Meschede/München. Was tun, wenn einem die Decke auf den Kopf fällt oder die Familie nervt. Mescheder Psychologin gibt Tipps und erklärt Phänomene der Corona-Krise.
„Angst ist per se kein schlechtes Gefühl“, sagt Diplom-Psychologin Aleksandra Cichecka (35). Wichtig sei, das Gefühl anzunehmen. Wir sprachen mit der Psychotherapeutin über die Psyche in der Corona-Krise, Hamsterkäufe, Familiendramen und konkrete Tipps zur Entspannung.
Wie lässt sich diese Angst vor dem Unsichtbaren erklären?
Aus evolutionspsychologischer Sicht ist Angst eines der sechs Grundgefühle, somit eine fundamentale Emotion (wichtiges Gefühl). Die Angst vor dem Säbelzahntiger rettete unseren Vorfahren das Leben. Die Lage nun ist allerdings etwas komplexer, schwer greifbar. Zur konkreten Angst vor einer Erkrankung kommen die unterbewusste Emotion des Kontrollverlusts und ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis hinzu. Diese Gefühle und Bedürfnisse bewegen Menschen etwa dazu, viel zu viel Toilettenpapier einzukaufen. Menschen versuchen somit die Situation und ihre Gefühle unterbewusst zu kontrollieren. Wenn alles zusammenbricht, habe ich wenigstens Toilettenpapier. Es klingt banal, aber es ist dieser psychologische Bewältigungsmechanismus, der dahinter steckt.
Welche Tipps haben Sie, damit die Angst uns nicht übermannt?
Erstens: Nicht gegen die Angst ankämpfen, sondern als Gefühl annehmen. Gedanken sind den Gefühlen immer vorgeschaltet, das können wir nutzen. Zweitens: Die Gebote der Mediziner und Regierung ernstnehmen und befolgen, aber den Fokus auf andere Dinge legen, den inneren Scheinwerfer nicht auf die Angst richten. Werden Sie aktiv: Lesen, Brettspiele, Putzen, Gärtnern, Telefonieren… Aber bitte nicht länger als zwei Stunden täglich Fernsehen. Das wäre wieder kontraproduktiv. Drittens: Die Chancen sehen. Die Menschen müssen sich jetzt notgedrungen mit der Frage beschäftigen: Was mag ich eigentlich, wenn ich allein mit mir bin. Meiner Meinung nach liegt darin auch eine Möglichkeit, sich nun besser kennenzulernen und persönlich weiter zu entwickeln.
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Helfen diese Tipps auch vor Existenzangst, Angst um Angehörige, Angst vorm Eingesperrt sein?
Ja, denn Angst funktioniert immer gleich. Sie zeigt häufig unterschiedliche Gesichter, doch der Nährboden ist gleich. Wichtig ist es, die Ängste anzugehen, seine Komfortzone zu verlassen, sie nicht zu vermeiden.
Woran merke ich, dass ich an meine Grenzen komme in dieser Ausnahmesituation?
Passivität, Niedergeschlagenheit, das Gefühl, wenn einem die Decke auf den Kopf fällt, Gereiztheit, innere Getriebenheit, Gedanken, die man so von sich nicht kennt – die seelischen und körperlichen Phänomene können sich sehr unterschiedlich zeigen. Es gilt dann den Kreislauf zu durchbrechen, eben durch die Aktivierung der Ressourcen, wie oben beschrieben. Nicht in der Situation zu verharren.
Warum fällt es dem Menschen so schwer, nichts zu tun?
