Siegen. S-Klassik, erstmals unter dem Dirigat von Nabil Shehata, entfacht mit Werken von Carl Maria von Weber und Beethoven Stürme der Begeisterung.
So neugierig und voller Vorfreude war das Apollo-Publikum noch nie. Der Neue ist da. Endlich. Zwar hatte sich Nabil Shehata schon einmal dem Siegener Publikum vorgestellt. Das war kurz vor Weihnachten und er war einer der Kandidaten für den Chefposten der Philharmonie Südwestfalen.
Nun ist er der Chef. Sein Konterfei ziert gleich zweimal die Einladungskarte der Sparkasse Siegen, die traditionell immer Mitte September mit dem S-Klassik-Konzert die Saison der Philharmonie Südwestfalen eröffnet. Mit klug zusammengestellter musikalischer Parallelität. Denn die Komponisten des Abends, Carl Maria von Weber und Ludwig van Beethoven, waren fast auf ihr Geburts- und Sterbejahr genau Zeitgenossen.
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Entspannend wie ein Heubad
Carl Maria von Weber, der Nachwelt eher bekannt durch seine Opern, schrieb seine 1. Symphonie mit 20 Jahren. Im klassischen Aufbau von vier Sätzen mit ruhigen über tänzerische Teile bis zu einem Finale Furioso im festlichen C-Dur. Vor allem der 2. Satz, der entspannend wie ein Heubad daherkommt, gibt dem Oboisten und später auch der Flötistin viel Raum für solistischen Glanz. Und Nabil Shehata? Er besticht durch exaktes Dirigat, wenn es nötig, gefühlvolles Dirigieren in großen Bögen, wenn es möglich ist. Alles wohltuend zurückhaltend und immer zeigend: Die Hauptakteure sind die Musiker.
Große Namen
S-Klassik wurde auf Anregung des Fördervereins der Philharmonie Südwestfalen und aus Anlass des 150-jährigen Bestehens der Sparkasse Siegen im Jahr 1992 gestartet.
Oft waren Weltstars zu Gast: Die Pianisten Alexis Weissenberg und Rudolf Buchbinder, Geiger Frank Peter Zimmermann, Klarinettistin Sabine Meyer, Percussion-Zauberer Martin Grubinger.
Was muss das ein Kampf für Ludwig van Beethoven gewesen sein, seine 9. und damit letzte Symphonie zu komponieren? Drei Jahre vor seinem Tod und schon seit sechs Jahren völlig taub. Und dennoch ist dem Meister eine der größten, festlichsten und bekanntesten Klang-Zaubereien der Musikgeschichte gelungen. Eine Zeit lang deutsche Nationalhymne, bei drei olympischen Spielen der 1960er Jahre auch die Hymne der damals noch gemeinsamen Olympiamannschaften der BRD und DDR und aktuell als Europahymne immer wieder gerne gehört. Dass sie manchmal von Reiseorchestern lustlos hinuntergefiedelt und von sogenannten Opernchören verhunzt wurde, hat dieser Symphonie mehr geschadet als genutzt.
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Gänsehaut-Momente bei Beethoven
Doch nach dem S-Klassik–Konzert im Apollo bleibt nur eine wunderbare Erkenntnis: Ludwig van Beethovens letzte Symphonie ist wiederauferstanden, und das mit neuer Frische und in herrlichem Glanz. Schon in den ersten Sätzen bestechen die Philharmoniker mit Dynamik und Transparenz. Nicht nur bei den vielen Fortissimi, in denen sie alles an instrumentaler Kraft herausholen dürfen. Vor allem auch bei den ganz stillen Passagen, wenn die feinsten Pizzicati der Streicher noch in den letzten Saalreihen zu hören sind.
Doch alle warten auf den 4. Satz. Welche grandiose Idee Beethovens, jetzt die tiefen Streicher das Kommando übernehmen zu lassen. Sie spielen „Freude schöner Götterfunken“ als erste, die Erkennungsmelodie, in die dann nach und nach andere Instrumentengruppen einstimmen. Wenn dann die Blechbläser und Schlagwerk mit voller Klangwucht hinzukommen, entstehen die ersten Gänsehaut-Momente. „Nicht diese Töne“, singt der Bariton, „lasst uns angenehmere anstimmen.“ „Freude schöner Götterfunken“, antwortet der Chor. Das anschließende Solo-Quartett gehört zum schönsten, was auf Bühnen zu hören ist. Im Apollo perfekt intoniert von Kathrin Zukowski (Sopran), Irena Weber (Mezzosopran), David Jagodic (Tenor) und Frederik Tucker (Bass).
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Ein Auftakt nach Maß
Beim Chor haben die Verantwortlichen sich und dem Publikum das Beste vom Besten gegönnt: den Kölner Rundfunkchor. Ein Stimmensemble von unfassbarer Präsenz, Transparenz und Flexibilität. Denn auch die Bässe müssen Höhen erklimmen, bei denen es wehtut. Und wenn dann alle loslegen, werden den Emotionen keine Grenzen gesetzt. „Seid umschlungen Millionen“, singen die Choristen. Da möchte man, dass die Zeit für einen Moment stehen bleibt, und mancher im Saal reibt sich verstohlen die Augen. Um dann bei der anschließenden Doppelfuge nur noch eins zu tun: voller Ehrfurcht zu staunen.
Und Nabil Shehata? Er hat dirigierend und fast unmerklich mitsingend alles und alle im Griff: Seine großartigen Musiker, den Chor, die Solisten. Ein Auftakt nach Maß. Das spürt auch das Publikum, das nach dem letzten Ton sofort von den neuen Apollo-Sesseln aufspringt und minutenlang rhythmisch applaudiert.
Für das Konzert am Freitag, 20. September, 20 Uhr sind eventuell noch Restkarten an der Kasse zu haben. Für Sonntag, 22. September, 19 Uhr vermeldet das Apollo ebenfalls ein Ticketkontingent.
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