Niedersetzen. . Hauberg, Wiesenwirtschaft und Maimänner: Der 83-jährige Walter Engelhard aus Niedersetzen erzählt von Traditionen aus dem Siegerland.

In den vergangenen Wochen haben fünf Menschen ihre Geschichten aus dem Siegerland erzählt. Dabei ging es um persönliche Erlebnisse wie die eigene Schulzeit, die Ausbildung oder die Hochzeit. Ein Stück Geschichte, das Siegerländer direkt vor der Nase haben, ist Mittelpunkt des letzten Teils der Serie „Zeugen der Zeit“. Dafür habe ich mit meinem Großvater, Walter Engelhard (83), aus Niedersetzen gesprochen. Er erzählt von Traditionen des Siegerlands, die teilweise bis heute erhalten sind.

Der Siegerländer Hauberg

Mein Großvater wurde 1933 geboren und half seinem Vater bereits als Kind im Hauberg. Noch heute ist er Mitglied der Haubergsgenossenschaft Niedersetzen. „Wir haben das Holz für unsere eigenen Zwecke genutzt“, sagt er. Das Besondere am Hauberg, war damals die Vielfachnutzung des Waldes und dass alle Arbeiten zeitlich aufeinander abgestimmt waren. So bot der Hauberg den Waldgenossen viele Möglichkeiten der Nutzung:

Walter Engelhard (Zweiter von links stehend) im Alter von etwa fünf Jahren im Jahr 1939.
Walter Engelhard (Zweiter von links stehend) im Alter von etwa fünf Jahren im Jahr 1939. © Privat

Brennholz: Beim Abholzen der Bäume gewannen die Waldbauern Brennholz für ihre Öfen. Dünne Birkenreisigzweige wurden zu Schanzen zusammengebunden. „Als ich noch jung war, hat mein Vater immer nachgearbeitet, wo ich das Holz geschlagen habe. Der Stumpf sollte rund sein, damit das Wasser ablaufen konnte, und das konnte ich als Kind nicht so gut“.

Lohe: Die Rinde der Eichen wurde von unten nach oben abgeschält. Die Lederwerke kauften die getrocknete Lohe, um damit das Leder zu gerben. Im Hochsommer hackte jeder auf seinem Jahn die Braase ab und ließ sie trocknen. Zusammen mit Reisig und Totholz wurde sie aufgehäuft und angezündet. „Der ganze Hauberg rauchte. Der Qualm lag über dem ganzen Tal.“ Die Asche wurde anschließend verstreut und diente als Dünger.

Darauf säten die Haubergsgenossen Roggen aus. „Es sah wunderschön aus, wenn im folgenden Sommer die Kornfelder da waren und die Baumstämme ausschlugen“, schwärmt mein Großvater. „Für die Ernte waren die Frauen zuständig. Sie arbeiteten mit der Sichel, um die jungen Baumstämme nicht zu verletzen. Jeder Halm wurde geerntet, es wurde nichts verschwendet.“ Das Getreide wurde zu sogenannten Kornrittern aufgestellt: neun Garben plus eine zehnte, die wie ein Hut als Schutz vor Regen oben drauf gesetzt wurde.

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In Setzen blieb der Hauberg 18 Jahre ruhig liegen. Wenn die nachgewachsenen Bäume widerstandsfähig waren, weidete das Vieh dort.

An einen Tag im Frühjahr 1945, als er mit seinem Vater in den Hauberg ging, erinnert er sich noch genau: „Bomber-Geschwader aus Amerika lieferten sich mit deutschen Jagdfliegern einen Luftkampf. Die Geschosse glänzten wie kleine goldene Kugeln in der Sonne. Ein amerikanisches Flugzeug wurde abgeschossen und stürzte in Obersetzen in den Wald. Die Piloten haben es nicht überlebt.“

Wiesenwirtschaft

Ein anderes landwirtschaftliches Phänomen aus dem Siegerland ist die Wiesenwirtschaft – eine spezielle Form der Bewässerung, die den Heuertrag wachsen ließ. „Wir haben Schnüre auf den Wiesen gespannt“, sagt mein Großvater und zeigt mit den Händen einen Abstand von etwa einer Handlänge, „mit dem Wiesenbeil haben wir die Gräben nach der Schnur mit Hacke und Schaufel ausgehoben. Die waren kerzengerade, mein Opa war da ganz genau.“ Zur Bewässerung wurde der naheliegende Bach angestaut, bis das Wasser auf die Wiesen lief.

