Siegen. Trotz guter Wirtschaftslage und Beschäftigtenzahl liegt die Armutsquote in Siegen-Wittgenstein und Olpe laut Paritätischem über Bundesschnitt.

Der Anteil von als arm geltenden Menschen an der Gesamtbevölkerung lag 2018 in der Region Siegen-Wittgenstein und Olpe mit 15,6 Prozent im zweiten Jahr in Folge über dem Bundesdurchschnitt. Das geht aus dem Armutsbericht 2019 des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands hervor. Innerhalb der Zehnjahresperspektive sind dies seit 2008 die beiden einzigen Werte, die den Bundesschnitt überschreiten. Der Gesamtverband zählt die Region aber zur Kategorie der „Abgestiegenen“.

Auch interessant

Definition

Der Bericht stützt sich auf den Armutsbegriff der Europäischen Union. Demnach gilt „jede Person als einkommensarm, die mit ihrem Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegt“, wie in den Ausführungen erläutert ist. Ausschlaggebend ist das gesamte Nettoeinkommen des Haushalts einschließlich Wohngeld, Kindergeld, Kinderzuschlag, anderer Transferleistungen oder sonstiger Zuwendungen.

Armutsschwellen in Deutschland 2018 nach Angaben des Paritätischen Wohlfahrtsverbands.
Armutsschwellen in Deutschland 2018 nach Angaben des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. © WP

Die Armutsschwelle für einen kinderlosen Single liegt damit in Deutschland bei 1035 Euro, für ein Paar mit zwei jugendlichen Kindern bei 2588 Euro (siehe Tabelle). Diese auf nationaler Basis berechnete Armutsgrenze wird mitunter kritisiert, weil sie keine absolute Armut anhand von Merkmalen wie Obdachlosigkeit oder Nahrungsmangel erfasst, sondern relative Armut im Vergleich zur Gesellschaft, in der das betroffene Individuum lebt. Entscheidend sei aber die Möglichkeit zur Teilhabe gemäß des allgemeinen Lebensstandards, wie Horst Löwenberg, Kreisgruppengeschäftsführer des Paritätischen Siegen-Wittgenstein/Olpe, erklärt.

Einordnung

Den Begriff „die Abgestiegenen“ für die heimische Region „würde ich als Definition nicht unterstützen“, sagt Horst Löwenberg. 2018 lag die Quote mit 15,6 Prozent zwar leicht über dem Bundesschnitt (15,5 %), 2017 mit 16,6 % sogar deutlicher darüber (15,8 %); ansonsten lag sie seit 2008 aber darunter. „Wir müssen uns eher mit einer verfestigten Quote auseinandersetzen“, betont der Experte. „Sie fällt einfach nicht, und das trotz starker Konjunktur und guten Beschäftigtenzahlen.“ Außerdem dokumentiere der Bericht „die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich. Das ist das große Thema.“

Auch interessant

Regionales

Lokal ist die Einteilung der „Raumordnungsregionen“ eine Schwäche des Bundesberichts, weil Siegen-Wittgenstein und Olpe trotz aller Unterschiede zu einem Betrachtungsgebiet zusammengefasst sind. „Ich habe auch keine genaueren Zahlen“, räumt Horst Löwenberg ein, kann aus seiner langjährigen Erfahrung aber dennoch differenzieren. Das Bild entspräche dann eher dem, das sich regelmäßig im Arbeitsmarktbericht spiegelt – Siegen-Mitte mit schlechteren Werten, Wittgenstein und der Kreis Olpe mit besseren. „Wenn Siegen eine kreisfreie Stadt wäre, hätten wir ganz andere Zahlen“, schätzt der Kreisgruppengeschäftsführer. In Siegen zum Beispiel „haben wir ein Problem für Menschen mit niedrigen Einkommen, bezahlbaren Wohnraum zu finden“. In den ländlichen Bereichen ringsherum sei die Lage weniger angespannt.

Auch interessant

Gründe

Als Grund verfestigter und zunehmend häufigerer Armut nennt der Bericht ein – nach Einschätzung des Verbands – „armutspolitisches Versagen“. Der Nutzen der wirtschaftlich guten Entwicklung sei ungleich verteilt, und „es wäre Aufgabe dieses Sozialstaates dafür Sorge zu tragen, dass bei zunehmendem Wohlstand alle mitgenommen werden“. Statt dessen, auch dies eine Folgerung im Bericht, sei zu beobachten, dass Menschen mit finanziell schlechtem Hintergrund, niedrigen Bildungsabschlüssen und langjährigem Hartz-IV-Bezug ihre Situation oft nicht verbessern könnten. Hinzukommen Besonderheiten des Dienstleistungssektors, wie Horst Löwenberg ergänzt, „wo viele Menschen auf einem Lohnniveau arbeiten, mit dem man keine Familie versorgen kann“.

Auch interessant

Forderungen

Es sei vor allem „eine Frage des Mindesteinkommens“, sagt Horst Löwenberg. „Zwölf Euro stehen im Raum“, 14 Euro seien die Forderung des Paritätischen. Außerdem brauche es auch in zentralen Lagen ausreichend bezahlbaren Wohnraum und – gerade in den ländlichen Bereichen – einen funktionierenden ÖPNV; nicht nur, aber auch in der heimischen Region, um Menschen Teilhabe zu ermöglichen.

Mehr Nachrichten, Fotos und Videos aus dem Siegerland gibt es hier.

Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook.