Wilnsdorf. Verwaltung, Beteiligung, Service: Wilnsdorfs neuer Bürgermeister Hannes Gieseler im Interview.

Hannes Gieseler ist, wie Landrat Andreas Müller, Bürgermeisterin Nicole Reschke in Freudenberg und Bürgermeister Henning Gronau in Erndtebrück, einer der jungen Hoffnungsträger der Siegen-Wittgensteiner SPD. Der stellvertretende Unterbezirksvorsitzende galt sozusagen als der natürliche Kandidat für alle Spitzenpositionen, die die Partei zu besetzen hat. Bis er am 13. September zum Bürgermeister der Gemeinde Wilnsdorf gewählt wurde. Am 1. November hat er sein neues Amt angetreten. Die eigene Rechtsanwaltskanzlei hat er aufgelöst, das Büro im Rathaus ist sein neuer Arbeitsplatz, für die Deko fehlt wohl noch ein bisschen die Muße – das Foto mit dem jungen Willy Brandt, das die SPD ihrem ehemaligen Fraktionschef geschenkt hat, lehnt noch an der Wand. Steffen Schwab sprach mit Hannes Gieseler.

Ein Monat im neuen Amt – wie geht es Ihnen?

Hannes Gieseler: Es gibt viele neue Eindrücke, ich fühle mich aufgenommen. Man hat dafür gesorgt, dass ich schnell einen Einblick gewinne. In der Politik ist man noch relativ lieb zu mir.

Und draußen?

Große offizielle Auftritte gab es coronabedingt noch nicht. Es fanden Antrittsbesuche von Organisationen und Institutionen statt, die den neuen Bürgermeister kennenlernen wollten: Sparkasse, Jobcenter, Unternehmen. Die harten Gespräche werden kommen, wenn man sagt: Jetzt ist er da, jetzt muss er auch ins kalte Wasser. Das hat bisher noch nicht stattgefunden.

Wie lange braucht man denn zum Einarbeiten als Bürgermeister?

Gute Frage – ich mache das erste Mal Bürgermeister, deswegen ist das etwas schwierig zu beantworten. Ich merke natürlich auch, dass die Schonfrist so langsam endet. Jetzt gibt es auch einzelne erste Anfragen zu heiklen Themen.

Zur Person

Hannes Gieseler, 36, wohnt mit seiner Familie in Rudersdorf. Vor seiner Wahl zum Bürgermeister war er als Rechtsanwalt in seiner eigenen Kanzlei tätig, im Gemeinderat hat er seit 2014 die SPD-Fraktion geleitet.

Zur Schule gegangen ist Hannes Gieseler in Siegen. Sein Abitur hat er an der Bertha-von-Suttner-Gesamtschule gemacht. Nach dem Zivildienst, den er in der AWO-Werkstatt Deuz ableistete, studierte er Jura in Gießen. Kommunalpolitisch aktiv ist Hannes Gieseler seit 2004, dem Gemeinderat gehörter seit 2011 an.

Zum Beispiel?

Die geplanten Feuerwehrgerätehäuser und die sich abzeichnenden Mehrkosten. Oder Anlieger, deren Straßen ausgebaut werden. Erschließungsbeiträge können sehr teuer werden. Da hat man offensichtlich gewartet, obwohl da Zeitdruck ist.

Das ist ja nett.

Ja, aber es ändert nichts daran, dass solche Themen kommen werden. Auch der Haushaltsplan: Ich bin froh, dass man die Verabschiedung vom Jahresende auf den März verschoben hat, weil man gar nicht weiß, wie sich coronabedingt die Einnahmen verändern. Jetzt habe ich die Möglichkeit, den Haushaltsplan noch ein bisschen in meinem Sinne zu steuern. Auch wenn das jetzt etwas schwierig wird, aufgrund der durchaus spürbaren Mindereinnahmen.

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Wo wollen Sie steuern?

Wohnraum schaffen. Da kann man mehr Geld bereitstellen für Planungskosten und den Erwerb von Grundstücken, die wir als Gemeinde erschließen und dann an Bauwillige verkaufen. Das haben wir im letzten Jahr für Flammersbach gemacht, wo das auch gut läuft.

