Netphen. Pall Mall Zigaretten für einen Rechenschieber: Der 87-jährige Netphener Karl Josef Görg erzählt von seiner Zeit als Schüler von 1936 bis 1944.

Morgens um vier oder fünf Uhr aufstehen und die Wiese mähen, danach zur Schule laufen und gemeinsam mit Schülern anderer Klassen in einem Raum unterrichtet werden: So sah ein typischer Schultag für Karl Josef Görg aus. Der 87-Jährige wurde am 7. Januar 1930 in Gernsdorf geboren. Ab 1932 lebte er in Oelgershausen und verbrachte dort seine Kindheit. „Oelgershausen war damals noch ein kleiner Ort mit 15 Häusern ohne Schule“, erzählt Görg.

Die Kapellenschule vor 1928 ohne Anbau.
Die Kapellenschule vor 1928 ohne Anbau. © Heimatverein Eckmannshausen

„Es gab fast ausschließlich konfessionelle Schulen.“ An der Volksschule Niedernetphen verbrachte er ab Ostern 1936 die ersten beiden Schuljahre. Danach wechselte er zur Kapellenschule in Eckmannshausen – ebenfalls eine Volksschule. Im Jahr 1944 machte Görg dort seinen Abschluss. 1947 folgten ein Fachstudium an der Bauschule in Siegen, das Görg 1952 als Tief- und Wasserbauingenieur mit Diplom abschloss und eine Lehre als Maurer, die er bei seinem Vater machte.

Der Schulweg

„Öffentliche Transportangebote gab es nicht. Die Schulkinder mussten ihre schweren Ranzen täglich eineinhalb Kilometer tragen“, erzählt Görg. Schule fand von Montag bis einschließlich Samstag statt. Sonntags war der Kirchenbesuch in der zwei Kilometer entfernten Pfarrkirche in Netphen Pflicht – ebenfalls zu Fuß.

Der Dorfmittelpunkt von Oelgershausen vor 1930.
Der Dorfmittelpunkt von Oelgershausen vor 1930. © Privat

Die Straßen waren nicht gut ausgebaut und bereiteten vor allem in der kalten Jahreszeit Schwierigkeiten: „Im Winter fuhr man mit einem Pferd und einem selbst gezimmerten Schneepflug durch die Straßen – das war der Winterdienst“, sagt Görg. Der unbefestigte Weg von Oelgershausen nach Netphen wurde erst 1936 ausgebaut. Die Einwohner mussten als Eigenleistung große Steine zu Schotter schlagen. Der 87-Jährige erzählt: „Da lag mitten im Dorf ein großer Haufen Steinmaterial und drum herum saßen Einwohner – auch Kinder – und klopften mit Hämmern an langen Stielen die Steinbrocken zu Schotter. Da habe ich oft gesessen.“

Die Lehrinhalte

Volksschule, Mittelschule und Oberschule waren die unterschiedlichen Schulformen. Unterrichtet wurden Rechenarten und Schönschreibung, Aufsätze und Erdkunde. Görg lernte keine Fremdsprachen und der Sportunterricht war bis zur NS-Zeit nicht sehr wichtig.

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Der 87-jährige Karl Josef Görg aus Netphen erzählt von seiner Schulzeit in Eckmannshausen.
© Sarah Engelhard

Schulpolitik sei kein so großes Thema gewesen wie heute, sagt Görg. Die meisten hätten den Abschluss an der Volksschule angestrebt. „Die wenigsten hatten eine gute Schulbildung.“ Das habe auch daran gelegen, dass Kinder zu Hause bei landwirtschaftlichen Arbeiten viel helfen mussten. „Mit neun Jahren musste ich im Sommer morgens um fünf Uhr noch vor der Schule die Wiese mit der Sense mähen und Holz machen.“

Die Lehrer

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Während des Unterrichts stand der Lehrer meist vorne und erzählte den Schülern etwas. Wenn sie mitschreiben sollten, forderte er sie dazu auf. Görg sagt, es habe unter den Lehrkräften unterschiedliche Qualitäten und Vorstellungen über die Art des Schulbetriebs gegeben. „Die Lehrer waren verschieden, einige sehr streng. Einer schlug mit einem kurzen Stock den Kindern in die Handflächen, ein anderer warf immer den Schlüsselbund in die Klasse, gleich wen er dabei traf“, so der 87-Jährige.

