Meschede. Dr. Marcus Weidner forscht zum „Massaker im Arnsberger Wald“. Er fasst neue Erkenntnisse zur Erschießung in Eversberg im März 1945 zusammen.

„Wie durch ein Brennglas lässt sich in Meschede erkennen, wie die Gesellschaft vor und nach 1945 mit ausländischen Opfern von Krieg und Gewalt umgegangen ist.“ Davon ist Dr. Marcus Weidner, Historiker am Institut für westfälische Regionalgeschichte des LWL, überzeugt. Für unsere Zeitung gibt er weitere Details zum Mord an 80 Menschen im März 1945 auf einer Eversberger Kuhweide bekannt. Sie stammen aus seinem Buch über die Kriegsendphase-Verbrechen im Warsteiner Raum, das 2020 erscheinen soll.

Die Hintergründe

Die Fakten sind oft erzählt. Bei einem der größten Verbrechen am Kriegsende – außerhalb von Gefängnissen und Lagern – wurden von Warstein und Suttrop aus 208 Männer, Frauen und ein Kind aus Russland und Polen umgebracht. 80 von ihnen auf der Eversberger Kuhweide. Warum? „Sie alle waren einfach zur falschen Zeit am falschen Ort“, sagt Weidner.

„Die letzten Kriegswochen waren gekennzeichnet durch eine ausgesprochene Willkürpraxis gegenüber Zwangsarbeitern. Die Divisions-Offiziere wählten ihre Opfer allein aufgrund ihrer osteuropäischen Herkunft aus. Angesichts des Zusammenbruchs und der zu erwartenden Niederlage sei der Mord ein Ventil gewesen, „den Kontrollverlust durch ungezügelte Aggression zu kompensieren. Je weniger sie eine Zukunft für sich sahen, desto größer war ihr Zerstörungspotenzial.“

Der Befehl

Für den Mord in Eversberg gab SS-Sturmbannführer Johannes Miesel Oberleutnant Helmut Gaedt, Waffenoffizier der „Division zur Vergeltung“, den Exekutionsbefehl. Da im Warsteiner Langenbachtal zuvor relativ viele Frauen ermordet worden waren, sollten es jetzt vor allem Männer sein. Gaedt fand die zu Eversberg gehörende Kuhweide und ließ dort mit Sprengstoff eine an einer Seite angeschrägte Grube anlegen. Weidner: „So konnten Täter und Opfer die Grube besser betreten.“ Die 80 Männer wurden abends unter dem Vorwand eines Arbeitseinsatzes aus der Warsteiner Sauerlandhalle geholt.

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Neue Fakten

Seitdem Archäologen des LWL Ende 2018 die Fläche untersucht haben, weiß man Genaueres über den Tathergang. „Man trieb sie am Waldrand Richtung Kleine Steinmecke runter in die Grube und erschoss sie“, sagt Weidner, auf dessen Anregung die Grabung zustande kam. Die Täter durchsuchten die leblosen Körper, die alle Monteursanzüge getragen haben sollen - viele waren Jugendliche unter 20 Jahren - und verbrannten im Anschluss die weiteren Habseligkeiten und Papiere. „Das waren aber nicht alle Dokumente“, so Weidner. „Es war dunkel, Licht konnte man nicht machen, es bestand ja immer die Gefahr von Fliegerangriffen.“

In Meschede hatte, laut Weidners neuen Recherchen, Hermann Volkenrath die Engländer im Oktober 1946 auf die Spur der Erschießungsstelle geführt. Zigarrenhersteller Bernhard Wegener gab im Zuge der Ermittlungen zu Protokoll, dass von diesem Massengrab „in der Eversberger Bevölkerung bereits gemunkelt worden“ sei.

