Allenbach/Hilchenbach. Der 94-jährige Gerhard Dreisbach aus Allenbach erzählt von seiner Ausbildung, der Zeit als Soldat und dem Berufsleben danach.

Gerhard Dreisbach steigt ins Auto. Die Fahrt führt durch Hilchenbach, wo er im Jahr 1923 geboren wurde. Sein Geburtshaus ist die im Jahr 1906 erbaute Konditorei Kramer. „Das war eine berühmte Konditorei“, sagt Dreisbach. Heute ist die Konditorei ein reines Wohnhaus.

Innenaufnahme der Konditorei Kramer in Hilchenbach.
Innenaufnahme der Konditorei Kramer in Hilchenbach. © Gustav Schöler/Stadtarchiv Hilchenbach

Das Auto fährt langsam durch die Mühlenbachstraße im Hilchenbacher Industriegebiet. Vor einem großen, eckigen, grün gekachelten Gebäude steigt Dreisbach aus. „Das hier ist es.“ Mit Hilfe seines Gehstockes steigt er aus dem Wagen und zeigt auf eine Tür. „Dahinter habe ich gearbeitet.“ Dort war ehemals die Firma Menn und Klaus untergebracht, eine Holzschraubenfabrik; heute befindet sich in dem großen Komplex die Firma Heinrich Grünewald Industrieofenbau.

Die Lehrjahre

Der heute 94-jährige Allenbacher hat dort Maschinen- und Reparaturbau gelernt. 14 Jahre alt war er, als er im Jahr 1937 aus der Schule kam. Die Ausbildung dauerte von 1939 bis 1942. „Ich wurde mit der Ausbildung nicht ganz fertig“, sagt Dreisbach, der 1942 zum Militär eingezogen wurde. „Mein ganzer Jahrgang wurde an einem Tag eingezogen. Wir mussten alle nach Siegen.“

Gerhard Dreisbach vor seinem ehemaligen Arbeitsplatz in Hilchenbach.
Gerhard Dreisbach vor seinem ehemaligen Arbeitsplatz in Hilchenbach. © Sarah Engelhard

Von dort aus wurden die Soldaten nach Frankfurt, Fulda, Biberach, Bordeaux (Frankreich) und Russland geschickt. Im Krieg war Dreisbach Teil eines Infanterie Regiments. Er erzählt von erfrorenen Füßen im Winter und von Sumpfmalaria im Sommer. „Das ist eine böse Krankheit. Durch die Schnaken im Sumpfgebiet bekamen wir Fieber. Viele Kollegen mussten so starke Arznei nehmen, dass sie später impotent wurden. So schlimm war das.“ Seine Stimme klingt etwas heiser, aber nicht traurig, als er von den Erfahrungen aus dem Krieg erzählt.

Seine Kriegsverletzung

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Er sitzt neben seiner Frau in der Küche des Hauses in Allenbach, das seine Familie 1937 erbaut hat. Im Krieg wurde es von Bomben getroffen, doch Dreisbach baute es wieder auf. 1943 wurde der heute 94-Jährige in der Ukraine stark verwundet. Ein Geschoss zerstörte den Knochen in seinem Oberschenkel.

Ein Jahr lang lag er in Bautzen im Lazarett. „Dort habe ich meine Frau kennen gelernt“, erzählt Dreisbach. Sie sei aus Leipzig und in Bautzen im Urlaub gewesen. Dort habe sie das Lazarett besucht. Nach dem Krieg musste das Bein amputiert werden, weil es nicht verheilte.

Berufseinstieg bei der Bahn

Doch auch mit dieser Einschränkung fand Dreisbach wieder Arbeit: 1945 ging der damals 22-Jährige zur Bahn. Eineinhalb Jahre war er bei der Brauerei in Eichen auf einer Blockstelle und bediente Signale, bis die Stelle 1947 geschlossen wurde.

