Siegen. Siegener will Brötchen holen, lässt sich in seinem 258 PS-Mercedes an der Ampel von einem Audi provozieren, gibt Gas – hinter ihm ist die Polizei

„Ich bin immer früh wach“, sagt der Angeklagte. Das ist ihm am Sonntag, 8. September 2019, beinahe zum Verhängnis geworden. Der 55-jährige Siegener C. wollte an jenem Morgen erst „eine rauchen“, dann in Geisweid Brötchen holen. Um kurz nach sieben Uhr war sein Führerschein weg, dazu kam eine Anklage wegen Beteiligung an einem illegalen Autorennen. Darum geht es nun am Dienstag, 28. Januar, vor dem Siegener Amtsgericht.

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Die Anklageschrift lässt wenig Spielraum. Während C. in seinem Mercedes („mit 258 PS!“) an einer Ampel auf der Weidenauer Straße stand, soll ein Audi auf der linken Spur neben ihm gehalten haben. Dessen Fahrer, so gab es der Angeklagte selbst bei der Polizei an, habe ihn dann mit ein paar Gasstößen provoziert. Beide Wagen setzten sich sehr schnell in Bewegung, Richtung Geisweid. Eine Polizeistreife war direkt dahinter, verfolgte C. bis kurz vor die Kirche. Dort sei er auf den Parkplatz gefahren, als er das Blaulicht im Rückspiegel sah.

Gegenüber den Siegener Polizisten von Tempo 100 bis 120 gesprochen

Die hätten es „wohl eilig gehabt“ und er wollte den Streifenwagen vorbeilassen, berichtet der Mann weiter. Dass die Polizei ihm gefolgt sein könnte, sei ihm damals nicht durch den Kopf gegangen: „Ich hatte ja nichts gemacht. Höchstens ein bisschen zu schnell gefahren, 70 oder 80.“ Vor Ort habe er von „100 bis 120“ gesprochen, hält ihm Amtsrichterin Antonia Kuhli vor. Und auch seine Angaben, er habe sich provoziert gefühlt und könne sich das gar nicht erklären.

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Im Gerichtssaal hört sich das bis dahin alles ganz anders an. Schon auf dem Weg zur Ampel will C. den Polizeiwagen bemerkt haben, der aus der Glückaufstraße gekommen sei. Entsprechend hätte er sich natürlich nie auf etwas Verbotenes eingelassen. Der Audi sei ihm nicht aufgefallen, es habe weder einen Start mit quietschenden Reifen noch eine schnelle Fahrt gegeben. Die Polizisten seien nicht sehr freundlich gewesen, hätten ihn vor allem auch nicht belehrt, betont er mehrfach. Er sei zu einem Alkoholtest bereit gewesen, habe einen auf Drogen aber für illegal gehalten.

Angeklagter beklagt sich über Siegener Polizeibeamte

„Die haben mich nicht mal meine Familie oder meinen Anwalt anrufen lassen“, beklagt sich der Angeklagte, der „noch nie etwas mit dem Gericht zu tun“ hatte. Er will nur mit der anwesenden Beamtin kommuniziert haben, nicht mit ihrem Kollegen. Der hat allerdings die Anzeige mit den abweichenden Angaben geschrieben. „Hat er sich das alles nur ausgedacht?“, fragt die Vorsitzende. C. nickt. Sie könne verstehen, dass er sich unwohl fühle, dass die Anklage nicht angenehm sei und zudem noch die Einziehung seines Autos mit angegeben sei. Aber eine wahrheitsgemäße Aussage könne ein wichtiger Schritt sein, sich dem Kern und den eigentlichen rechtlichen Fragen zu nähern, sagt Kuhli.

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Der Verteidiger bittet um eine Pause. Danach kommt vom Angeklagten ein schlichtes „Ja“. Die Polizistin bestätigt die Angaben der Anklageschrift, hat sich am Tatmorgen vor allem gewundert, dass der Angeklagte aufgeregt und ungewöhnlich unkooperativ gewesen sei, „super uneinsichtig“. Zumindest den Führerschein zeigten die meisten Menschen vor, C. habe sich lange geweigert. Sie berichtet, dass der unbekannte Audifahrer nach wenigen Metern stark abgebremst habe, „wir haben daher den Angeklagten weiter verfolgt“.

Siegener Amtsrichterin: „Sie haben doch auch Kinder“

Auf Höhe des Kreiskrankenhauses habe sie 100 auf dem Tacho abgelesen, später waren es 140. „Da hat er sich noch schnell von uns entfernt“, betont die Zeugin. Bis dahin sei allerdings von ihnen weder Blaulicht noch Halteauforderung eingeschaltet gewesen. Die Polizistin geht daher nicht davon aus, dass C. bewusst vor dem Streifenwagen geflohen ist, sondern beim Bemerken der Signale direkt auf den Parkplatz fuhr.

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Das hilft dem Angeklagten – und auch, dass er bis auf eine Geschwindigkeitsübertretung 2018 keinerlei Voreintragungen aufweist. Dazu kommt, dass der vergleichsweise neue Straftatbestand des § 315d des StGB möglichst viele Fälle erfassen solle. „Sie haben doch auch Kinder“, weist Antonia Kuhli den C. auf die potenzielle Gefahr solcher Aktionen hin, die leider immer häufiger aufträten. „Da sind wohl die Pferde mit Ihnen durchgegangen. Aber Sie sind nicht der Einzige“, und es habe eben vermehrt auch Todesfälle gegeben. Glücklicherweise sei hier die Straße frei gewesen, „sonst säßen Sie ganz woanders“.

Polizisten gibt Gesamtstrecke von etwa 1 Kilometer Rasen durch Siegen an

Auch hier hilft dem Angeklagten die Aussage der Polizistin, die jede akute Gefährdung anderer ausgeschlossen und von einer Gesamtstrecke von maximal einem Kilometer gesprochen hat. Durch das schnelle Abbremsen des Audi hat das eigentliche Rennen aus Sicht von Staatsanwalt und Richterin nur sehr kurze Zeit gedauert. Schließlich habe die Beamtin als Beifahrerin auf den Tacho geschaut, der zudem nicht geeicht war, was noch einen gewissen Toleranzabzug erfordere.

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Die Beteiligten einigen sich schließlich auf eine Einstellung gegen Zahlung „eines Nettogehalts“ in fünf Raten an den Weißen Ring. Der Wagen wird nicht eingezogen, seine Fahrerlaubnis bekommt C. noch im Gerichtssaal zurück. Sie gehe davon aus, dass ihn dieses Erlebnis beeindruckt habe. Er habe fünf Monate nicht fahren dürfen und gemerkt: „so etwas landet vor dem Richter“, sagt Kuhli zum Angeklagten mit, der sichtlich aufatmet. „Prickelnd haben Sie sich nicht verhalten. Ich erwarte künftig verkehrsgerechtes Verhalten“, betont die Vorsitzende noch und will C. „nie wieder“ im Amtsgericht sehen.

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