Siegen-Wittgenstein. Haushaltsdebatte im Siege-Wittgensteiner Kreistag: Wegen der „Gemengelage“ lehnt die CDU den Etat ab.

Das Bild im Geisweider Ratssaal war ungewohnt: An der Seite von Landrat Andreas Müller hatte nicht, wie üblich, seine erste Stellvertreterin Jutta Capito (CDU) Platz genommen, sondern der Kreuztaler Bürgermeister Walter Kiß. Und in zwei vorderen Reihen der Tribüne hatten die nahezu komplette Riege der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, der Kämmerinnen und Kämmerer Platz genommen.

Landrat und Bürgermeister

Sie demonstrierten Präsenz, als Kiß in seiner Funktion als Vorsitzender der Bürgermeisterkonferenz erstmals persönlich – das machte eine Änderung der Kreisordnung möglich – den Haushalt des Kreises auseinandernahm. Dass er nach dem Landrat und vor dem Kämmerer das Wort ergreifen sollte, nahm Kiß zur Kenntnis: „Man weiß, was kommen soll.“ Sein (SPD-)Parteifreund Müller allerdings auch: In Wirklichkeit kämen Kommunen und Kreis „weit weg von irgendwelchem Getöse“ gut miteinander aus.

„Keine neuen Punkte entdeckt“: Walter Kiß spricht, Kämmerer Thomas Damm und Landrat Andreas Müller (von links) hören zu.
„Keine neuen Punkte entdeckt“: Walter Kiß spricht, Kämmerer Thomas Damm und Landrat Andreas Müller (von links) hören zu. © Steffen Schwab

Die Kritik, der Kreis eigne sich Aufgaben an, die Sache der Kommunen seien, bezeichnete Müller schon vorab als „Kirchturmsdenken“. Und Kämmerer Thomas Damm war hinterher ganz knapp. In der Rede des Kreuztaler Bürgermeisters habe er „keine neuen Punkte entdeckt“. Von seinen Kolleginnen und Kollegen bekam Kiß gedämpften Beifall – ein Zeichen sehr zivilen Ungehorsams. Man wisse, was sich gehört, erklärte hinterher Wilnsdorfs Bürgermeisterin Christa Schuppler, die mit Kämmerer Daniel Denkert als einzige die ganze Strecke über mehr als vier Stunden ausgeharrt hatte: Beifalls- und Missfallenskundgebungen seien in diesen Gremien nun einmal verboten.

Landrat Andreas Müller eröffnete die letzte Haushaltsdebatte der Wahlperiode mit einer Rede, die durchaus als Bilanz seiner Amtszeit verstanden werden konnte. .„Wir haben in den letzten Jahren wirklich viel erreicht. Das ist alles kein Zufall, sondern das Ergebnis harter Arbeit“, sagte Müller, „Siegen-Wittgenstein soll der Ort zum Wohnen und Arbeiten, der Ort zum Wohlfühlen für alle Menschen sein, die hier leben, völlig unabhängig davon , wo sie einmal geboren worden sind, in Salchendorf, im Sauerland oder in Syrien.“

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Die Fraktionen

CDU

Entsprechend verstand auch Bernd Brandemann (CDU) die Verabschiedung des Haushalts als Anlass zur Generalabrechnung: „Selbstinszenierung spielt die prägende Rolle“, urteilte Brandemann über die Amtsführung des Landrats, „Abschottung ist Markenzeichen nach innen, nach außen gilt prächtige Fassade.“ Beispielhaft nannte der CDU-Fraktionschef die Jugendbeteiligungskonferenzen, für die Müller einen Wahlkampfberater der NRW-SPD als Moderator engagiert habe. Und die Haushaltsbefragung zum öffentliche Nahverkehr: Auf der Antwortkarte sei das Bild des Landrats größer gewesen als das für Anmerkungen ausfüllbare Feld. „Das sachliche Anliegen wird verkehrt in eine Personalityshow.“ Das sei „mehr als peinlich“. Die „Gemengelage“, so Brandemann, führe dazu, dass die CDU den Haushalt ablehne, und verwies auf den Wahltermin: „wir freuen uns für Siegen-Wittgenstein auf einen Neuanfang nach dem 13. September.“

