Siegen-Wittgenstein. . Vom „On-Demand-Ridepooling“ bis zum Cargo-Bike als Ersatz für das Elterntaxi zur Schule: Der Kreis macht Vorschläge für Mobilität der Zukunft.

17 konkrete Projektempfehlungen in fünf Themenfeldern enthält das Mobilitätskonzept des Kreises Siegen-Wittgenstein, das in den vergangenen 24 Monaten erarbeitet wurde. Die Kreisverwaltung hat das 166 Seiten starke Konzept jetzt vorgelegt. In den kommenden Wochen wird es in verschiedenen Ausschüssen beraten, bevor sich der Kreistag am 28. September abschließend damit befasst.

Dass wir dringend neue Mobilitätskonzepte brauchen, steht für Landrat Andreas Müller fest: „Der Klimawandel ist überall auf der Welt spürbar und hat inzwischen auch ganz konkrete Auswirkungen auf unseren Alltag in Siegen-Wittgenstein.“ Mobilität spiele dabei eine wesentliche Rolle. Denn gerade Verbrennungsmotoren trügen mit ihrem CO2-Ausstoß erheblich zum Klimawandel bei.

Die Vorgeschichte

Umweltverbund im Hintertreffen

Das Auto ist mit weitem Abstand Verkehrsmittel Nummer 1 in Siegen-Wittgenstein, noch stärker als in anderen Regionen von NRW. Nur 23 Prozent aller Wege werden mit Verkehrsmitteln des Umweltverbundes – also zu Fuß, mit dem Rad oder Bussen und Bahnen – zurückgelegt. Das geht aus der Mobilitätsbefragung hervor.

Im NRW-Vergleich ist vor allem der niedrige Anteil des Radverkehr s auffällig. Er macht nur 4 Prozent aller Verkehre aus, im NRW-Schnitt sind es 10 Prozent. Da das vorhandene Radwegenetz äußert schlecht bewertet wurde, verwundert es nicht, dass das Fahrrad vor allem in der Freizeit eine Rolle spielt.

ÖPNV-Angebote werden in erster Linie von Schülern, Azubis und Studenten benutzt, aber auch von älteren Menschen. Insbesondere auf den Verbindungen von und nach Siegen spielen Busse und Bahnen ihre Stärke aus und werden gut genutzt.

Im Sommer 2016 hatte der Kreistag auf Vorschlag des Landrats die Verwaltung beauftragt, ein Mobilitätskonzept als Teil des Klimaschutzkonzepts des Kreises zu erarbeiten. Bereits Ende 2016 fand die erste öffentliche Mobilitätskonferenz statt. Bei den insgesamt vier Konferenzen ging es um „Mobil sein – mobil bleiben in Siegen-Wittgenstein“, Elektromobilität, Car- und Bike-Sharing-Projekte und um Fuß- und Radverkehr unter der Fragestellung „Null CO2 auf Kurzstrecken?!“

Wesentlicher Baustein zur Erarbeitung des Mobilitätskonzeptes war zudem eine Mobilitätsbefragung, bei der die Alltagswege von über 5000 Menschen in Siegen-Wittgenstein erfasst wurden. Dabei, so Landrat Müller, seien „nachvollziehbare Gründe“ genannt worden, warum in Siegen-Wittgenstein weniger Menschen auf Verkehrsmittel des Umweltverbundes setzen als in anderen Regionen. „Wenn wir das verändern wollen , dann müssen wir neue, attraktive und alltagstaugliche Angebote schaffen.“ Dass die Beteiligung an der Befragung stärker als erwartet ausfiel, ist für den Landrat ein Signal, „dass Mobilität ein Thema ist, das vielen wirklich unter den Nägeln brennt“.

Die 17 Projekte

1. Koordination: Eine Fachkraft in der Kreisverwaltung kümmert sich um die Umsetzung des Konzepts.

2. Südwestfalen-Regionale: Im Rahmen der Regionale 2025 sollen Projektideen weiter ausgearbeitet und als Pilotprojekte („Mobilität fürs echte Leben“) erprobt werden.

3. Qualitätssicherung für den Busverkehr: Geprüft werden soll, mit welchen Anreizen Verkehrsunternehmen, die auf eigene Rechnung fahren, zu Qualitätsverbesserungen bewegt werden können.

