Siegen. Die „Weihnachtsfeier“ der Rechtsextremen in Siegen am Samstag sei eine Versammlung zur „Teilhabe an der Meinungsbildung“, so die Richter.

Entscheidend ist der juristische Unterschied zwischen Veranstaltung und Versammlung: Das Verwaltungsgericht Arnsberg hat einem Eilantrag der rechtsextremen Splitterpartei „Der dritte Weg“ stattgegeben, dass es sich bei dem für Samstag, 12. Dezember, im Parteibüro an der Schlachthausstraße in Siegen geplanten Treffen der Neonazis im juristischen Sinne um eine Versammlung handelt – und nicht um eine Veranstaltung. Stadt und Kreis bzw. Ordnungsamt und Polizei hatten das anders gesehen und dagegen Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht eingelegt. Dem wurde nicht stattgegeben.

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Die Neonazi-Kleinstpartei hatte das Treffen bei den Behörden angemeldet. Beide, Ordnungsamt und Polizei antworteten laut Verwaltungsgerichtssprecherin Silke Camen mit einem Hinweisschreiben, dass es sich dabei um eine Veranstaltung handle, die laut derzeit geltender Corona-Schutzverordnung NRW unzulässig sei. Die Durchführung der Veranstaltung wurde untersagt.

Neonazis wollen in Siegen „traditionelle Weihnachten“ mit Waffeln und Glühwein feiern

Dagegen stellten die Rechtsextremen einen Eilantrag und die Kammer bestätigte am Donnerstag, dass es sich um eine Versammlung gemäß Absatz 8 Grundgesetz (Versammlungsfreiheit) handle. Damit dürfen sich die Neonazis unter Auflagen treffen. Laut Silke Camen sei ein Versammlungscharakter immer dann gegeben, wenn Elemente einer Kundgebung oder zur politischen Meinungsbildung vorhanden sind.

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„Der dritte Weg“ möchte am Samstag unter dem Deckmäntelchen der politischen Versammlung eine „traditionelle Weihnachten trotz Corona“ feiern: „Hochwertige Kleidung und Kinderspielzeug“ sollen kostenlos ausgegeben, Waffeln, Glühwein und Kakao ausgegeben, „Gemeinschaft zur besinnlichen Jahreszeit“ gefeiert und ein „vielfältiger Julmarkt“ angeboten werden. „Politische Redebeiträge“ sind dann offenbar dasjenige Element, das das Verwaltungsgericht dazu bewogen hat, einen Versammlungscharakter zu erkennen.

Bündnis „Siegen gegen Rechts“ verzichtet auf „Band der Solidarität“ am Samstag

Die Behörden haben grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Sie können die Entscheidung des Verwaltungsgerichts juristisch anfechten und Beschwerde einlegen, dann geht der Fall vor das Oberverwaltungsgericht (OVG). Oder sie verzichten und teilen dem „dritten Weg“ die Auflagen mit, die während ihrer „Versammlung“ eingehalten werden müssen – unter anderem Mindestabstand und Maskenpflicht.

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Die Polizei hat am Freitag Beschwerde gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eingelegt. „Wir sind nach wie vor der Rechtsauffassung, dass es sich um eine Veranstaltung handelt“, stellt Landrat Andreas Müller als Chef der Kreispolizeibehörde klar: Der „Weihnachtsfeier-Charakter“ des Treffens stehe klar im Vordergrund. Versammlungen oder Kundgebungen halte der „dritte Weg“ sonst in der Innenstadt ab zu Zeiten, an denen dort mit Publikumsverkehr zu rechnen ist. Hier treffe man sich abends in einer eher abgelegenen Örtlichkeit. Zudem sei die Einladung der Partei nur an „Deutsche“ gerichtet – an einer Versammlung, die zur politischen Meinungsbildung beitragen solle, müsse jeder teilnehmen können.

Das Oberverwaltungsgericht Hamm wies am Freitagabend die Beschwerden von Polizei und Ordnungsamt zurückgewiesen und die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts Arnsberg bestätigt: Es handle sich um eine Versammlung. „Von der Versammlungsfreiheit sind solche Veranstaltungen beispielsweise auch dann erfasst,wenn sie sich dafür einsetzen, dass bestimmte Musik- und Tanzveranstaltungen auch in Zukunft ermöglicht werden“, heißt es in der Urteilsbegründung - bei einer „Mischform“ wie in diesem Falle werde im Zweifel für die Versammlungsfreiheit entschieden. Der Rechtsstaat misst der Versammlungsfreiheit einen hohen Stellenwert zu - auch für jene, die den Rechtsstaat abschaffen wollen.

Das Bündnis „Siegen gegen Rechts“ verzichtet überdies auf die Aktion „Band der Solidarität“, die am Samstag, 12. Dezember, stattfinden sollte – ein neuer Termin wird im nächsten Jahr gesucht.

Siegener Bündnis bewertet Infektionsrisiko in aktueller Corona-Lage als zu hoch

Im Namen von „Siegen gegen Rechts“ erklärt Versammlungsanmelder Dirk Jakob:„ Wir haben abgewogen zwischen unserem dringlichen Anliegen, bunten Protest gegen Nazis in Siegen zu organisieren, einerseits und unserer gesellschaftlichen Verantwortung angesichts der aktuellen Coronasituation andererseits. Letztlich haben wir uns dafür entschieden, das Risiko, eine/n von uns oder gar unbeteiligte Menschen anzustecken, nicht einzugehen. Corona kann schwere Folgeerkrankungen bis hin zu einem tödlichen Verlauf auslösen. Aber auch allein eine Quarantäne in der Ferien- und Weihnachtszeit wollen wir nicht verantworten.“

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Zudem habe zu denken gegeben, dass am vergangenen Sonntag die Veranstaltung „Querdenkendemo“ in Düsseldorf zu eskalieren drohte, an der auch die rechtsextreme Splitterpartei beteiligt war. Da der „dritte Weg“ in Siegen versuche, am 12. Dezember ebenfalls eine Kundgebung abzuhalten, „können wir für unsere Menschenkette trotz Hygienekonzept nicht sicherstellen, dass es nicht zu Zusammenstößen kommt, aus denen heraus ein hohes Infektionsrisiko entsteht“, heißt es in der Mitteilung von „Siegen gegen Rechts“. Bei geringeren Infektionszahlen sehe das anders aus. „Wir lassen uns jedoch nicht entmutigen und verschaffen unserem Protest Gehör - per Social Media und mit kreativen Aktionen.“

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