Die Frauen verteilen und wenden das frisch gemähte Gras, um es zu trocknen.
Die Frauen verteilen und wenden das frisch gemähte Gras, um es zu trocknen. © Privat

Mit zwölf Jahren half mein Großvater seinem Großvater bei der Wiesenwirtschaft. „Sobald die Sonne aufging sind wir aufgestanden, gegen viertel nach vier standen wir schon auf der Wiese. Wenn das Gras noch feucht war, war der Schnitt am besten.“

Die Frauen verteilten das gemähte Gras, um es zu trocknen. Drei Tage lang musste es gewendet, abends zu Heukegeln aufgestellt und am nächsten Tag wieder zerstreut und gewendet werden, bevor es in Tüchern gesammelt und als Tierfutter auf dem Heuboden deponiert wurde. „1968 war unsere Landwirtschaft beendet. Die Wiesen wurden verkauft und aufgeteilt.“

Der von der Wiesenbauschule zur Universität

  • 1843 eröffnete der Kultur- und Gewerbeverein des Kreises Siegen eine landwirtschaftliche Sonntagsschule.
  • 1853 öffnet die Sonntagsschule mit neuem Konzept unter den Namen Wiesenbauschule.
  • 1901 übernimmt der Kreis Siegen die Trägerschaft, die Schule wird umbenannt in Wiesen- und Wegebauschule. Danach wird der Name mehrfach angepasst: Wegebauschule (1928), Bauschule für Wasserwirtschaft und Kulturtechnik (1938), Bauschule für Wasserwirtschaft, Kultur- und Tiefbau und für Hochbau (1946), Ingenieurschule für Bauwesen in Siegen (1953).
  • 1967 zieht die Ingenieurschule in die Paul-Bonatz-Straße.
  • 1971 geht sie in die Fachhochschule Siegen-Gummersbach über.
  • 1972 folgt der Übergang in die neue Gesamthochschule.
  • 1980 wird diese umbenannt in Universität-Gesamthochschule Siegen.

„Backeser“

Eine Dorfbewohnerin trägt mehrere Brotlaibe auf der Schulter aus dem Backes.
Eine Dorfbewohnerin trägt mehrere Brotlaibe auf der Schulter aus dem Backes. © Privat/Edith Engelhard

Die Menschen sorgten damals selbst für ihr Brot. Die alteingesessenen Häuser im Dorfkern unterhielten gemeinsam Backhäuser, die sogenannten „Backeser“. Das Elternhaus meines Großvaters gehörte nicht dazu: „Wir hatten einen eigenen Backes hinter dem Haus im Schuppen. Mein Vater arbeitete bei Hund & Weber, einer Metallgießerei. Der Ofenbauer der Firma baute unseren Ofen.“

Geheizt wurde mit Schanzen und Holz aus dem Hauberg. „Meine Mutter machte den Sauerteig 16 Stunden bevor das Brot gebacken werden sollte. Solange musste er ruhen.“ Nach den Brotlaiben buk sie Streusel-, Apfel- oder Zwetschgenkuchen. „Draußen duftete es um das ganze Haus herum.“

Maimänner

Eine im Siegerland teilweise noch heute praktizierte Tradition ist der Gesang von Kindern am ersten Mai. In Setzen gab es den Maimann. Die Jungen gingen von Haus zu Haus und sangen das Lied „Der Mai ist gekommen“. Von den Einwohnern bekamen sie kleine Geldbeträge, die sie untereinander aufteilten.

Die Dorfjugend hat den Maimann in Ästen eingebunden.
Die Dorfjugend hat den Maimann in Ästen eingebunden. © Privat/Edith Engelhard

„Der Maimann wurde in Birkenäste eingebunden, sodass niemand ihn erkennen konnte“, erzählt mein Opa. „Einen Jungen mussten wir mit einem Wagen durch den Ort fahren. Dem waren die Zweige in die Kniekehlen gerutscht und er konnte nicht mehr laufen“, sagt er und lacht.

Heute gibt es in einigen Ortschaften noch Maimädchen und Pfingstlümmel. Sie gehen am ersten Mai oder an Pfingsten durchs Dorf, singen Lieder und sammeln Geld. Der Pfingstlümmel wird unter Ästen versteckt, die Maimädchen tragen Birkenäste mit bunten Bändern.

Mein Opa blättert durch sein Fotoalbum. „Wie es früher war im Siegerland, Bräuche und Traditionen – vieles ist in Vergessenheit geraten. Ich bin dankbar, dass ich das alles noch erleben durfte.“