Werden die Steuern auch Thema?

Ich hoffe nicht, aber das müssen wir sehen, da wir leider von Land und Bund auch nicht die große Unterstützung bekommen, die von dort immer groß angekündigt wird. Wir haben ein Haushaltssicherungskonzept und müssen den Haushalt bis 2022 ausgleichen.

Ihre Vorgängerin Christa Schuppler hat bei ihrem Amtsantritt einen rigiden Sparhaushalt vorgelegt und sich Jahr für Jahr den weniger roten Zahlen entgegengearbeitet.

Ich rechne ihr das hoch an. Die Haushaltssituation, als sie vor elf Jahren angefangen hat, war eine völlig andere als jetzt. Sparen um des Sparens willen verursacht auch Probleme. Wir sollten unseren Kindern nicht nur einen ausgeglichenen Haushalt, sondern auch eine vernünftig aufgestellte Gemeinde hinterlassen. Das heißt: Eine Gemeinde muss auch investieren.

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Beim Schulbau haben Sie dicke Brocken vor sich.

Schulpolitik ist immer ein interessantes, auch emotionales Thema. Ich werde nicht Schulstandorte oder Schulformen in Frage stellen. Wir haben immer die Problematik, an der Hauptschule eine Eingangsklasse zu bilden. Aber spätestens ab Klasse 7 ist das Thema durch, dann läuft die Schule zweizügig. Man kann zu der Frage „Längeres gemeinsames Lernen“ stehen, wie man will – es gibt hier eine parteiübergreifende Entscheidung und an die werde ich mich halten. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass Siegen auf interkommunale Zusammenarbeit bei der Schulentwicklungsplanung setzen möchte. Dem werde ich mich nicht verschließen. Denn die Möglichkeiten, die wir für uns allein in Wilnsdorf haben, sind sehr begrenzt.

Das sagt aber noch nichts über die Qualität der Gebäude.

Wir müssen ran an die Schulen. Allein wegen des Brandschutzes werden wir viel investieren müssen. In dem Zusammenhang muss man schauen, was man für die Schulen tun kann, was notwendig ist und was bezahlbar ist. Bei der Grundschule Wilnsdorf wäre so viel notwendig gewesen, dass man sich entschieden hat, an einem neuen Standort neu zu bauen.

Dort setzen Sie natürlich einen Maßstab. Die Planung für den Neubau der Grundschule Wilnsdorf trifft auf große Bewunderung.

Das werden wir wahrscheinlich nicht für alle Schulen leisten können. Trotzdem möchte ich gern, dass alle Schüler gleiche Voraussetzungen haben. Das hat auch mit der räumlichen Situation zu tun, aber nicht nur. Wir werden in Wilnsdorf auch so eine Art Bildungshügel schaffen, was hoffentlich auch Synergieeffekte bringt. Es ist ein Vorzeigeprojekt, gerade auch durch den Architektenwettbewerb. Die Kostenbegrenzung ist eine Maßgabe, die den Architekten mitgegeben wird. Wer weit darüber liegt, wird sicher nicht vom Preisgericht als Sieger auserkoren.

Die Kosten werden sicher nicht das Problem der Architekten sein. Das kommt wahrscheinlich eher später, je näher die tatsächlichen Bauarbeiten rücken. Lassen Sie uns über Jugend reden.

Wir haben einen gemeindlichen Jugendtreff in Wilnsdorf und den Jugendtreff des katholischen Jugendwerks Förderband in Rudersdorf. Trotzdem hat Jugendarbeit Nachholbedarf an einigen Stellen. Jugendliche brauchen Treffpunkte – ein „hier weg“ zum Beispiel von Spielplätzen ist mir zu wenig, wir müssen dann auch Alternativen bieten, durch Neugestaltung von Ortsmitten, wie sie jetzt in Gernsdorf und Wilden anstehen. Uns muss klar sein, dass sich Jugendliche ohne Führerschein eher selten auf den Weg in den nächsten und übernächsten Ort machen.