4. Mobilitätszentrale: Sie soll zentrale Anlaufstelle für alle Fahrgastanliegen sein und auch Auskünfte zu Car-Sharing und Leihfahrrädern geben können.

5. Tarifangebote: Geprüft werden soll, ob es entsprechend zum Schülerticket und zur Mobilitätscard auch für andere Zielgruppen, zum Beispiel Senioren, besondere Angebote geben kann.

6. Alternative Mobilitätsangebote: Das können Leihfahrräder für die „letzte Meile“, Mitfahrerbänke, Bringdienste und auch autonom fahrende Fahrzeuge sein.

7. On-Demand-Ridepooling: Die Weiterentwicklung des Taxibusses ist der fahrplanlose Flächenbetrieb – Wittgenstein bietet sich für ein Modellprojekt an.

8. Mobilstationen: Der Ort, wo man zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln umsteigt (Auto, [Fern-]Bus, Bahn, Rad, Taxi, Leihfahrzeug, angereichert um Verkaufautomaten, Gepäckschließfächer, Ladestationen, Gastronomie.

9. ÖPNV-Marketing: So sollen neue Kunden überzeugt werden.

10. Nahmobilität: Ein Konzept für Geh- und Radwege berücksichtigt auch soziale Sicherheit und Barrierefreiheit – bisher hat keine Kommune so etwas.

11. Radverkehrsnetz: Bei der Überprüfung des Netzes spielen Pedelecs eine Rolle: Die Wege müssen Überholen und höhere Geschwindigkeiten ermöglichen. Vorrang als Radpendlerrouten haben die Verbindungen zwischen Siegen und Netphen, Wilnsdorf, Eiserfeld und Littfeld sowie – in der zweiten Ausbaustufe – Hilchenbach.

12. Pedelec-Verleihnetz: Erste Stationen gibt es in Siegen, Netphen und Hilchenbach. Bei einem kreisweiten Netz ist es möglich, Leihfahrräder (auch Lastenfahrräder) überall abzugeben. In Siegen bieten sich die verschiedenen Uni-Standorte für Verleihstationen an.

13. Elektromobilität/Alternative Antriebe: Zur gewünschten „strategischen Planung“ gehört eine Ladeinfrastruktur.

14. Kommunale Fahrzeugflotten: Bei E-Fahrzeugen könnten die Kommunalverwaltungen Vorbild sein.

15. Betriebliches Mobilitätsmanagement: Eine Fachkraft hat Ideen im „Beratungskoffer“: Jobticket, Fahrgemeinschaften, Homeoffice und manches mehr.

16. Gewerbe- und Industriestandorte: Beispielgebend für die Einbindung des Umweltverbunds ist das Gewerbegebiet Obere Leimbach/Martinshardt in Siegen. Geprüft werden soll, wie das auf andere Standorte übertragen werden kann.

17. Schulen: Zum Beispiel „Geh-Spaß statt Elterntaxi“. Auch mit Cargo-E-Bikes können Kinder zur Schule gebracht werden. Jede Stadt soll mit einer Pilotschule einen Vorschlag aus dem „schulischen Mobilitätsmanagement“ ausprobieren.

Die nächsten Schritte

In der Vorlage für den Kreistag schlägt die Kreisverwaltung nun vor, bis zum Jahresende zwei Handlungspläne zu erarbeiten: einen mit Maßnahmen, die der Kreis selbst umsetzen kann. Und einen mit Maßnahmen, die gemeinsam mit den Städten und Gemeinden oder mit Partnern in der Region verwirklicht werden können. Zugleich möchte die Verwaltung prüfen, ob Fördermitte l des Bundes oder des Landes für die Verwirklichung einzelner Maßnahmen eingeworben werden können. Für Projekte, die bereits 2019 umgesetzt werden könnten, wird die Kreisverwaltung den entsprechenden Finanzbedarf ermitteln und in die Haushaltsberatungen für das kommende Jahr mit einbringen. Zudem schlägt die Verwaltung vor, die mit den Städten und Gemeinden eingerichtete AG „Kommunale Mobilität“ auf Dauer beizubehalten und fortzuführen.

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