Siegen. Menschen jüdischen Glaubens wurden in der NS-Zeit von Siegen aus in Zwangsarbeitslager und KZ deportiert. Daran erinnert eine neue Gedenktafel.

Menschen wie Waren gepfercht in Güterwaggons. Unzählige dieser Deportationszüge rollten während der NS-Zeit von deutschen Bahnhöfen los, transportierten Menschen in den Tod. Auch von Siegen. An Gleis 4 des Siegener Bahnhofs – hier mussten die Menschen die Züge besteigen – erinnert auf Initiative des Aktiven Museums Südwestfalen eine neue Gedenktafel an die vorwiegend jüdischen Menschen aus Stadt und Region, die von der Gewaltherrschaft der Nazis gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen. Einfach nur, weil sie jüdisch waren.

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„Der Abtransport von Menschen in Viehwaggons Richtung Vernichtungslager symbolisiert wie wenige andere Bilder das grauenhafteste und dunkelste Kapitel unserer deutschen Geschichte“, sagt Bürgermeister Steffen Mues. Dieses Kapitel sei nie abgeschlossen und gerade heute umso wichtiger, da erschreckend häufig gefordert werde, elementare Grundrechte außer Kraft zu setzen; Dinge, die die Väter und Mütter des Grundgesetzes in die Verfassung geschrieben haben, eben weil sie aus der Nazi-Diktatur gelernt hatten. „Grundrechte außer Kraft zu setzen ist der Anfang davon, dass eine Willkürherrschaft überhaupt erst entstehen kann“, fordert Mues jeden Einzelnen dazu auf, sich dem frühzeitig entgegenzustellen. „Dieses Vergessen macht mir am meisten Sorgen.“

Die Deportationen

28. April 1942: 44 jüdische Menschen aus dem ehemaligen Kreis Siegen, 66 aus Wittgenstein, fast 800 Menschen aus dem Regierungsbezirk Arnsberg wurden in die Vernichtungslager Belcec, Majdanek und Sobibor deportiert, wo sie den Tod fanden.

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27. Juli 1942: 65 jüdische, meist ältere Menschen aus Siegen und Wittgenstein wurden nach Theresienstadt gebracht. Die meisten starben dort oder in Auschwitz und Treblinka, einige überlebten. Die Eheleute Sueßmann und Hermann aus Siegen nahmen sich vor der Deportation das Leben.

Am 1. März 1943 fuhr ein Zug von Stuttgart über Siegen nach Auschwitz; 1500 Menschen darin, 15 mussten in Siegen einsteigen.

Am 29. September 1944 wurden Menschen, die Teil einer „Mischehe“ waren, Richtung Zwangsarbeitslager Kassel-Bettenhausen deportiert.

Die „Mischehen“-Opfer

Die „Nürnberger Rassegesetze“ teilten deutsche Staatsangehörige ab 1935 in Kategorien ein, der „Arierparagraf“ grenzte an erster Stelle die jüdische Bevölkerung aus, erläutert Traute Fries, Aktives Museum. Ausschlaggebend dafür war die Religionszugehörigkeit der Vorfahren. „Privilegierte“ und „nicht privilegierte Mischehen“ bzw. „jüdisch Versippte“ war der ideologisch verbrämte Sprachgebrauch des Nazi-Regimes. Obwohl die Nazis Mischehen hatten zwangsauflösen wollen, blieben schätzungsweise 93 Prozent dieser Ehen intakt, die Repressionen wurden daraufhin systematisch verschärft. 1944 wurden „jüdische Partner zur Zwangsarbeit verpflichtet, und die ‘deutschblütigen’ Ehemänner in Arbeitslager eingewiesen“, so Fries.

Erste Gedenktafel vor 30 Jahren

Traute Fries’ Vater Wilhelm Fries hat jüdische und jüdischstämmige Familien aus Siegen zum Bahnhof begleitet, sie an Gleis 4 verabschiedet. Oft in den Tod.

Er und Klaus Dietermann, Mitgründer des Aktiven Museums, haben maßgeblich die lange verschwiegene Geschichte des Nationalsozialismus im Siegerland ans Licht gebracht und vor 30 Jahren dafür gesorgt, dass eine erste Gedenktafel an Gleis 4 angebracht wurde.

Annemarie Meyer (1900-1976) geb. Sueßmann kam zur Zwangsarbeit in die Klöckner-Werke Hagen-Haspe. Ihr „arischer“ Mann Hermann und ihr ältester Sohn Klaus folgten. Lehrer Hermann Meyer hatte seine Frau nicht verlassen, dafür wurde er 1937 von der Oberrealschule Weidenau entlassen. Nach 1945 wurde die Familie wieder vereint.

Jenny Juncker (1906-1990) geb. Kahn sollte aus Bettenhausen nach Theresienstadt überstellt werden, ihr Mann Albert holte sie während eines Bombenangriffs Anfang 1945 in einer waghalsigen Aktion aus dem Lager und versteckte sie bis Kriegsende.

Anna Brückmann (1896-unbekannt) geb. Frank war mit Friedrich Brückmann verheiratet, er soll sich während der Zeit der Trennung einer anderen Frau zugewandt haben. Ihr Verbleib ist unbekannt.

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Friedrich Jochum (1883-1956) musste in Bettelhausen Zwangsarbeit leisten, Sohn Gerhard war zur Wehrmacht eingezogen worden. Wegen Entzündungen der Kniegelenke wurde er im Dezember 1944 entlassen, auch, weil seine Kinder sich massiv für die Rückkehr eingesetzt hatten. Gerhard Jochum fiel.

Ebenfalls deportiert wurden Paula Mayer (1895-1984) geb. Schönthal, Johanna Burgmann (1885-1954) geb. Wertheim, Ilse Dörner (1904-1982) geb. Jacobi und Selma Jung (1877-1952) geb. Frank.

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