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SPD

Michael Sittler (SPD) sah das alles anders: Mit Andreas Müller habe der Politikwechsel „in diesem Haus Einzug gehalten“. Der Kreis werde nicht mehr in „Gutsherrenmanier“ geführt. „Wir haben einen Landrat, der zuhört“. „Altlasten“ habe Müllers Vorgänger Paul Breuer hinterlassen“: „Medienwirksamkeit war ausschlaggebend“, sagte Sittler mit Blick auf das Wisentprojekt. Von dem von CDU-Fraktionschef Brandemann geführten Gremium zur Haushaltskonsolidierung seien „bis heute keine Vorschläge bekannt“. Ergebnislos sei auch das von dem früheren Kreisdirektor betriebene Projekt „Pro Siwi“ geblieben: „Es wurden ein paar Putzfrauen entlassen und durch Reinigungsunternehmen ersetzt.“ Beim öffentlichen Nahverkehr liege es auf der Hand, dass Busfahrer für ein kommunales Unternehmen leichter zu bekommen seien als für ein privates. Der CDU-geführten Ratsmehrheit in Siegen bescheinigte Sittler „relativ wenig Anstrengungen“ zur Verbesserung der Verkehrssituation: Ohne Busspuren stünden die Busse dort im Stau. Vor diesem Hintergrund die Machbarkeitsstudie für eine Seilbahn abzulehnen, sei „unglaubwürdig“.

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Steffen Schwab
Von Steffen Schwab

Grüne

Christiane Berlin (Grüne) sprach den Neubau für die Kreisverwaltung („muss noch einmal ausgiebig besprochen werden“) und die Talsperren-Machbarkeitsstudie an: Ein Standort im Elberndorfer Bachtal bei Hilchenbach wäre „„ökologisch völlig unverantwortlich“. Thema Nahverkehr: „Wir sind alle einig, dass jetzt ganz schnell eine Lösung her muss.“ Ebenfalls schnell müsse eine Fachklasse für Erzieherinnen am Berufskolleg in Bad Berleburg eingerichtet werden. Dass das nicht möglich sein solle, „leuchtet mir nicht ein.“

FDP

Guido Müller (FDP) gratulierte der designierten Grünen-Fraktionssprecherin etwas vergiftet: Die Grünen hätten in dieser Wahlperiode nun bereits mehr Sprecherinnen gehabt als die Bundes-SPD Vorsitzende. Die Wahlperiode, räumte Müller ein, sei mit sechseinhalb Jahren aber auch überlang: „Man merkt die Ermüdung.“ Immerhin versuchte Müller eine Erklärung für die „Wohlfühlentscheidungen“ des Kreistags: Die seien wohl der „Sandwich“-Rolle des Kreises geschuldet: das ungeliebte Toastbrot zwischen Wurst und Käse, das sich unentbehrlich machen muss. Als „ganz großen Quatsch“ bezeichnete Müller den 1000-(Photovoltaik)-Dächer-Antrag von SPD und Grünen und die vorgesehenen Zuschüsse für Vermieter preisgünstiger Wohnungen – das und den eingeplanten Extra-ÖPNV-Zuschuss von 2,5 Millionen Euro waren für die FDP Gründe, zusammen mit der CDU den Haushalt abzulehnen.

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UWG

Hans Günter Bertelmann (UWG) ging unter anderem auf das Nahverkehrsthema ein. Auch heute laufe der Kreis Gefahr, bei einer Rekommunalisierung Eigentümer eines Verkehrsunternehmens ohne Linienkonzessionen zu werden – das sei 2005 einer der Gründe gewesen, die VWS zu privatisieren. „Mutig“ sei die Senkung des Kreisumlage-Hebesatzes. „Noch einmal auf den Prüfstand“ gehöre der Verwaltungsneubau.

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Linke

Ullrich Georgi (Linke) übte mit seiner Fraktion Stimmenthaltung – die 26:23-Mehrheit für den Haushalt wäre sonst noch knapper geworden. Mit attraktiverem ÖPNV müssten Menschen ihre Suche nach bezahlbarem Wohnraum nicht auf die Siegener Stadtmitte konzentrieren. Der Systemwechsel sei angesichts des massenhaften Schüler-, demnächst Familienticket-Kaufs durch den Kreis und andere Zuschusszahlungen sowieso längst vollzogen. „Da noch von Eigenwirtschaftlichkeit zu reden, gelingt uns nicht.“ Kritisch äußerte sich Georgi zu Einsparaufforderungen: Freiwillige Leistungen gebe es „überhaupt nicht“. Auch Kultur (Georgi zu Guido Müller: „Selbst deine kabarettistischen Leistungen zähle ich dazu“) gehöre einer „lebens- und liebenswerten Region“. Verzichtbar sei dagegen die finanzielle Beteiligung am Campus Unteres Schloss: Die Finanzierung der Uni sei allein Sache des Landes.

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