu einem „Ich bringe euch alle um; Ich stecke eure Autos und euer Haus an“ eskaliert. Am 17 Juli schließlich sei es zum Höhepunkt gekommen.

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„Er hat hinterlistig, heimtückisch und bösartig versucht, mich zu ermorden“, wirft der Zeuge seinem Gegenüber ausdrücklich vor. Dieser habe ihn ganz klar in eine Falle gelockt. Im Gegensatz zu den anderen Tagen habe es kein Sturmklingeln gegeben, nur Geschimpfe, einen Knall und ein helles Klirren. War bisher die Devise, Tür zu und bloß nicht raus, fürchtete der Ortsbürgermeister nun, der Angeklagte könne seine Drohung, ein Feuer zu legen, wahrmachen. Er ging ums Haus, wurde plötzlich auf den Mann aufmerksam, der gebückt mit einem Messer in der Hand auf ihn zu kam. Zugleich sah er einen seiner Stiefsöhne in der Tür stehen. Mit einem Warnruf stieß er diesen ins Haus, sprang und stürzte selbst hinterher. Der 22-jährige, selbst Polizist, hat zu diesem Zeitpunkt draußen nichts erkennen können, den Angeklagten aber kurz darauf aus dem Fenster mit Messer vor dem Haus stehen sehen.

Verteidiger zweifelt Todesangst des Bedrohten an – er habe schließlich eine Jagdwaffe

Wenn solche Anschuldigungen immer wieder kämen und der Verantwortliche plötzlich mit einem Messer vor der Tür stehe, nehme er solche Dinge ernst, antwortet der Zeuge auf die Nachfragen des Verteidigers, der immer wieder nach der Glaubwürdigkeit seines Mandanten fragt. Der spreche immer nur von einem Nachbarschaftsstreit. Wenn einer fast täglich vor der Tür stehe und immer die gleichen Drohungen ausstoße, nutze sich so etwas ab, meint der Anwalt, stößt damit aber bei den Zeugen auf wenig Gegenliebe. Weder der junge Polizeibeamte, noch seine Mutter, sein Bruder oder der Stiefvater lassen sich von ihrer Position abbringen. Auch die Versuche von Anwalt und Mandant, die aus ihrer Sicht unberechtigte Kritik am Campen als mögliche Erklärung für den Zorn des Angeklagten zu benutzen, schlagen nicht ein.

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Endgültig überzieht der Jurist, als er immer wieder auf die Eigenschaft des Bedrohten als Jäger zu sprechen kommt. Warum dieser denn überhaupt Todesangst empfunden haben wolle, mit einer Jagdwaffe im Haus. Die sei doch sicher ein gutes Polster dagegen gewesen. „Ich hätte garantiert nicht auf ihn geschossen“, wehrt der Zeuge entschieden ab. „Da muss ich aber lachen“, bekräftigt etwas später seine Lebensgefährtin. Ihr Mann habe sich im fortgeschrittenen Alter noch den Lebenstraum eines Jagdscheins erfüllt und werde den sicher nicht durch eine Gewalttat riskieren. „Wir legen uns kein Gewehr oder eine Pistole in die Garderobe“, ergänzt die Zeugin, die sich als Pazifistin bezeichnet.

Vorsitzende Richterin macht kruden Fragen ein Ende

Aber jeder gehe doch lieber ein solches Risiko ein, als sein Leben zu gefährden, findet der Verteidiger. „Sie vielleicht, aber sicher nicht jeder“, macht die Vorsitzende der Sache nun ein Ende. Beide Zeugen, der Ortsbürgermeister und seine Lebensgefährtin hoffen, dass der Angeklagte sich therapieren lässt und „dass ihm geholfen werden kann“. Dieser verspricht das auch. Er wisse, dass er ein Alkoholproblem habe und wolle dies angehen. Niemand solle mehr vor ihm Angst haben oder nicht schlafen können.

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Er war davon ausgegangen, dass ein Treffen am 22. Juli in der Psychiatrie zu einer Aussöhnung geführt hätte. „Er hat sich entschuldigt. Ich habe ihm gesagt, ich nehme das zur Kenntnis. Aber eine Aussöhnung war das nicht“, widerspricht der Zeuge. Die eingangs erwähnte Polizeibeamtin hingegen erklärt ihren Eindruck, der Geschädigte habe die Entschuldigung angenommen. Für sie waren alle nach dem Gespräch der Ansicht, das künftige Zusammenleben könne gelingen, solange der Angeklagte es schaffe, sich vom Alkohol fernzuhalten. Am 10. März geht es weiter.

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