Eversberg/Warstein. 208 Menschen - vor allem Frauen - sind im März 1945 in Warstein und Meschede ermordet worden. Forschungen rekonstruieren die letzten Stunden.

Das Stück einer Mundharmonika, ein Kamm, bunte Knöpfe, ein Kreuz, Teile einer Uhr, ein Wörterbuch auf Polnisch. Das ist das, was von 208 Menschen - die meisten von ihnen Frauen - übrig blieb. Sie wurden im März 1945 - kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges - von Waffen-SS und Wehrmacht zwischen Warstein und Meschede ermordet. Keine Namen, keine Geschichte. Aber Projektile im Wald, die zeigen, dass die Mörder den fliehenden Zwangsarbeiterinnen nachsetzten. Ein Forschungsprojekt des LWL will den Opfern ein Gesicht geben. Dazu haben auch umfangreiche Ausgrabungen stattgefunden.

Teile einer Mundharmonika: Bilder dokumentieren die Fundstücke der Ausgrabungen.
Teile einer Mundharmonika: Bilder dokumentieren die Fundstücke der Ausgrabungen. © LWL/Thomas Poggel

Das Verbrechen

In Eversberg, Suttrop und Warstein fand eines der größten Verbrechen - außerhalb von Konzentrationslagern und Gefängnissen - in der Endphase des Krieges in Deutschland statt. Dr. Marcus Weidner, Historiker des LWL, forscht schon lange zu dem Thema. Gemeinsam mit dem Archäologen Dr. Manuel Zeiler stellte er Freitag die neuesten Ergebnisse und die historischen Hintergründe vor.

Beerdigt sind 201 von 208 Toten auf dem Waldfriedhof Fulmecke in Meschede. Dieser soll in Zukunft neugestaltet und in die Erinnerungskultur zu dem Massaker eingebunden werden. Wichtig in einer Zeit, so betonte LWL-Direktor Matthias Löb, in der versucht werde, die Verbrechen der NS-Zeit herunterzuspielen oder die Geschichte gar umzudeuten.

Die Opfer

„Sie waren zur falschen Zeit am falschen Ort“, sagt Dr. Marcus Weidner über die Opfer. Russische und polnische Zwangsarbeiter aus dem Rheinland und dem Ruhrgebiet, die vor dem Bombenhagel Richtung Osten flohen und in Warstein gestrandet waren.

Ein Ring - Fundstück des LWL.
Ein Ring - Fundstück des LWL. © LWL/Thomas Poggel

Die meisten von ihnen Frauen. Sie waren wehrlos und offenbar auch arglos. Ihre Mörder versprachen ihnen eine bessere Unterkunft, bessere Verpflegung. So meldeten sie sich freiwillig. Auch zwei Mütter mit Kindern waren darunter. „Weil bei der ersten Erschießung im Langenbachtal zu viele Frauen unter den Opfern waren, sollten bei der zweiten Exekution mehr Männer ausgewählt werden“, sagt Weidner. Trotzdem, so betont er, waren es wieder überwiegend Frauen. Sie wurden mit einem Lkw zu den Erschießungsstätten gebracht und dort per Genickschuss getötet.

Die Funde

Im Langenbachtal bei Warstein mussten die 60 Frauen, 10 Männer und ein Kind zuvor ihre Kleidung und letzte Habe ablegen. Deshalb fand Archäologe Dr. Manuel Zeiler mit seinem Team aus haupt- und ehrenamtlichen Sondengängern und Archäologen dort die meisten Fundstücke. 400 sind es insgesamt an allen Tatorten: Emaille-Töpfe, Schuhe, polnische Gebetbücher, kaum Münzen - aber auch Projektile der Täter. Funde und Spuren, die Aufschluss geben, wo geschossen wurde. „Die Gegenstände sind fiskalisch wertlos, aber für unsere Erinnerungskultur von außerordentlicher Bedeutung“, sagt Zeiler. Die archäologischen Grabungen waren wichtig, denn wenn - wie es sich Weidner wünscht - ein Erinnerungspfad die Orte nennen und verbinden soll, mussten die Archäologen den Grabräubern zuvorkommen.

Die Forschungsergebnisse haben eingeordnet: (von links) Meschedes Bürgermeister Christoph Weber, LWL-Direktor Matthias Löb, Dirk Wiese, SPD-Bundestagsabgeordneter und Russlandbeauftragter der Bundesregierung, Archäologe Dr. Manuel Zeiler,  der Historiker Dr. Marcus Weidner und der  Bürgermeister von Warstein Thomas Schöne.  
Die Forschungsergebnisse haben eingeordnet: (von links) Meschedes Bürgermeister Christoph Weber, LWL-Direktor Matthias Löb, Dirk Wiese, SPD-Bundestagsabgeordneter und Russlandbeauftragter der Bundesregierung, Archäologe Dr. Manuel Zeiler,  der Historiker Dr. Marcus Weidner und der  Bürgermeister von Warstein Thomas Schöne.   © Ute Tolksdorf

Die Namen

208 Tote - nur 14 Namen hat Weidner bisher herausgefunden. Nach den Exhumierungen - die in Warstein direkt nach dem Einmarsch der Alliierten geschahen - in Meschede erst 1947 - blieben keine Namen. „Obwohl sich selbst noch bei der Umbettung in den 60er-Jahren, Papiere und Ringe fanden, wurden diese nicht extra verwahrt, sondern einfach wieder mit beigesetzt. Man interessierte sich offenbar nicht für die Opfer“, sagt Weidner. „Es waren nicht ,unsere’.“ Das sei besonders schlimm, wenn man an Angehörige denke, die ihre Toten nicht finden, nicht betrauern könnten.

Ein Gedenkstein auf dem Waldfriedhof Fulmecke verschleiert mehr die Taten, als dass er sie erläutert.
Ein Gedenkstein auf dem Waldfriedhof Fulmecke verschleiert mehr die Taten, als dass er sie erläutert. © Archiv

Täter und Tatorte

Drei unterschiedliche Offiziere wurden mit der Erschießung beauftragt. „Sie erkundeten auch die Tatorte“, sagt Weidner. Geheim sollten sie alle sein, abgelegen, aber doch mit dem Lkw erreichbar. Die Eversberger Kuhweide, sie liegt gegenüber des Ehrenfriedhofs - Richtung Warstein - erkundete ein offenbar ortsfremder Offizier über mehrere Tage. 10 bis 15 SS-Angehörige und Wehrmachtsoldaten waren jeweils für die Erschießungen zuständig. „Das waren keine eiskalten SS-Killer“, sagt Weidner, „bei einige hat das sicher auch Spuren hinterlassen.“

>>>HINTERGRUND

Die Ergebnisse sollen auch für die Neugestaltung des Mescheder Friedhofs Fulmecke (Franzosenfriedhof) eingesetzt werden.

Wie dieser genau umgestaltet wird, ist noch nicht klar. Ziel könne sein, so der Vorschlag des LWL-Historikers Dr. Marcus Weidner, die Orte durch Tafeln zu kennzeichnen und im Internet Informationen bereitzustellen.

Man könnte sie im Rahmen eines „Erinnerungspfads“ als zusammenhängende Orte der Zeitgeschichte erfahrbar machen. Dies setzte voraus, dass vorher die Hinterlassenschaften der Opfer für die Nachwelt geborgen wurden.

Nur 14 Namen der Mordopfer sind bekannt. Die weitere Arbeit gibt die Chance, den anonym Bestatteten eine Identität zu geben und Kontakt zu ihren Nachfahren aufzunehmen.

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