Meschede/Warstein. Neue Erkenntnisse zu den NS-Kriegsverbrechen in Warstein und Eversberg verraten auch viel über die Nachkriegs-Generation.

Wie ein Puzzle setzen Archäologen und Historikerinnen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) das Geschehen rund um die NS-Kriegsverbrechen im Langenbachtal bei Warstein (Kreis Soest) zusammen. Diese Funde stehen auch immer im Bezug zur Erschießung in Suttrop und von 80 Zwangsarbeitern im März 1945 auf einer Eversberger Kuhweide. Denn alle - insgesamt 208 - Ermordeten starben in drei Nächten, aber in einer Aktion und fanden ihre letzte Ruhestätte, namenlos, auf dem Franzosenfriedhof in der Fulmecke. Die Eversberger Toten schon 1947, die Warsteiner und Suttroper 1964.

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Obelisk in Warstein sagt auch viel über Mescheder Denkmal

In Warstein war jetzt der verschüttete Obelisk gefunden worden, der als Mahnmal der sowjetischen Opfer gedenken sollte. Das baugleiche Gegenstück steht in Meschede. Es stammt wahrscheinlich aus Suttrop und wurde bei der Aufgabe des dortigen Friedhofs 1964 auf dem Franzosenfriedhof aufgestellt. Es ist bereits restauriert. „Der Fund des Warsteiner Obelisk gibt uns dafür noch mal wichtige Aufschlüsse“, erklärt LWL-Historiker Dr. Marcus Weidner. So fehle in Meschede die Fahne, die offenbar abgesägt worden sei. „Mein Wunsch wäre es jetzt den Obelisk in Meschede weiter nachzubilden und zu ergänzen.“

Daneben untersucht der LWL aktuell zahlreiche Kleinfunde aus Warstein und wertet sie aus. Zwei hölzerne Tragen, ein Haarzopf und ein Keramikköpfchen geben Aufschluss über das Schicksal der 71 in Warstein ermordeten, zumeist weiblichen Zwangsarbeiterinnen.

Umgang mit Verbrechen verlief auch im Sauerland nicht immer würdevoll

„Der Umgang mit den Verbrechen unserer jüngsten Vergangenheit verlief in den Nachkriegsjahren auch im Sauerland nicht immer würdevoll“, erklärt LWL-Chefarchäologe Prof. Dr. Michael Rind. Die eigene Verantwortung sei verdrängt, das Gedenken vom Ost-West-Konflikt überschattet worden. „Der Warsteiner Obelisk, der diese Verbrechen benannte, störte und wurde deshalb 1964 unter einem Vorwand beseitigt.“

Dieser Umgang mit dem Warsteiner Mahnmal ließ Dr. Marcus Weidner keine Ruhe. „Ich wollte dessen Schicksal unbedingt geklärt wissen.“ Er vermutete, dass der Obelisk nicht abgetragen und fortgeschafft, sondern noch an Ort und Stelle vergraben wurde. Damit lag er richtig, und so gelang es einem Team aus Mitarbeiterinnen des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte und der LWL-Archäologie für Westfalen, Außenstelle Olpe, die Steinsäule zwar zum Teil beschädigt, aber mitsamt Inschriften und sowjetischen Emblemen zu bergen.

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Der Obelisk wurde mutwillig entstellt und entsorgt

Nach eingehenden Untersuchungen sind sich die Forscher beider Einrichtungen nun sicher: Der Obelisk wurde nicht nur umgestürzt und dabei beschädigt. „Die deutschsprachige Inschrift ist durch das teilweise Ausschlagen des Begriffes ‚Ermordet‘ schon vorher mutwillig entstellt worden“, erklärt Dr. Manuel Zeiler, Ausgrabungsleiter der LWL-Archäologie-Außenstelle in Olpe. „Und nicht nur das: Der Obelisk wurde praktisch in die geöffneten und erweiterten Grabgruben entsorgt.“