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Wie sieht es aus mit Jugendbeteiligung, auch an Kommunalpolitik?

Würde ich mir wünschen. Ich selbst habe mal angefangen als Vertreter der Schülerschaft im Rat der Stadt Siegen. Das haben wir in Wilnsdorf mittlerweile auch, im Schulausschuss. Darüber hinaus wünsche ich mir eine Beteiligung von Jugendlichen generell, was politische Prozesse angeht. Das bedeutet, dass sie auch Bereiche bekommen mit einem Budget, über das sie auch entscheiden dürfen. Denn nur dann funktioniert Jugendbeteiligung. Wenn am Ende Parteien über die Köpfe der Jugendlichen hinweg entscheiden, ist das Engagement ganz schnell futsch.

Und der Frust ist groß.

Das kann ich auch verstehen. Was bringt es, wenn man sich die Abende um die Ohren schlägt und überlegt, was man gern machen möchte, wenn letzten Endes trotzdem die Erwachsenen entscheiden? Politik muss so offen und konsequent sein und sich an das halten, was Jugendliche entscheiden. Geplant ist, für den Ausschuss für Familien und Soziales einen Jugendbeirat zu schaffen; so, wie es auch einen Senioren- und einen Behindertenbeirat geben soll. Ursprünglich war es die Idee, einen gemeinsamen Beirat zu schaffen. Aber die Interessenlagen von Jugendlichen, Senioren und Behinderten sind völlig unterschiedlich.

Wobei Senioren womöglich die eigene Vertretung schon haben.

Wenn ich in den Gemeinderat schaue, ist das korrekt. Politik wird gestaltet von älteren Herren, ich finde das schade. Dementsprechend sieht auch schon mal die eine oder andere Entscheidung aus.

Wenn man natürlich zu Zeiten tagt, zu denen Eltern in der Familie gebunden sind oder Berufstätige an ihrem entfernten Arbeitsplatz sind, darf man sich darüber nicht wundern. Dann müssten die Beteiligungsformen andere sein.

Der Kreistag tagt um 16, der Kreisausschuss um 14 Uhr. Das kann ich nicht nachvollziehen. Wir fangen wenigstens um 18 Uhr an. Letztlich macht sich daran die Beteiligung von Frauen fest. Es hilft nicht, wenn darüber nur diskutiert wird, weil wir uns dazu verpflichtet fühlen, wir diese Beteiligung aber nicht wirklich wollen. Die SPD-Fraktion, der ich jetzt nicht mehr angehöre, hat es geschafft, eine Reihe jüngere Frauen – ich meine: unter 50 – als sachkundige Bürgerinnen in ihre Arbeit einzubinden. Das finde ich toll, weil sich das auch rumspricht und auch andere Leute sehen, dass sie etwas bewirken können. Das wünsche ich allen Parteien.

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Werden Sie die Verwaltung anders organisieren?

Wir haben die Stelle des Beigeordneten ausgeschrieben. Je nach dem, wer an dieser Stelle sitzt, wird man schauen, welche Veränderungen man herbeiführt. Ich möchte mir jetzt nicht anmaßen zu wissen, welche Veränderung dem Haus gut täten und welche nicht. Mir ist wichtig, hier im Hause ein Beschwerdemanagement zu etablieren, dass Sorgen, Beschwerden, Anregungen, Vorschläge aus der Bevölkerung zentral bearbeitet werden und die Menschen schnell eine Rückmeldung bekommen. Der Dienstleistungsgedanke soll mehr in den Vordergrund treten.

Am Wochenende wurde die Stellenausschreibung für den Posten des Beigeordneten veröffentlicht. Der Fachbereich ist auf Bürgerdienste, Schulen, Kultur, Sport, Soziales und Museum reduziert, der „Zentrale Service“ mit Personal und Organisation ist nicht mehr dabei – der neue Bürgermeister setzt die Pflöcke, bevor Willy Brandt über seinen Kopf hinweglächeln kann.

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