Die Wiese gehörte Bauer Carl Möller. „Der hatte sich auch schon kurz nach der Tat dem Ortsbauernführer Hugo Pieper anvertraut, doch danach war nichts passiert.“ Weil der Boden Anfang November 1946 schon gefroren war, verschoben die Engländer die Exhumierung auf den März 1947. Amtsarzt Petrasch begutachtete jede Leiche. Dabei fand man tatsächlich noch Personalpapiere. „Es handelte sich um polnischer, russische und ukrainische Zwangsarbeiter, die vor allem aus dem Bergischen Land und aus Köln gekommen waren.“

Die Papiere wurden zwar zum Teil fotografiert und die Namen dokumentiert, dann aber verschwanden die Angaben in einer Akte. „Niemand“, so Weidner, „hatte ein Interesse daran, den Toten eine Identität, und sei es nur die Nationalität, zurückzugeben. Auch die Engländer nicht, die vor allem eigene Kriegstoten suchten und die Tätersuche im Jahr darauf einstellten.“ Am 3. April wurden die Opfer von Eversberg in 30 normalen und sechs übergroßen Särgen auf dem Friedhof Fulmecke beigesetzt.

Der Prozess

Eine Verbindung zu den übrigen Toten in Warstein und Suttrop wurde lange nicht gesucht und nicht gefunden. Obwohl auch Bauer Möller, die Ermittler darauf hinwies. Die Staatsanwaltschaft war zwar vom Amtsgericht Meschede aus informiert worden, nahm aber, obgleich sie ab 1950 als zuständige Behörde dazu verpflichtet war, keine eigenen Ermittlungen auf. Erst 1957 standen die Täter vor Gericht – eine anonyme Anzeige hatte den Anlass gegeben. „Die Opfer wurden dann während des so genannten Fremdarbeiterprozesses unterschwellig in die Rolle potenzieller Krimineller gedrängt“, erklärt Weidner: „Weder hatte man sich für ihre möglichen Spuren in den Wäldern interessiert, noch für ihre Geschichten, ihre Namen oder die Trauer ihrer Angehörigen.“

Der Friedhof Fulmecke

Eingang zum so genannten Franzosenfriedhof in der Fulmecke.
Eingang zum so genannten Franzosenfriedhof in der Fulmecke. © Ute Tolksdorf

Dass das bis heute so ist, zeigt ein Blick auf den versteckt liegenden Friedhof Fulmecke, auf die dortige russische Stele und einzelne Gedenksteine, deren Inschrift - „Hier ruhen… sowjetische Bürger, die in der schweren Zeit 1945 fern der Heimat starben“- den Mord an den Zwangsarbeitern mehr verschleiert als erhellt.

Auch an der Stelle im Kohlweder Tal, wo die 80 Männer ermordet wurden, findet man keine Erinnerungstafel. Weidner zeigt auf den direkt daneben liegenden deutschen „Ehrenfriedhof“ Eversberg, schmuck, gut gepflegt.

Die Steinplatte auf dem Franzosenfriedhof verschleiert die Tat mehr, als dass sie diese erhellt.
Die Steinplatte auf dem Franzosenfriedhof verschleiert die Tat mehr, als dass sie diese erhellt. © Ute Tolksdorf

„Die Toten des Massakers erscheinen bis heute auf keiner Ehrentafel und gehören doch dazu“, sagt Weidner. „Sie wurden von Deutschen meist zwangsweise geholt, von Deutschen meist zwangsweise zur Arbeit gepresst und von Deutschen ermordet. Sind wir Deutschen dann nicht auch verpflichtet, an sie würdig zu erinnern – an die Toten von Meschede“, fragt er rhetorisch.

>>>HINTERGRUND

Dr. Marcus Weidner (54) stammt aus Münster und arbeitet dort am LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte. Weidner studierte in Münster. Heute ist er Mitglied der Historischen Kommission für Westfalen und seit 2002 Wissenschaftlicher Referent beim LWL.

Der Historiker arbeitet jetzt gemeinsam mit der Stadt Meschede an einer Erinnerungskultur für alle Toten, die bei dem „Massaker im Arnsberg Wald“ ermordet wurden. „Wir müssen den Toten ihre Individualität zurückgeben. Vielleicht sogar Nachfahren ausfindig machen“. sagt er. 14 der 80 Namen hat er ermittelt.

Weiter sollen alle Orte, die mit dem Kriegsverbrechen zu tun haben, gekennzeichnet werden. Er wünscht sich Info-Tafeln, deren Hinweise in die Tiefe führen. „Geschichte darf nicht nur in dicken Büchern verschwinden. Wir brauchen sie praktisch, auch als Mahnung.“