Doch weder physischen Strafen noch Strafarbeiten hielten die Schüler von Streichen ab: „Ein Lehrer hatte panische Angst vor Mäusen. Dem haben wir eine Maus in den Katheder (Pult, in dem das Klassenbuch aufgehoben wurde) gesetzt. Und als er das Klassenbuch herausholen wollte, ist er fast in Ohnmacht gefallen.“

Die Kapellenschule

Das Besondere an der Kapellenschule in Eckmannshausen war, dass alle acht Jahrgänge in einem Raum unterrichtet wurden. In einer Schulwoche hatten die Erst- bis Viertklässler zusammen vormittags Unterricht, am Nachmittag teilten sich dann die Klassen fünf bis acht den Klassenraum. Die Zeiten wechselten Woche für Woche. Eine Klasse bestand dann aus etwa 30 bis 40 Kindern, für die nur ein Lehrer zuständig war. Der Lehrer unterrichtete alle Fächer und Kinder in allen Altersstufen. „Es war die Kunst des Lehrers, das so hinzukriegen, dass jeder genug Wissen empfangen hat“, sagt Görg.

Entwicklung der St.-Josef-Kapelle

1860

erteilte die Königliche Regierung in Arnsberg die Baugenehmigung für das Gebäude, das für den Schulbetrieb sowie für kirchliche Zwecke genutzt werden sollte.

1921

musste die Kapellenschule renoviert und erweitert werden. 

1928

bot die Kapelle nicht mehr ausreichend Platz für die Bürger, deshalb sollte ein Anbau her. Am 4. November des Jahres konnte dieser eingeweiht werden. 

1952

wurde der Grundstein für die neue Schule in Eckmannshausen gelegt.

1953

fand die Einweihung der Schule statt, seitdem sind Schule und die St.-Josef-Kapelle zwei separate Gebäude.

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Im früheren Klassenzimmer gab es keine elektronische Technik, sondern nur Tafeln und Kreide. Görg erinnert sich an einen Globus und daran, dass selten Schwarz-Weiß-Filme gezeigt wurden, zum Beispiel über Afrika. Schulbücher waren Mangelware, zum Teil wurden sie von der Schule verliehen. „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich viele Schulbücher besessen habe. Ausnahme waren die Bibel und eine Messfeier der ,Schott’ – eine Art klassisches Messbuch von 1939. Das habe ich noch, mein Name steht in Sütterlin darin“, so Görg.

Armut spielte eine große Rolle

Eine Schuluniform gab es nicht. „Man hatte kein Geld dafür. Mode im heutigen Sinne gab es kaum, auch mangels Angeboten. Auf dem Dorf nähten und strickten die Mütter die Kleidung für Jung und Alt und von Kopf bis Fuß.“

Armut spielte in der Volksschulzeit und später beim Studium eine große Rolle. „In der Bauschule habe ich anfänglich Zeichnungen auf Butterbrotpapier statt auf Transparent gemacht. Einen nötigen Rechenschieber, der zu der Zeit heutige Taschenrechner ersetzte, habe ich gegen eine Schachtel amerikanische Pall Mall bei einem anderen Jungen im Dorf eingetauscht“, erzählt er und präsentiert den noch gut erhaltenen Schieber.

Die NS-Zeit

Das Haus der Familie Görg in Oelgershausen 1955, genannt Burg.
Das Haus der Familie Görg in Oelgershausen 1955, genannt Burg. © Privat

Die Nationalsozialisten beeinflussten die Schulzeit merklich. In der Stadt sei es gang und gäbe gewesen, die Hitlerjugend zu besuchen. „In Oelgershausen gab es keine Treffen“, sagt der 87-Jährige. Die meisten Lehrer hätten sich bedeckt gehalten, doch beispielsweise die Glorifizierung wurde Teil des Unterrichts und dem Sportunterricht wurde eine größere Bedeutung beigemessen. Während des Krieges sei die Schule – auch bei Bombenalarm – nicht geräumt worden.

