Meschede/Eversberg/Warstein. . 208 ermordete Zwangsarbeiter sind auf dem Franzosenfriedhof beerdigt worden. Bis heute fehlt dort ein Hinweis auf die grausigen Taten.

  • 1947 erfuhren die Mescheder, dass die SS 1945 vor ihren Toren 80 Zwangsarbeiter ermordet hatte
  • Beigesetzt wurden die Opfer im März 1947 auf dem Franzosenfriedhof
  • Bis heute fehlt jede Erinnerung an die grausige Tat

Die Kriegsgräberstätte „Franzosenfriedhof“ liegt fast ein wenig verwunschen in der Fulmecke im Mescheder Norden. Nur wenige Menschen verirren sich hierher. Dass hier kein einziger französischer Soldat mehr liegt, aber neben einigen russischen Toten aus dem Ersten Weltkrieg vor allem 208 ermordete polnische und russische Zwangsarbeiter, wissen nur wenige. Wer es nicht weiß, erfährt es auch nicht. Denn eine Gedenktafel, die davon berichtet, gibt es auch 72 Jahre nach den Verbrechen nicht. Eine Tatsache, die Nadja Thelen-Khoder traurig und wütend macht. Die Kölnerin sieht es als ihr persönliches Vermächtnis an, den Toten eine würdige Gedenkstätte zu bauen und ihnen - soweit es möglich ist - ihre Namen zurückzugeben. „Das ist mein Erbe“, sagt sie.

Mord auf der Eversberger Kuhweide

Am 28. März 1947 - heute vor 70 Jahren - schreckte die Mescheder die Nachricht auf: Grausame Kriegsverbrechen hatten sich direkt vor ihrer Haustür ereignet. Auf einer Wiese zwischen Meschede und Eversberg hatten SS-Männer zwei Jahre zuvor, am 22. März 1945, 80 russische und polnische Zwangsarbeiter durch Genickschuss getötet und verscharrt. Zwei Jahre war dieses Verbrechen geheim geblieben. 1947 erhielten die englischen Besatzungsbehörden einen anonymen Hinweis. Die Toten wurden unter Aufsicht der Briten exhumiert und auf dem „Franzosenfriedhof“ am 3. April 1947 beigesetzt.

Tote aus dem Ersten Weltkrieg

Auf der Kriegsgräberstätte wurden i m Ersten Weltkrieg rund 900 Franzosen und Belgier aus dem Kriegsgefangenenlager beerdigt. Daher stammt der Name „Franzosenfriedhof“.

Diese Toten liegen nun alle in Heimaterde. An sie erinnert noch das Denkmal eines französischen Soldaten, das von französischen Kriegsgefangenen erstellt worden war.

Umbettung der Warsteiner und Suttroper Tote

1964 wurden dorthin auch Warsteiner und Suttroper Tote umgebettet. Sie waren zeitgleich im Langenbachtal und in Suttrop ermordet worden. Ihre Leichen hatte man bereits wenige Tage später entdeckt. Die Mutter von Nadja Thelen-Khoder, damals 18 Jahre alt, gehörte 1945 zu den Warsteinern, die auf Geheiß der Amerikaner an den Toten vorbeigehen mussten, damit niemand sagen konnte, er habe von den Kriegsverbrechen nichts gewusst.

Erinnerung nicht mit ins Grab nehmen

Die Mutter habe viel von Zwangsarbeitern erzählt und ihrem Vater, dem Warsteiner Arzt Dr. Meinolf Segin oft bei den Behandlungen geholfen. „Aber dass so viele Menschen noch wenige Tage vor Kriegsende im Langenbachtal ermordet worden waren, hat sie erst wenige Monate vor ihrem Tod erzählt“, berichtet Nadja Thelen-Khoder bewegt. „Ich glaube, sie wollte die Erinnerung nicht mit ins Grab nehmen.“

„Wer war denn ,der Iwan’“, fragt Nadja Thelen-Khoder. Ein Mensch.
„Wer war denn ,der Iwan’“, fragt Nadja Thelen-Khoder. Ein Mensch.