Zum einen, weil wir Deutschen in einer Leistungsgesellschaft leben. Wir sind es gewohnt, uns stets selbst zu optimieren, immer etwas zu schaffen. Nichtstun wird mit Faulheit gleichgesetzt. Dieser kulturelle Aspekt macht es uns schwer, nichts zu tun. Das ist in Spanien oder Italien etwas anders (finde ich unglücklich formuliert, ein Spanier oder Italiener fühlt sich möglicherweise verletzt und abgewertet, als sei er nicht leistungsbereit. Ich würde es ersetzen durch „Das ist in anderen Ländern anders, deutlich entspannter.“). Zum anderen werden unsere Grundrechte zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg massiv eingeschränkt. Das kennen wir so nicht und benötigen eine gewisse Zeit zur Anpassung. Mit neuen Situationen tut sich der Geist schwer, wir benötigen einige Zeit, um uns mit den Einschränkungen anzufreunden und die Angst zu verarbeiten. Aber dann wird es eine Zeit der Zufriedenheit geben, der Solidarität. Und in einigen Jahren schauen wir stolz auf diese Zeit zurück. Auch dahinter steckt ein psychologischer Mechanismus, der ihm dabei hilft, unangenehme Gefühle nicht auf Dauer aufrecht erhalten zu müssen. Körperliche Prozesse stehen dabei im direkten Zusammenhang mit unserer Gefühlsverarbeitung. Nachdem der Körper Angst- sowie Stresshormone wie Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin und Cortisol verbraucht hat, ist „der Speicher leer“ und die Angst vergeht von allein. Ein Bewältigungsgefühl über die Situation stellt sich peu à peu ein.
Wie gehe ich mit Konflikten um, die nun innerhalb der Familie entstehen können, wenn sich alle auf engem Raum befinden?
Lassen Sie alte Konflikte ruhen. Es ist jetzt nicht die Zeit, um über tiefsitzende Verletzungen zu sprechen, nur weil man als Familie gerade viel Zeit miteinander verbringt. Denn die Möglichkeiten zum Ausgleich und zum Ausweichen sind beschränkt. Zumal ja nun auch häufig im Homeoffice gearbeitet wird. Die geltenden Kommunikationsregeln sind nun wichtiger als zuvor: Miteinander sprechen, Ich-Sätze, konkrete Dinge besprechen, nicht generalisieren und Wörter wie“ immer“ und „nie“ vermeiden; einander zu hören und aussprechen lassen, auf den Ton achten, Wertschätzung. Die Basics eben.
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Was können gerade ältere Menschen nun gegen Einsamkeit tun?
Auch hier gilt es: aktiv zu werden wie oben beschrieben, aber in Eigeninitiative. Lesen, Telefonieren, Rätseln… Jetzt wäre beispielsweise auch ein guter Zeitpunkt, um sich Videotelefonie erklären zu lassen.
Wie erkläre ich Kindern die Situation ohne Ängste zu verursachen?
Kinder bekommen eine Menge mit. Wenn der Dreijährige fragt, warum er nicht in den Kindergarten darf, sollte man ihm das erklären. Es geht darum, die Kinder da abzuholen, wo sie gerade sind. Über eine Sterblichkeitsrate würde ich mit einem Achtjährigen jetzt nicht sprechen. Aber ihm erklären, dass das Virus gefährlich ist, aber dass man sich schützen kann, wenn man erst einmal nicht zusammen spielt und sich regelmäßig die Hände wäscht.
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Was können Meditation und Bewegung bewirken?
Entspannungstechniken und Sport sind eine sehr gute Möglichkeit, um das Anspannungslevel im Körper zu senken und so auch Gefühle von Angst und Panik zu reduzieren. Dazu gehören zum Beispiel Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen, Fantasiereisen, Meditation und Yoga. Das Gute: Es gibt eine Reihe von Angeboten, die man kostenlos über YouTube-Videos zu Hause ausprobieren kann. Auch die Krankenkassen haben viele solcher Kurse auf ihren Seiten platziert.
Zur Person
- Diplom-Psychologin Aleksandra Cichecka, Psychologische Psychotherapeutin (VT), arbeitet in München. Schwerpunkt ihrer Arbeit sind Psychotherapie, Coaching und Paartherapie.
- Die 35-Jährige ist in Meschede aufgewachsen und legte 2005 ihr Abitur am Gymnasium der Stadt Meschede ab.
- Seit drei Jahren führt sie mit zwei Kolleginnen eine Praxis am Kurfürstenplatz in München.