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Die LWL-Archäologinnen stießen unter dem Warsteiner Obelisken auf vier ehemalige Grabgruben. Darin verbargen sich zwei vollständige hölzerne Tragen, die auf Fichtenzweigen lagen. „Die Überlieferung der Tragen im Boden war ein völlig überraschender Befund“, so der Olper Grabungstechniker Matthias Müller-Delvart. „Wir hatten nicht erwartet, dass sich in dieser Höhe ausreichend Feuchtigkeit ansammelt, was die Holzerhaltung begünstigt.“ Die Konstruktion der Tragen ist behelfsmäßig. Historiker Weidner: „Mit ihnen brachten Strafarbeiter, also von US-amerikanischen Alliierten befohlene Einheimische, meist ehemalige NS-Parteiangehörige, die Erschossenen im Mai 1945 auf den provisorischen Friedhof ‚Melkeplätzchen‘.“

Haarzopf und Tragen gefunden

Darüber hinaus fanden die Archäologen im Bereich der Tragen auch zahlreiche Kleinfunde, darunter einen geflochtenen Haarzopf. „Dies ist ein direkter Beleg dafür, dass bei Warstein auch junge Frauen erschossen wurden“, meint Weidner. Ein weiterer Kleinfund aus demselben Grab ist ein kaum zwei Zentimeter großes Köpfchen aus bemalter Keramik. Es zeigt die aus ‚Max und Moritz‘ bekannte deutsche Figur des Schneider Böck. „Das Stück gehört zu einer Serie von zwölf Ansteckern nach der berühmten Bildergeschichte von Wilhelm Busch, die anlässlich der ersten Kriegssammlung des ‚Winterhilfswerkes‘ der ‚NS-Volkswohlfahrt‘ am 3. und 4. Februar 1940 in großer Zahl verkauft wurden“, so Prof. Dr. Michael Baales, Leiter der Außenstelle Olpe. Aus unbekannten Gründen ist dieses Stück zu der osteuropäischen Zwangsarbeiterin gelangt und war damit schon über fünf Jahre alt, als es mit ihr im Mai 1945 in das vorläufige Grab ging.

„Dass wir den Ermordeten so nahekommen, hätte ich nicht für möglich gehalten“, zeigt sich Baales betroffen. „Dies sind berührende Geschichten, die die Archäologie der Moderne zu schreiben vermag.“

Neben dem verschütteten Obelisken, der als Mahnmal der sowjetischen Opfer gedenkt, werden aktuell zahlreiche Kleinfunde untersucht und ausgewertet. Zwei hölzerne Tragen, ein Haarzopf (Bild)  und ein Keramikköpfchen geben Aufschluss über das Schicksal der 71 ermordeten, zumeist weiblichen Zwangsarbeiterinnen.
Neben dem verschütteten Obelisken, der als Mahnmal der sowjetischen Opfer gedenkt, werden aktuell zahlreiche Kleinfunde untersucht und ausgewertet. Zwei hölzerne Tragen, ein Haarzopf (Bild) und ein Keramikköpfchen geben Aufschluss über das Schicksal der 71 ermordeten, zumeist weiblichen Zwangsarbeiterinnen. © LWL Thomas Poggel

Hintergrund

Ende 2018 haben LWL-Forscher erstmals Grabungen zum Schicksal der gegen Kriegsende südlich von Warstein erschossenen 71 osteuropäischen Zwangsarbeiterinnen durchgeführt. Damals gelang es, am Tatort zahlreiche Funde der Opfer, aber auch Täter zu bergen. 2019 folgten Grabungen auf der Eversberger Kuhwiese. Auch dort fanden sich Hinweise.

Im Mai 2020 gingen die Forschungen weiter, diesmal auf dem freigelegten Friedhof „Melkeplätzchen“ oberhalb des Tatortes, wohin die Erschossenen 1945 umgebettet worden waren. Mit Unterstützung der Stadt Warstein wurde dort der ehemals von den Alliierten 1945 zur Erinnerung aufgestellte steinerne Obelisk wiederentdeckt. Die Steinsäule war hier im Zuge der Umbettung der Bestatteten nach Meschede 1964 vergraben worden.