„Das einzige Mal, dass die Schule komplett leer war, das war als der Metzger gegenüber ein Schwein schlachten wollte“, erzählt Görg. „Er hatte mit einem Hammer das Ohr des Schweins getroffen, das blutete und lief weg und die ganze Klasse lief hinter dem Schwein und dem Metzger her“, sagt er und hat vor Lachen Tränen in den Augen.

Karl Josef Görg

Karl Josef Görg an seinem ersten Schultag 1936.
Karl Josef Görg an seinem ersten Schultag 1936. © Privat
Die Kapellenschule Eckmannshausen vor dem Jahr 1928 noch ohne Anbau.
Die Kapellenschule Eckmannshausen vor dem Jahr 1928 noch ohne Anbau. © Heimatverein Eckmannshausen
Das war der Altar in der Kapellenschule bis 1936.
Das war der Altar in der Kapellenschule bis 1936. © Heimatverein Eckmannshausen
Der wurde von diesem Altar abgelöst, der bis 1957 stehen blieb.
Der wurde von diesem Altar abgelöst, der bis 1957 stehen blieb. © Heimatverein Eckmannshausen
Die Kapellenschule nach 1928 mit Anbau.
Die Kapellenschule nach 1928 mit Anbau. © Heimatverein Eckmannshausen
So sieht die St.-Josef-Kapelle in Eckmannshausen heute aus.
So sieht die St.-Josef-Kapelle in Eckmannshausen heute aus. © Sarah Engelhard
So sieht die St.-Josef-Kapelle in Eckmannshausen heute aus.
So sieht die St.-Josef-Kapelle in Eckmannshausen heute aus. © Sarah Engelhard
Blick auf Eckmannshausen um 1940.
Blick auf Eckmannshausen um 1940. © Heimatverein Eckmannshausen
Blick vom Setzer Berg vor 1945.
Blick vom Setzer Berg vor 1945. © Heimatverein Eckmannshausen
Blick vom Setzer Berg heute.
Blick vom Setzer Berg heute. © Sarah Engelhard
Blick auf Eckmannshausen heute Richtung Setzer Berg. Die St.-Josef-Kapelle ist in der Ortsmitte zu erkennen.
Blick auf Eckmannshausen heute Richtung Setzer Berg. Die St.-Josef-Kapelle ist in der Ortsmitte zu erkennen. © Sarah Engelhard
Die Grundschule in Eckmannshausen.
Die Grundschule in Eckmannshausen. © Steffen Schwab
Das Familienhaus von Karl Josef Görg, erbaut von seinem Vater, in Oelgershausen im Jahr 1955. Genannt wurde der Gasthof
Das Familienhaus von Karl Josef Görg, erbaut von seinem Vater, in Oelgershausen im Jahr 1955. Genannt wurde der Gasthof "Burg". © Privat
Familie Görg mit Gästen an der Burg.
Familie Görg mit Gästen an der Burg. © Privat
So sieht das Haus heute aus. es hat mehrere Anbauten dazu bekommen. Blick vom
So sieht das Haus heute aus. es hat mehrere Anbauten dazu bekommen. Blick vom "Spies" auf Oelgershausen. © Sarah Engelhard
Karl Josef Görg (rechts) im Alter von sechs Jahren mit seinem Bruder Wilfried.
Karl Josef Görg (rechts) im Alter von sechs Jahren mit seinem Bruder Wilfried. © Privat
Die Dorfjugend 1936, Karl Josef Görg ist hinten der Zweite von rechts.
Die Dorfjugend 1936, Karl Josef Görg ist hinten der Zweite von rechts. © Privat
Karl Josef Görg (rechts) im Alter von zwölf Jahren mit seinem Nachbarn.
Karl Josef Görg (rechts) im Alter von zwölf Jahren mit seinem Nachbarn. © Privat
Die Ortsmitte von Oelgershausen vor 1930.
Die Ortsmitte von Oelgershausen vor 1930. © Privat
Die Dorfmitte heute mit Backes.
Die Dorfmitte heute mit Backes. © Sarah Engelhard
Blick auf Oelgershausen vom
Blick auf Oelgershausen vom "Spies". © Heimatverein Eckmannshausen
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