Meschede. Sollen Sitzungen des Stadtrates in Meschede live übertragen werden? Es gibt viele ungelöste Fragen, dazu ungute Gefühle und beachtliche Kosten.

Wer informiert sein will, muss weiter selbst vorbeischauen – oder Zeitung lesen: Denn bewegte Bilder aus der Kommunalpolitik im Rathaus in Meschede wird es in den nächsten Jahren nicht geben. In geheimer Abstimmung lehnte der Stadtrat ein Streaming seiner Sitzungen mit 22 zu 15 Stimmen ab. Vor allem ungute Gefühle sprachen am Ende mehrheitlich gegen eine öffentliche Liveübertragung.

+++ Hier geht es zum Kommentar zum Thema Stadtrat-Streaming von Jürgen Kortmann +++

Der knifflige Datenschutz und Eingriffe ins Persönlichkeitsrecht

Die SPD-Fraktion hatte ein Live-Streaming auch als Corona-Erfahrung angeregt, um die Kommunalpolitik transparenter zu machen. Was so scheinbar einfach klingt, ist aber im Detail viel komplizierter. Aus Sicht der Stadtverwaltung gibt es etliche ungelöste rechtliche Fragen – bis hin zu dem Detail, ob ein Politiker noch Sitzungsgeld bekäme, wenn er künftig an einer Sitzung womöglich nur virtuell teilnehmen würde.

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Über allem steht aber der knifflige Datenschutz und mögliche Eingriffe ins Persönlichkeitsrecht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung: Schließlich darf jeder auch selbst bestimmen, ob er in einer Sitzung aufgenommen wird und sein Beitrag verbreitet wird – jeder Politiker, jeder Verwaltungsmitarbeiter in einer Sitzung, jeder Zuhörer im Saal müsste dafür stets seine Einwilligung geben. Wer nicht will, müsste geschwärzt oder herausgeschnitten werden. Offen auch: Wie lange darf eine Stadt das speichern? Oder: Dürfen Ausschnitte zum Beispiel auf Facebook gepostet werden? Im Zweifel könnte die Stadt bei Datenmissbrauch womöglich rechtlich verantwortlich gemacht werden.

Wenn gestreamt würde, dann müssten nicht nur der Stadtrat, sondern selbst alle anderen Sitzungen bis hin zum Rechnungsprüfungsausschuss übertragen werden – denn in Fachausschüssen findet die inhaltliche Vorbereitung für Ratsentscheidungen statt. Ohne Ausschuss-Übertragung aber könnte der Zusammenhang fehlen.

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Das Ganze würde teuer – man will ja auch nicht den Verwaltungs-Azubi eine Sitzung mit dem Handy aufnehmen lassen: 82.500 Euro würden einmalig vier Kameras (zwei festinstallierte für die Totale, zwei für die jeweils sprechende Person), ein Regieraum zur Steuerung der Technik kosten, für den laufenden Betrieb mit Einsatz von Medientechnikern kämen pro Jahr 11.700 Euro hinzu. Zwischen 500 und 4000 Euro, je nach Länge und technischer Ausstattung, würde am Ende jede Sitzung kosten, rechnete Kämmerer Jürgen Bartholme vor. Hinzu kommen, wie bisher, Sitzungsgelder für die Politiker. Der Kämmerer machte aber auch klar: „Man steht unter Dauerbeobachtung. Alle Äußerungen werden ungefiltert gespeichert.“

0,6 Prozent an Nutzern

Gewinnen würde möglicherweise die Transparenz und Bürgerbeteiligung: Es könnte „erlebbare Demokratie frei Haus“ geben, so die Stadtverwaltung. Aber: Erfahrungen aus anderen Kommunen mit Streaming zeigen, dass 0,6 Prozent der Einwohner die Angebote aufrufen – im Fall von Meschede wären das also möglicherweise 180 von 30.000 Einwohnern.

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Marcel Spork beantragte für die CDU die geheime Abstimmung: Demokratie könnte durch Streaming erlebbarer und transparenter werden, „aber das Interesse hält sich sehr in Grenzen“. Der Stadtrat sei nicht der Bundestag mit Berufspolitikern: „Vielen fällt es schon ohne Kamera und Mikrofon schwer, aufzustehen.“ Andreas Wrede (CDU) warnte: Wortbeiträge könnten aus dem Zusammenhang gerissen werden und als „Fake News“ kursieren. Die Bereitschaft würde sinken, sich in der Kommunalpolitik zu engagieren. Martin Eickelmann (CDU) staunte: In der Vergangenheit habe man im Stadtrat noch über das mögliche Anbringen von Videokameras im öffentlichen Raum gesprochen, „als ob es Pest und Cholera“ wären – und jetzt wolle man plötzlich alles öffentlich ins Internet bringen.

„Ich weiß doch, dass ich in der Öffentlichkeit diskutiere“

Gelassener sah das Jürgen Lipke (SPD): „Ich weiß doch, dass ich in der Öffentlichkeit diskutiere. Das ist für mich normal.“ Auch Maria Gödde-Rötzmeier (UWG) sagte: „Diese öffentliche Rolle hat man nun mal als Ratsmitglied.“ Dr. Parisa Aratabar (Grüne) glaubte an mehr Transparenz durch das Streaming und fühlte sich in der Presse nicht ausreichend zitiert – künftig könnte man dann ganze Beiträge live sehen oder nachhören.

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Ihre Fraktionskollegin Katharina Bischke warnte aus ihrer beruflichen Erfahrung als Lehrerin vor großen Erwartungen, junge Leute so erreichen zu können: „Ein reines Streaming-Angebot spricht die Zielgruppe nicht an“ – die 16- bis 23-Jährigen würden sicherlich nicht vor ihrem Laptop sitzen, wenn eine Sitzung übertragen werde. Für die FDP begrüßte Ingrid Völcker die Idee: „Das verspricht Akzeptanz. Demokratie kostet Zeit und Geld.“ Streaming sorge für eine Anerkennung dafür, „was wir leisten“.

Mehrheitlich beschloss der Stadtrat jetzt: In dieser Wahlperiode wird es kein Livestreaming geben. Der nächste Rat soll für sich entscheiden, wie es weitergeht. Beobachtet wird in der Zwischenzeit, was sich in NRW bei den offenen rechtlichen Fragen tut.