Netphen. 500 Postkarten hat die Ruanda AG am Gymnasium Netphen verteilen lassen. Auf ihre Frage: „Was ist Glück?“ gab es viele bewegende Antworten.

Es kommt auf die Perspektive an: Der „Stairway to Happiness“ führt ins Lehrerzimmer. Und auf den Schulhof. Eigentlich ist der Name, den die Lehrerinnen Ursula Wussow und Giulia Gendolla der Installation im Treppenhaus des Gymnasiums geben, aber sowieso grundfalsch. Der Stairway i s t Happiness. 500 Postkarten hat die Ruanda AG in den Klassen verteilen lassen. Ihre Frage: Was ist Glück? Die Antworten: Vielfältigst. Von: „Glück ist für mich, wenn ich auf einer grünen Sommerwiese liege und meine Sorgen vergessen kann.“ Bis: „Glück erreicht man oft mit anderen, zum Beispiel im Lotto oder unter Wasser.“ Und ganz viel dazwischen.

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© WP | Sascha Kertzscher

Von der Kunst zum Glück

Die Ruanda AG, die seit 2015 die Partnerschaft mit der Root Foundation für Straßenkinder in Kigali pflegt, hat schon viel gemacht. Ein Multimedia-Projekt, die No-Plastics-Kampagne, mit Ausstellungen, Film, Theater und inzwischen auch immer wieder in Workshops, nicht nur für andere Schüler, sondern in den Hilchenbacher Klimawelten auch für Lehrer. Die Mädchen und Jungen wären vielfach preisgekrönt – wenn sie nicht den Staffelstab immer wieder an die nächste Schülergeneration weitergegeben hätten. Jetzt also der Griff zu den Sternen: „Ich finde die Vorstellungen, dass auf diese Weise Glück über Klassenräume hinaus und Kontinentalgrenzen hinweg Menschen verbindet, ganz wunderbar“, schreibt Elke Büdenbender. Die Ehefrau des Bundespräsidenten, die in Salchendorf aufgewachsen ist, ist Schirmherrin des neuen Projekts.

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Von Netphen nach Kigali

Was machen die Mädchen und Jungen in Kigali? Theater spielen, Geschichten schreiben, Singen, Fußball spielen – die Stiftung hat ein offenes Jugendzentrum für über 200 Kinder, denen der Schulbesuch ermöglicht wird, die sich hier stark fürs Leben machen und deren Eltern hier Unterstützung erfahren. „Or just being happy“, steht am Ende auf dem Schriftband des Videos, das in dem Netphener Klassenraum auf die Leinwand projiziert wird. „Not every child is free to be happy.“

500 dieser Karten sind in Netphen in Umlauf, die englische Version wird in  Kigali ausgefüllt.
500 dieser Karten sind in Netphen in Umlauf, die englische Version wird in Kigali ausgefüllt. © Stadt Netphen

Wenn das mit dem Skypen klappen würde, wäre jetzt der Moment für den Austausch – auf Englisch oder auch auf Deutsch, denn die Stiftung hat immer auch deutsche Freiwillige im Haus und neuerdings auch einen deutschen Partnerverein. Weil das Netz zu schwach ist und das Skypen nicht klappt, können die beiden Netphener Gruppen miteinander reden – allzuoft passiert auch das nicht: Theater ist mittwochs, Ruanda donnerstags.

Hoffnungsträger

„Mach dir ein Bild“ hieß 2015 das erste Auf-Augenhöhe-Projekt mit den Kindern der Root Foundation in Kigali/Ruanda, damals noch getragen von der Realschule Am Kreuzberg.

Das Projekt wurde mit dem Ehrentitel „Hoffnungsträger“ der Kindernothilfe ausgezeichnet.

Von Kigali nach Netphen

An der Tafel hängt ein großer symbolischer Scheck: 1000 Euro, die nach Kigali überwiesen werden, sind bei einem Workshop zusammengekommen, noch aus dem alten No-Plastics-Projekt. „Ich hätte nicht gedacht, dass die so viel gegeben hätten“, meint eine Schülerin, „das kann man jetzt auch Glück nennen.“ Im Ernst: Was ist denn für die Kinder in Kigali, die – getreu dem Projekt-Motto „Auf Augenhöhe“ – ebenfalls Theater machen, Glück? Belly Dance, schreibt jemand. Reading. Eating Meat. „Sachen, die für uns relativ normal sind“, wirft ein Schüler ein. „Wir würden uns einfach ein Buch kaufen“, sagt eine. „Die müssen erst das Geld dafür haben“, setzt ihre Sitznachbarin fort. „Und überhaupt lesen können.“

Unterschiede fallen schnell auf. Die Freiheit, spontan Spaß zu haben, zu tanzen. „Bei uns muss man dafür in einen Club gehen.“ Die Unabhängigkeit von materiellem Besitz. „Die können leben, obwohl sie nicht so viel Geld haben.“ Und: „Hier ist man eifersüchtig auf das Handy des anderen, da hat man zusammen Spaß.“ Mancher Vergleich hört sich auch nach einem unausgesprochenen Wunsch an: „Es ist gut, dass alle sich gegenseitig akzeptieren.“

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Vom Theater zum Stairway

Theaterpädagogin Giulia Gendolla, die die Ruanda AG schon im vergangenen Jahr bei ihrem Stück begleitet hat, bringt nun mit 19 Fünft- bis Neuntklässlern in der neuen Theater AG Form ins Thema. „Wir arbeiten noch viel an der Basis“, sagt sie. Stimmbildung, Körperübungen. Ein Schattenspiel entsteht. Und eine Szenenfolge frei nach, natürlich, „Hans im Glück“. Mit sehr eigenen Variationen. Dieser Hans tauscht nicht das Schwein gegen die Gans, sondern das Handy gegen das Festnetztelefon. Zwei Tanzworkshops werden im Januar und im Februar folgen, das Engagement von Kevin Kilonzo finanziert die Ruanda AG aus ihrem Preisgeld. „Das alles wird als Collage zusammengeführt“, kündigt Giulia Gendolla an – einschließlich der Beiträge aus Kigali, die als Ton- und Videodatei nach Netphen kommen. Am 8. Mai ist die große Aufführung. Mit der Schirmherrin als besonderem Gast.

Auch der Abstieg vom Stairway to Happiness braucht seine Zeit. „Gerade die Kleinen haben tolle Visionen“, sagt Ursula Wussow – manche ziemlich philosophisch. So was wie: „Glück ist für mich nur ein kurzer, flüchtiger Moment.“ Aber dann doch auch wieder ziemlich irdisch wie die unverkennbare Mädchen-Handschrift, die das Schwärmen vom Glück auf dem Rücken der Pferde ausdrückt. „Das würde kein Kind in Ruanda schreiben“, ahnt Ursula Wussow.

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