Gerhard Dreisbach

Gerhard Dreisbach ist heute 94 Jahre alt.
Gerhard Dreisbach ist heute 94 Jahre alt. © Sarah Engelhard
Innenaufnahme von der Konditorei Kramer in Hilchenbach.
Innenaufnahme von der Konditorei Kramer in Hilchenbach. © Gustav Schöler/Stadtarchiv Hilchenbach
Innenaufnahme von der Konditorei Kramer in Hilchenbach.
Innenaufnahme von der Konditorei Kramer in Hilchenbach. © Gustav Schöler/Stadtarchiv Hilchenbach
Werbeanzeigung der Konditorei Kramer in der Hilchenbacher Zeitung 1925 Wohnhaus 1906 erbaut
Werbeanzeigung der Konditorei Kramer in der Hilchenbacher Zeitung 1925 Wohnhaus 1906 erbaut © Hilchenbacher Zeitung/Stadtarchiv Hilchenbach
Gerhard Dreisbach vor seiner ehemaligen Ausbildungsstätte im Hilchenbacher Mühlenweg. Heute ist dort die Firma Heinrich Grünewald Ofenbau.
Gerhard Dreisbach vor seiner ehemaligen Ausbildungsstätte im Hilchenbacher Mühlenweg. Heute ist dort die Firma Heinrich Grünewald Ofenbau. © Sarah Engelhard
Gerhard Dreisbach vor seiner ehemaligen Ausbildungsstätte im Hilchenbacher Mühlenweg. Heute ist dort die Firma Heinrich Grünewald Ofenbau.
Gerhard Dreisbach vor seiner ehemaligen Ausbildungsstätte im Hilchenbacher Mühlenweg. Heute ist dort die Firma Heinrich Grünewald Ofenbau. © Sarah Engelhard
Das Schriftstück von 1930 dokumentiert die Arbeiter, die zwischen 1929 und 1929 in der Holzschraubenfabrik MennKlaus in Hilchenbach beschäftigt waren
Das Schriftstück von 1930 dokumentiert die Arbeiter, die zwischen 1929 und 1929 in der Holzschraubenfabrik MennKlaus in Hilchenbach beschäftigt waren © Menn und Klaus/Stadtarchiv Hilchenbach
Belegschaftsmitglieder und Werkteile der Firma Heinrich Grünewald Blankglühofenbau.
Belegschaftsmitglieder und Werkteile der Firma Heinrich Grünewald Blankglühofenbau. © Gustav Schöler/Stadtarchiv Hilchenbach
Hof Stöcken mit Leimfabrik in Richtung Haarhausen und Hilchenbach vermutlich um 1910.
Hof Stöcken mit Leimfabrik in Richtung Haarhausen und Hilchenbach vermutlich um 1910. © Albrecht Krämer/Stadtarchiv Hilchenbach
Sicht auf das Allenbacher Hammerwerk Carl Vorlaender GmbH vermutlich 1941 - der linke Schornstein befindet sich noch im Bau.
Sicht auf das Allenbacher Hammerwerk Carl Vorlaender GmbH vermutlich 1941 - der linke Schornstein befindet sich noch im Bau. © Carl Vorlaender/Stadtarchiv Hilchenbach
Sicht auf das Allenbacher Hammerwerk Carl Vorlaender GmbH vermutlich Ende der 50er Jahre.
Sicht auf das Allenbacher Hammerwerk Carl Vorlaender GmbH vermutlich Ende der 50er Jahre. © Carl Vorlaender/Stadtarchiv Hilchenbach
Das Hammerwerk Carl Vorlaender steht heute leer.
Das Hammerwerk Carl Vorlaender steht heute leer. © Sarah Engelhard
Das Hammerwerk Carl Vorlaender steht heute leer.
Das Hammerwerk Carl Vorlaender steht heute leer. © Sarah Engelhard
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Zwölf Stunden dauerte eine Schicht auf der Blockstelle – von morgens sechs bis abends sechs. Nur jeder dritte Sonntag im Monat war ein freier Tag, sonst wurde immer gearbeitet. Drei Mann waren pro Blockstelle eingeteilt und verantwortlich für die Signale. Die Bahnstrecken waren in Abschnitte eingeteilt. Dort, wo eine lange Strecke zwischen Bahnhöfen lag, wurden Blockstellen eingerichtet. „Wir mussten damals noch morsen“, sagt Dreisbach. Mit den Fingern klopft er auf die Tischplatte des Küchentisches und untermalt die Bewegung mit einem Geräusch: „Böp böp böp. Ich weiß nicht mehr, wie das geht.“

Moderne Technik

Nach Schließung der Blockstelle ging der Allenbacher nach Kreuztal. „Ich bin da auf einem elektromechanischen Stellwerk gewesen, direkt am Bahnhof in Kreuztal.“ Dort bediente er die Ausfahrt der Züge nach Hagen und Hilchenbach. Ganz neu war damals die Bildschirmtechnik, erzählt der Rentner. Auf einem kleinen Bildschirm konnten Mitarbeiter die Schranke sehen. „Es gab 32 Knöpfe: sechs Signalknöpfe und das andere waren alles Weichenknöpfe. Per Knopfdruck konnte man die Schranke schließen“, sagt Dreisbach.