Keine Erinnerung in Meschede

Die Tochter besucht Warstein, die dortigen Gedenkstätten und den Friedhof Fulmecke und ist erschüttert. Während man in Warstein an die Morde erinnert, findet sich in Meschede kein einziger Satz dazu. „Nichts deutet darauf hin, dass die Opfer der drei Massenerschießungen hier liegen: nicht die Bezeichnung des Ortes als ,Kriegsgräberstätte’, nicht der Eingang mit dem großen Tor, nicht die Tafel hinter dem Eingang“, sagt sie.

Unbekannte russische Tote

Die verwitterten Gedenksteine und die Bronzetafel direkt am Eingang sprechen tatsächlich nur von „unbekannten russischen Toten aus Suttrop und Warstein“ und von „80 sowjetischen Bürgern, die in der schweren Zeit 1945 fern von ihrer Heimat starben“. Allein die russische Stele deutet das Verbrechen mit einem Satz an: „Hier ruhen russische Bürger, bestialisch ermordet in faschistischer Gefangenschaft.“

Die Menschen hinter den Zahlen

Nadja Thelen-Khoder zählt die Toten in der Fulmecke auf: in Suttrop 35 Männer, 21 Frauen und ein Kind, im Langenbachtal bei Warstein 14 Männer, 56 Frauen und 1 Kind und in Eversberg 80 Männer.

Die Holzschale der Kahns

Sie fragt sich, warum so lange geschwiegen wurde. Karl Schaefer, der in „Die Holzschale der Kahns“ über die Zeit in Meschede schreibt, vermutet: „Die Leute fürchteten: Was machen die Sowjets mit uns, wenn sie uns erobern und erfahren, was ihren Staatsangehörigen hier bei uns angetan worden ist? (...) Wenn die Russen kämen, sollte die Stadt sauber dastehen.“

Sauerländer Gesellschaft sieht sich kollektiv als Opfer

Diese Erklärung klingt in den Ohren von Nadja Thelen-Khoder und so sieht es auch die moderne Geschichtsforschung zu einfach, zu entschuldigend. Sie vermutet eher, dass man sich für diese russischen Zwangsarbeiter nie interessiert habe. „Auch die sauerländische Gesellschaft empfand sich nach 1945 als Opfer des Krieges, und da war eine Erinnerung an Menschen, die noch viel mehr Opfer waren, vielleicht nicht gewollt“, vermutet Thelen-Khoder. Und schließlich gab es ja auch noch die Täter mitten in der Mescheder Gesellschaft. Menschen, die von Zwangsarbeitern profitiert, Zwangsarbeiter bewacht und Zwangsarbeiter misshandelt hatten. Vielleicht ein Grund, warum so viele schwiegen?

Treffen auf dem Friedhof

Bei der Stadt Meschede scheint mittlerweile das Geschichtsverständnis gewachsen. „Die Forderung nach einem würdigen Gedenken ist auf jeden Fall berechtigt“, sagt Pressesprecher Jörg Fröhling und verweist auf eine Begehung, die Anfang April stattfinden soll. An dieser nehmen Vertreter der Bezirksregierung, des Volksbunds Kriegsgräberfürsorge und des Landschaftsverbandes teil. Bisher ging es bei ihren Treffen immer nur um die Restaurierung von Steinen und Denkmälern. Nadja Thelen-Khoder würde gern daran teilnehmen. Damit auch die grausamen Morde und das Gedenken daran in den Fokus rücken.

Info: Zu den Massenmorden ist ein Buch von Peter Bürger, Jens Hahnwald und Georg D. Heidingsfelder erschienen: Sühnekreuz Meschede. Die Massenmorde an sowjetischen und polnischen Zwangsarbeitern im Sauerland während der Endphase des 2. Weltkrieges und die Geschichte eines schwierigen Gedenkens. ISBN: 978-3-7431-0267-5. Es kostet 14,90 Euro.

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