Siegen. Ge(h)denken zum Jahrestag der Bombardierung Siegens: Das Bruchwerk-Theater erinnert mit einem szenischen Rundgang an Zwangsarbeiter im Siegerland
Große Teile des historischen Siegener Stadtkerns werden am 16. Dezember 1944 durch einen alliierten Luftangriff zerstört. Viele Menschen sterben, andere verlieren ihre Arbeit, stehen vor dem Nichts. Jedes Jahr wird daran erinnert und gedacht, mit offiziellen Veranstaltungen und Kranzniederlegungen.
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„Das hatte ja eine Vorgeschichte. Erst die Herrenrasse, dann der große Sch…“, sagt Peer Ball vom Jungen Theater Siegen. Das hat für den Sonntag eine szenische Führung einstudiert, mit dem ein Teil des „Davor“ ins Gedächtnis gerufen werden soll. Die Zwangsarbeit im Siegerland. Um 16 Uhr öffnen sich die Türen des Bruchwerk-Theaters für die erste Handvoll Zuschauer, die sich im Lauf der nächsten Minuten deutlich vergrößert. Auf dem kleinen Rundgang gibt es einige Schautafeln, vor allem aber acht Jugendliche, die praktisch in Endlosschleifen die Schicksale von Zeitzeugen lebendig werden lassen. Menschen mit sehr unterschiedlichen Schicksalen, Täter, Opfer, Mitläufer.
Die Zeitzeugen
1. Da warten zwei junge Frauen (Katrin Prott und Yasmin Alloui), die Geschichten zweier Zwangsarbeiterinnen aus Minsk wiedergeben, die Peer Ball dafür in ihrer Heimat besucht hat. Sie waren nicht glücklich, ihre Heimat verlassen zu müssen. Aber sie hatten das Glück, bei gütigen Bauern im Westerwald unterzukommen, wo sie menschlich behandelt wurden, als Teil der Familie betrachtet.
2. Rebecca Müller im übernächsten Raum verkörpert den bitteren Gegensatz dazu. Mit leiser Stimme berichtet sie die Erinnerungen eines Kindes, das mit drei Monaten starb. Weil die Mutter, die auch nicht überlebte und von den Bewachern zur Zwangsprostitution gezwungen wurde, weder Zeit noch Mittel hatte, ihr Kind zu versorgen.
Gelebt, aber nicht existiert
Was die Zuschauer im dunklen Saal noch betroffener macht: Ein Erlass des Bundesinnenministeriums aus der Nachkriegszeit sorgte für eine Streichung der Namen aller Kinder unter einem Jahr aus den Listen und von den Grabsteinen. Sie hat gelebt, aber sie existiert nicht mehr. Allein 14 Kinder seien es im Lager in Dreis-Tiefenbach gewesen.
3. Gegenüber sitzt Isabell Schreiber als „die Mitläuferin“, die darauf besteht, dass von Fremd- und nicht von Zwangsarbeitern gesprochen wird. Ja, sicher hatten die es schwer, aber andere ja auch. Als sie vom Bombenangriff erzählt, da ist es eher das Bedauern um den Verlust des Arbeitsplatzes und das Nichtwiedersehen mit den Kollegen – „jeder musste ja jetzt sehen, wo er blieb“ – der für Tränen sorgt. Weniger die Leichen der beiden Russen, die es nicht rechtzeitig in einen Schutzraum geschafft hatten.
Theater zu Ge(h)-Denken
Montag um 20 Uhr geben das Bruchwerk-Theater, das Junge Apollo und das Junge Theater Siegen Einblicke in das Leben in Siegen zur Kriegszeit und setzen sich mit dem Sinn des Erinnerns auseinander.
4. Eine andere Frau (Jenny Baum Chacon) ist couragiert gewesen, hat den Zwangsarbeitern Essen zugesteckt, sich dafür Ärger mit der Obrigkeit eingehandelt.
5. Hannes Wagener spielt „den Verwalter“, der kühl Nutzen und Kosten der Russen aus Sicht der heimischen Unternehmen gegeneinander aufrechnet und dabei wohl nicht zufällig an einen Konferenztisch bittet.
6. Und am Ende oder anfang des Rundgangs, je nachdem, wo der Besucher beginnt, sitzt Frauke Ley als frustrierter Ex-Soldat, der einen schweren Krieg gegen das „Gesocks“ aus dem Osten hinter sich hat, die Leute noch in der Heimat ertragen und dann den Bombenmüll der Alliierten wegräumen musste. Und jetzt meldet sich tatsächlich noch der Kreis, weil es hier und da einmal zu Härten gegen die faulen Zwangsarbeiter gekommen ist…
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Die Veranstalter
All das findet gleichzeitig statt, macht es für die Besucher durchaus schwierig, alles zu hören und zu verstehen. Das habe zum Teil mit der begrenzten Örtlichkeit zu tun, erklärt Peer Ball. „Die Jugendlichen wollten es aber auch so“, betont er. Es gehe um die unterschiedlichen Blicke und Auffassungen der Gruppen, die ihre Meinung verträten, gar nicht zuhören oder gar lernen wollten. Zu 90 Prozent sei Ulrich Opfermanns Buch über die Zwangsarbeiter als Grundlage verwendet worden, dazu die von seiner Frau und ihm geführten Zeitzeugengespräche, sagt Ball.
Mit dabei waren unter anderem auch Traute Fries und das Aktive Museum Südwestfalen. Zunächst ist nur diese eine Aufführung geplant. Mittelfristig wollten die Jugendlichen, die das Thema selbst angeregt hätten, aber ein komplettes Theaterstück daraus machen. Eine gute Idee.
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