Sicht auf das Allenbacher Hammerwerk vermutlich 1941 (Schornstein im Bau).
Sicht auf das Allenbacher Hammerwerk vermutlich 1941 (Schornstein im Bau).

Der Job bei der Bahn hatte nicht mehr viel mit seiner ursprünglicher Ausbildung in Hilchenbach zu tun. „Ich hab da den Bahnbetriebsmeister gemacht. Das habe ich 40 Jahre gemacht, bis ich 1983 pensioniert wurde mit 60 Jahren. Durch die Kriegsverletzung konnte ich früher nach Hause.“ Die Jahre im Kriegsdienst wurden ihm als Beamtem angerechnet.

Vorstellungsgespräche gab es nicht

Ein Vorstellungsgespräch, wie es heute stattfindet, hat es 1945 nicht gegeben. „Damals wurde kein großes Gespräch geführt, da wurde nur kurz angefragt. Das war alles einfach. Man wurde gefragt, was man gemacht und was man gelernt hat. Dann wurde man drei Wochen ausgebildet und musste selbstständig Dienst machen.“

Viele Arbeiter seien im Krieg gefallen, deshalb seien Arbeitskräfte nach dem Krieg sehr gefragt gewesen – auch Frauen, die beispielsweise in der Verpackung tätig waren. Arbeitslosigkeit sei kein großes Thema gewesen.

Vermittlungen als Vertrauensmann

Dreisbach erzählt von vielen Verletzten unter seinen Kollegen. „Wir hatten eine ganze Menge Behinderte“, so der 94-Jährige. „Schwerbehinderte, die amputiert waren. Doppelamputierte, Armamputierte...“, zählt er auf. Dreisbach wurde zum Vertrauensmann bestimmt. 20 Jahre lang vermittelte er in dieser Position zwischen Dienststellenleitern und Kollegen bei Problemen und besprach Einsatzmöglichkeiten.

„Ich hab dort gelernt, wie man in den Wald rein ruft, so schallt es heraus“, sagt er.

Kleidung und Einkauf

Arbeitskleidung bekamen Mitarbeiter der Bahn einmal im Jahr. „Die Bahn hatte eine Kleiderkasse, da zahlte man jeden Monat rein und konnte dann jedes Jahr Bekleidung dafür holen. Wir hatten meistens weiße Hemden, dunkelblaue Hosen und Jacken.“

Werbeanzeige der Konditorei Kramer in der Hilchenbacher Zeitung 1925.
Werbeanzeige der Konditorei Kramer in der Hilchenbacher Zeitung 1925. © Stadtarchiv Hilchenbach

Das Einkaufen an sich sei günstiger gewesen als heute. „Aber es gab nicht so große Geschäfte. Konsum war die einzige Kette, sonst gab es nur kleine Läden um die Zeit.“ Dreisbach hatte nicht viel Geld zur Verfügung. „Als Lehrjunge hatte ich 40 Reichsmark. Die erste Zeit auf der Bahn hatte ich auch wenig. Da mussten wir keine Gebühren fürs Radio zahlen, weil wir so wenig hatten. 250 Mark hatte ich im Monat.“

Studieren wäre für ihn aus finanziellen Gründen auch nicht möglich gewesen. „Ein Studium war etwas für Leute, die Geld hatten“, sagt er.

Seine Meinung heute

Gerhard Dreisbach ist heute 94 Jahre alt.
Gerhard Dreisbach ist heute 94 Jahre alt. © Sarah Engelhard

Heute ist seine Position zum Kriegsdienst eindeutig: „Ich würde jedem vom militärischen Dienst abraten. Pflege- und Rettungsdienste leisten manchmal mehr, als das Militär.

Die Sanitäter mussten während des Krieges teilweise mehr ertragen. Die bekamen ja in den Lazaretten alles mit, wo die Verwundeten rein kamen. Ich würde jedem raten, so einen Beruf zu ergreifen, aber letztendlich muss das jeder selbst wissen.“