Siegen-Wittgenstein. . Kosten, Kapazitäten, Klimawandel: Verkehrssystem in Siegen-Wittgenstein vor Herausforderungen. In der Stadt ist es zu eng, auf dem Land zu teuer.

Die Verkehrswege sind ausgelastet. Platz für neue Fahrspuren, geschweige denn Straßen gibt es kaum. Die Zahl der Autos ist unvermindert hoch, die Fahrzeuge werden immer größer und breiter. An manchen Stellen in der Region steht das Verkehrssystem kurz vor dem Kollaps, etwa zu Stoßzeiten auf der Frankfurter Straße in Siegen oder am HTS-Abzweig Kreuztal.

In zentralen Siedlungsbereichen gibt es ein Platz-, in den ländlichen Gebieten ein Kostenproblem – denn hier rentiert sich Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) wegen zu geringer Fahrgastzahlen nicht, die Menschen sind aufs Auto angewiesen. Der Kreis möchte mit seinem Mobilitätskonzept diese Herausforderungen angehen – mit Blick auf Kosten, Kapazitäten und den Klimawandel. Und nicht zuletzt Zeit – denn die Mobilitätswende in einer Region wie Siegen-Wittgenstein braucht Akzeptanz.

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Das Problem

„Der Streit um den Verkehrsraum wird zunehmen“, sagt Landrat Andreas Müller – dort, wo es eng ist, muss er wohl oder übel neu aufgeteilt werden, wenn neben dem Auto weitere Verkehrsmittel zum Einsatz kommen sollen. „So lange man dem Auto 100 Prozent zuordnet, wird keiner auf Bus oder Fahrrad umsteigen“ – eine Zwickmühle. Denn die derzeitige, auf Autos ausgelegte Infrastruktur ist wenig attraktiv für einen Umstieg auf Rad oder Bus. Auch hier geht es um Platz und Geld: „Jede Million fürs Rad wird nicht für den Autoverkehr ausgegeben“, sagt Müller.

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Neue Konzepte

„Wir müssen die Welt nicht neu erfinden, aber wenn es gute Ideen gibt, die funktionieren, können wir sie adaptieren.“ Landrat Andreas Müller

Alltagsradverkehrsnetz

In einigen Rathäusern beginnt ein zaghaftes Umdenken. Kreuztal und Wilnsdorf zum Beispiel haben damit begonnen, Radverkehrskonzepte zu erarbeiten, um das Fahrrad auch im Alltag verlässlich einsetzen zu können. „Derzeit sind die Radwege hauptsächlich touristisch geprägt“, sagt der Landrat. In Siegen gibt es aber beispielsweise die Idee eines Radschnellwegs vom Bahnhof ins Gewerbegebiet Oberes Leimbachtal.

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Carsharing auf dem Land lohnt nicht – oder?

Autos nicht besitzen, sondern nutzen, wenn sie benötigt werden – eine notwendige Ergänzung, findet der Landrat. Seine Behörde macht den ersten Schritt und vermietet künftig Dienstfahrzeuge außerhalb der Arbeitszeiten auch an die Öffentlichkeit. Siegen sei bislang nicht attraktiv genug für die großen Anbieter. Das sogenannte „Corporate Carsharing“ sei eine Möglichkeit, dies in der Region zu testen. „Wir werden beobachten, wie das Angebot angenommen wird und daraus lernen“, sagt Müller. Der Kreis hofft auf positive Effekte, dass womöglich Unternehmen das Modell aufgreifen und ihre Fahrzeugflotten außerhalb der Arbeitszeiten verleihen.

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Das Bussystem ist ausgereizt

„Ich setze sehr große Erwartungen in die Digitalisierung“, sagt Müller. Schon heute sind die Anforderungen an den ÖPNV auf dem Land ganz andere als in der Stadt – wegen geringer Fahrgastzahlen werden dort Taxi- statt Großraumbusse eingesetzt, weil das die Kosten senkt. Das System könnte weitergedacht werden: „On Demand-Ridepooling“, kleinere Fahrzeuge, unterwegs im ländlichen Raum, die per App bestellt werden können – und die womöglich eines Tages auch vom Computer gesteuert werden, nicht mehr von einem Fahrer. Gleichzeitig seien die Linien im städtischen Raum ausgereizt, „es gibt kaum noch Möglichkeiten für Verbesserungen – wir müssen uns im Gegenteil Gedanken machen, wie wir Leistungen dauerhaft erhalten können“, sagt Müller.

Der Kreis zahlt jährlich rund 20 Millionen Euro für den Betrieb des derzeitigen Bus-Systems. ÖPNV ist nur dann attraktiv, wenn er eine Alternative zum Auto ist – also auch günstiger. Weil das System quantitativ kaum noch aufgestockt werden kann, soll künftig die Qualität gesteigert werden: Barrierefreiheit, dynamische Fahrzeitanzeigen, Mobilitätszentrale, Mobilstationen als Schnittstelle zwischen Bus, Bahn, Fahrrad und E-Bike. Bei diesem neuen Themenfeld kann der Kreis als Koordinator wirken: „Bislang haben wir diese Aufgabe nicht wahrgenommen. Jetzt gibt es dafür einen Haushaltstitel“, so Müller.

Seilbahn als urbanes Verkehrsmittel

In vielen südamerikanischen Metropolen sind Seilbahnen längst nicht mehr nur eine Touristenattraktion, sondern entlasten als urbanes Verkehrsmittel die Straßen. „Da schweben ganze Liniennetze über Städten, die topografisch ähnliche Probleme haben wie Siegen“, sagt Müller. München hat gerade eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, ob eine Seilbahn über dem Frankfurter Ring eine Lösung für das Verkehrschaos dort sein könnte. Vorstellbar wäre das auch in Siegen, etwa entlang der bestehenden HTS-Trasse.

Die ist ja ohnehin schon Verkehrsraum, der für das Projekt lediglich in die Höhe erweitert würde. Ähnliche Überlegungen, um Studierende vom Bahnhof Weidenau den Haardter Berg hoch zur Uni zu bringen, scheiterten auch daran, dass die Trasse über Privatgrundstücke geführt hätte – Gondeln über der Schnellstraße hätten dieses Problem nicht. Weiterer Vorteil: Die Kosten sind deutlich günstiger als beim Tief- und Straßenbau – und es geht schneller. „In ein paar Jahren wird sich in München zeigen, ob es funktioniert“, sagt Andreas Müller. Im Kreishaus werden sie das genau beobachten.