Menden. . Nach dem Unfall hätte das wohl niemand für möglich gehalten: Marcel Schäfer, wurde beim Schützenzug-Unglück vor fünf Jahren lebensgefährlich verletzt, seither ist er schwerbehindert. Nun hat der 23-Jährige eine berufliche Ausbildung begonnen. Seinen bisweilen steinigen Weg geht er mit Optimismus.

Am 19. Juli 2009 wird Marcels Leben quasi auf Null zurückgesetzt, als er beim Festzug lebensbedrohlich verletzt wird. Mit großer Unterstützung seiner Familie kämpft sich Marcel im Laufe vieler Monate zurück ins Leben, holt sich Stück für Stück den Alltag zurück. Sprechen lernen, laufen lernen, wieder leben lernen – alles muss Marcel sich neu aneignen. Er macht am Berufsförderungswerk Hamm eine zweijährige schulische Ausbildung zum Bürokaufmann, die er 2013 erfolgreich abschließt.

Und dann beginnt die Hängepartie. Denn er findet keine Stelle. Nur auf rund jede zehnte seiner mehr als hundert Bewerbungen bekommt er überhaupt eine Antwort. Nur Absagen. Weder bei Unternehmen noch im öffentlichen Dienst bekommt Marcel eine Chance.

„Mir macht das richtig viel Spaß“

Schließlich steht fest: Marcel wird als Bürokaufmann keine Stelle finden. Also bemüht er sich um einen neuen Ausbildungsplatz. Sein Glück: Markus Arens, Geschäftsführer bei OBO Bettermann, hat seit dem Unfall Marcels Werdegang im Blick. Er steht in Kontakt mit Marcels Stiefvater Walter Wölfl und bekommt mit, wie steinig Marcels Weg ist. Der junge Mann darf ein sechsmonatiges Praktikum bei OBO machen.

Er bewährt sich, nahtlos schließt sich nun seit dem 1. August die dreijährige Ausbildung zur Fachkraft für Lagerlogistik an. „Mir macht das richtig viel Spaß“, freut sich Marcel. „Ich habe eine gute Mischung aus Schreibtischarbeit und körperlicher Arbeit.“

Gleichgewicht und Motorik

Bei allen Fortschritten: Marcel hat nach wie vor Einschränkungen durch die erlittenen schweren Verletzungen. Gleichgewicht, Motorik und Konzentration bleiben seine Schwachpunkte. Seine ursprüngliche Schwerbehindertenquote von 100 Prozent beträgt immer noch 50 Prozent. Aber weder Marcel noch seine Familie hadern mit dem Schicksal. Kein „Was wäre wenn“ oder „Hätten wir doch nur“. Warum auch?

„Es würde ja doch nichts ändern“, sagt Walter Wölfl, ganz Realist. Er war es, der seiner Frau und seinem Stiefsohn immer vorgelebt hat, nicht im Groll zurückzublicken, sondern optimistisch in die Zukunft. „Wenn wir unsere Energie in das Warum gesteckt hätten, dann hätte uns dieses Warum irgendwann erdrückt und begraben“, ist Walter Wölfl überzeugt. „Es ist viel sinnvoller, Kraft in die Zukunft zu investieren.“

Wenn Walter Wölfl an der Unglücksstelle vorbeijoggt oder mit dem Auto dort entlang fährt, „gibt es nie einen Tag, an dem ich nicht daran denke, was hier passiert ist“. Dennoch tragen er und seine Familie dem damals 79-jährigen Unglücksfahrer nichts nach: „Ich habe ihm nie Absicht oder Vorsatz unterstellt. Mit so einer Schuld möchte ich nicht leben müssen.“

Als Familie zusammengerückt

Niemand hätte es im Sommer 2009 für möglich gehalten, dass Marcel je ein selbstständiges Leben führen könnte. Krankenhaus-Aufenthalte, Reha-Maßnahmen und unzählige Therapiestunden liegen hinter ihm. „Er hat nie gejammert. Es ist allein sein Verdienst, dass er so weit gekommen ist“, sagt seine Mutter Claudia Wölfl bescheiden.

Aber fest steht wohl auch, dass seine Familie dazu einen riesengroßen Beitrag geleistet hat. „Jede Medaille hat zwei Seiten“, sagt Walter Wölfl nachdenklich. „Und da gibt es eben nicht nur die schlechte, nicht nur die Narben und Wunden, sondern auch die gute, nämlich dass wir als Patchwork-Familie ganz eng zusammengerückt sind.“

Neue Freunde gefunden

Nur ein Wunsch bleibt Marcel wohl verwehrt. Vor dem Unfall hat er bei der DJK Grün-Weiß Menden Fußball gespielt, war gerade nach Bösperde gewechselt. Selbst kann er nun nicht mehr kicken, dafür fiebert er begeistert bei den Spielen seiner Borussia mit. „Und an der Playstation kann ich mit den Daumen Fußball spielen“, sagt Marcel und setzt das für ihn so typische verschmitzte Lächeln auf. Sein größtes Hobby aber ist der Schützenverein, in dessen Festzug das Unglück passierte. Von seinem alten Freundeskreis ist niemand geblieben, „aber ich habe bei Hubertus neue Freunde gefunden“.

Welche Bedeutung hat der 19. Juli, der Tag des Schützenfestunglücks, heute für Marcel? Kurz denkt der junge Mann nach: „Eigentlich keine besondere. Ich hadere nicht mit meinem Schicksal. Es ist halt passiert. Und ich bin einfach froh, dass ich noch lebe.“