Siegen-Wittgenstein. In Siegen und Umgebung nehmen Beschwerden über einen Teil der Tuner-Szene zu. Die Polizei nimmt den Kampf auf – unterstützt von Auto-Experten.

Autos, die mit 100 km/h über die Weidenauer Straße rasen, dröhnende Auspuffanlagen, die man hunderte Meter entfernt noch hört: Der zu gesetzwidrigem Verhalten neigende Teil der Tuner-Szene beschäftigt die Polizei in Siegen-Wittgenstein. Den Rowdys droht dabei zunehmend Ärger.

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„,Probleme’ ist überspitzt gesagt. Aber es macht Arbeit“, ordnet Stefan Pusch, Leiter der Führungsstelle Verkehr der Kreispolizeibehörde Siegen-Wittgenstein, die Lage ein. In den vergangenen Wochen gebe es wieder vermehrt Beschwerden über rücksichtslose Verkehrsteilnehmer aus der Tuner-Szene. „Klar, wenn das Wetter schöner wird, holen die Leute das Auto raus“, sagt der Beamte.

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Die Community an sich sei nicht der Knackpunkt. Die meisten Tuningfans seien verantwortungsvoll, würden sich mit ihren Autos befassen, diese herrichten, sich dann irgendwo treffen und - in Coronazeiten aus der Distanz - ihre Wagen zeigen und die der anderen Tuner betrachten. „Schwierig wird es, wenn Poserfahrten durchgeführt werden oder wenn die Leute abends irgendwo Donuts drehen“, sagt Stefan Pusch. Beides ist nämlich mit höchst störendem und höchst unnötigem Lärm verbunden. Richtig gefährlich wird es an anderer Stelle: „Es geht bis zu Rennen.“

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Illegale Rennen in Siegen und Umgebung

Bei illegalen Straßenrennen „stellen wir eine deutliche Erhöhung fest“, sagt Stefan Pusch. Grundlage der festgestellten Steigerung sei natürlich der noch relativ neue Paragraph 315d Strafgesetzbuch. Galt die reine Teilnahme an den Rennen ohne Gefährdungen anderer zuvor als Ordnungswidrigkeit, ist sie seit Herbst 2017 ein Straftatbestand. Dabei drohen bis zu zwei Jahre Haft. Wird jemand verletzt oder getötet, können es bis zu zehn Jahre werden.

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Allein von Anfang März bis Mitte April verzeichnete die Polizei in Siegen-Wittgenstein fünf Rennen, davon vier in Siegen. Nicht immer müssen mehrere Autos beteiligt sein, „es kann auch sein, dass einer allein einen persönlichen Geschwindigkeitsrekord aufzustellen versucht“, erläutert Stefan Pusch. Unter die Straßenrennenregelung falle seit 315d nun außerdem auch, wenn jemand mit dem Auto vor der Polizei mit hoher Geschwindigkeit zu flüchten versuche, um einen Gesetzesverstoß - Fahren ohne Führerschein, Alkohol am Steuer - zu verbergen. Aber dies sei der seltenere Fall, wie der Fachmann betont, denn anhand der Autos lasse sich meist auf Anhieb sagen, ob es sich um Tuning-Szene handele oder nicht. Wer plötzlich im Golf III Gas gebe, wenn ein Streifenwagen im Rückspiegel auftauche, gehöre wohl eher nicht dazu.

Beliebt bei Rasern: Die Nord-Süd-Achse

Verglichen mit größeren Großstädten sei die Lage in Siegen noch überschaubar, „aber wir haben hier diese Sachverhalte tatsächlich“. Besonder beliebt bei den Rasern sei die Nord-Süd-Achse durch das gesamte Stadtgebiet, von Eiserfeld über Siegen und Weidenau nach Geisweid, vorbei an Wohnbebauung und dem Kreisklinikum.

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Zu den Rennen komme es eher nachts, wenn die Straßen frei sind, „aber auch abends und nachts können Fußgänger unterwegs sein“, sagt Stefan Pusch. „Was Unfallgeschehen angeht, haben wir bisher Glück gehabt. Aber natürlich birgt es große Gefahren.“Die Polizei ist auf den Straßen präsent, die möglichen Sanktionen können die Fahrer auch da treffen, wo es ihnen besonders weh tut: Sicherstellung des Führerscheins, Einzug des Fahrzeugs. „Das weiß die Szene auch“, sagt Stefan Pusch. „Aber ob jeder Einzelne diese Gefahr auch für sich sieht, ist eine andere Frage.“

Lärm und Manipulationen

Von den Rennen abgesehen sind technische Manipulationen ein Problem, die die Sicherheit der Fahrzeuge gefährden oder den Geräuschpegel ins völlig Überzogene treiben. Wer an seinem Fahrzeug etwas verändert, braucht dazu in allen relevante Fällen TÜV-Abnahme und Zulassung. Der TÜV lässt aber aus guten Gründen nicht alles durchgehen. „Wir führen deshalb Sonderkontrollen durch“, sagt Stefan Pusch. Seit 2019 werden die Beamten dabei von einem bei der Kreispolizeibehörde angestellten Kfz-Meister unterstützt.

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Tatsächlich handelt es sich um keinen Polizisten, sondern um einen Kraftfahrzeugexperten, „der hat das von der Pike auf gelernt“, wie Stefan Pusch betont. Dieser Fachmann wurde extra für den Einsatz bei Kontrollen eingestellt, nicht nur für getunte Pkw, sondern beispielsweise auch für technische Kontrollen von Lastwagen. „Wir haben beim Verkehrsdienst zwar Kollegen, die sich speziell für den Tuningbereich fit gemacht haben“, sagt Stefan Pusch. Die Expertise des Kfz-Meisters sei aber ein großer Trumpf, weil dieser aufgrund seiner Ausbildung und seiner langjährigen Erfahrung oft sehr schnell erkenne, ob ein Auto manipuliert wurde oder nicht.

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Hotspots: die großen Parkplätze

Für die Sonderkontrollen steuere die Polizei die einschlägig bekannten Treffpunkte der Szene an, etwa den Obi-Parkplatz in Weidenau, den Ikea-Parkplatz auf dem Heidenberg oder bestimmte Bereiche unter der HTS in Geisweid. „Es sind immer wieder Fahrzeuge dabei, die manipuliert wurden“, sagt Stefan Pusch. Die Autos könnten sichergestellt werden und würden dem TÜV vorgeführt, den Haltern drohen Geldbußen

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Gerade beim Thema „Lärmbelästigung“, das merkt der Leiter der Führungsstelle Verkehr allerdings an, seien auch die Beamtinnen und Beamten manchmal unangenehm erstaunt, dass manche Auspuffanlagen - insbesondere an Motorrädern - zwar unheimlich laut seien, aber völlig legal. Eine Handhabe gibt es dann nicht. Und dabei komme in Siegen noch hinzu, dass Lärm je nach Position durch die Tallage extrem unangenehm werde.

Corona

In der Coronakrise seien die Probleme nicht unbedingt verstärkt aufgetreten. Da phasenweise aber weniger Verkehr als üblich auf den Straßen unterwegs war, „fällt es den Leuten vermehrt auf“, sagt Stefan Pusch. Generell „nehmen wir verstärkt Beschwerden wahr. Sobald die Sonne rauskommt, geht die Welle wieder los.“Dass die Szene eher zu Verstößen gegen das Kontaktverbot neige als andere Bevölkerungsgruppen, sei bisher nicht zu beobachten.

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Auf dem Obi-Parkplatz zum Beispiel habe es schon vor Jahren Abende mit bis zu 100 Fahrzeugen aus der Szene gegeben – nach Geschäftsschluss wohlbemerkt. Völlig zum Erliegen gekommen sind diese Treffen aber auch während der Kontaktsperre nicht, wenn auch in kleinerem Maßstab. Die Polizei war in den vergangenen Wachen mehrfach im Einsatz, um etwa auf dem Obi-Parkplatz die Einhaltung der Regeln zu überprüfen und mitunter Verstöße festzustellen. Wer erwischt wird, zahlt pro Person die üblichen 200 Euro.

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Es sind natürlich auch Platzverweise möglich, wenn Tuner negativ auffallen. Das habe allerdings in erster Linie einen „Verdrängungseffekt“, wie Stefan Pusch nüchtern konstatiert, weil die Szene dann eben auf andere Flächen ausweiche. Aber die kennt die Polizei auch.

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