Menden. Der frühere Bild-Chefredakteur Kai Diekmann plaudert in Menden aus dem Nähkästchen – und gibt Einblicke ins Gebaren von Staatsoberhäuptern.

Wie reagieren gestandene Journalisten, wenn der russische Präsident sie zum Baden im Schwarzen Meer einladen – oder Bundespräsidenten eine Wutrede auf der Mailbox hinterlassen? Einblicke in bisweilen kuriose Situationen hat nun der frühere Bild-Chefredakteur Kai Diekmann im Rahmen des Autorenherbstes gegeben. Statt Krawall gibt’s im Theater Am Ziegelbrand (TAZ) jedoch vor allem nachdenklich stimmende Geschichten aus dem Leben eines bisweilen polarisierenden Bild-Chefs.

Bild-Chef zu ist eine Haltung, die sich verändern kann

Es gibt Schlagzeilen, die prägen sich ein. Eine, für die der frühere Bild-Chefredakteur Kai Diekmann bis heute Anerkennung erhält, hat Buchhändler und Veranstalter Andreas Wallentin gleich mitgebracht in Einstimmung auf die Lesung des Autorenherbstes: „Wir sind Papst“. Die Überschrift nach der Wahl Kardinal Josef Ratzingers zum Papst am 20. April 2005 ist landesweit bekannt. „Bis kurz vor Redaktionsschluss haben wir diskutiert: Trauen wir uns oder trauen wir uns nicht“, erzählt Diekmann dazu gleich zu Beginn. Und auch wenn sich die Schlagzeile erst ein paar Tage später so richtig durchsetzen konnte, so hat sie der Boulevardzeitung auch eine Beschwerde beim Presserat eingebracht. „Ein Deutschlehrer hat sich da beschwert“, sagt Kai Diekmann mit einem Schmunzeln.

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Diekmann steht für Moderator Dirk Becker für eine „Konstanz, die es so lange nicht gegeben hat“ im Hause Axel Springer. Bekanntlich hat sich der Nachfolger Diekmanns nicht so lange gehalten. Nach gut vier Jahren im Amt stolperte Julian Reichelt über Vorwürfe des Machtmissbrauchs gegenüber Mitarbeiterinnen und Recherchen der New York Times dazu. An diesem Abend im TAZ spielt das allerdings keine Rolle.

Es geht um die Geschichten hinter den Geschichten. Und wie Diekmann diese erlebt hat. „Bild-Chef zu sein, ist eine Haltung“, sagt er. Doch dass sich diese Haltung auch mal ändern kann, zeigen vor allem die Begegnungen mit Russlands Präsident Wladimir Putin. 2001 interviewt ihn Diekmann – fast sogar in Badehose am Strand von Sotschi. Der Präsident hatte ihn im Anschluss an das Gespräch zum Schwimmen eingeladen. „Damals war nicht vorstellbar, dass Putin mal ein Kriegsverbrecher wird“, ordnet Diekmann ein. Denn kurz nach dem Interview in der Bild-Zeitung spricht der russische Präsident unter Jubel im Deutschen Bundestag. Auf Deutsch. Doch so rosig die Aussichten seinerzeit waren: Heute steht all das in anderem Licht. Das liege vor allem an grundsätzlichen Missverständnissen zwischen Deutschland und Russland. Während das Ende des Zweiten Weltkrieges für die einen die größte Niederlage war, war es für die anderen der größte Sieg. Während Mauerfall und Wiedervereinigung für die einen ein Segen war, war es für die anderen der Anfang vom Ende. „Jemanden verstehen zu wollen für das, was er tut, ist etwas anderes als Verständnis zu haben“, betont Diekmann. Er will mit seinem Kapitel über Putin in Badehose aufzeigen, welche Taktik hinter dem Gebaren des russischen Präsidenten steckt – vor allem vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges.

Kalkül, Comedy und ein Realitätscheck

Während der frühere KGB-Agent mit äußerstem Kalkül vorgeht, jeder Schritt durchdacht und geplant ist, sieht das bei anderen Staatsoberhäuptern allerdings gänzlich anders aus. Und dabei macht Kai Diekmann auch vor einem Bundespräsidenten keinen Halt, der ihm eines Tages eine bitterböse Nachricht auf der Mailbox hinterlässt. Grund ist die Berichterstattung über einen Hauskredit, die die Bild seinerzeit plante. Die wollte Christian Wulff am liebsten verhindern. Ein Fehltritt, über den er letzten Endes stolperte und sein Amt niederlegen musste. Verantwortlich ist dafür aus Sicht des heutigen PR-Profis Diekmann vor allem schlechte Kommunikation. „Ich denke, er hätte diese Krise überleben können.“ Als Beispiel dafür nennt er dann Margot Käßmann. Sie habe nach ihrer Alkohol-Fahrt mit einem Liebhaber auf dem Beifahrersitz genau richtig reagiert. „Sie hat ihre Ämter niedergelegt und danach sind ihre Umfragewerte durch die Decke gegangen.“ Deutschland, da ist sich Diekmann nach 16 Jahren an der Spitze der größten Boulevardzeitung Europas sicher, „liebt Comeback-Storys“.

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Zwischendurch gibt’s dann ein paar Anekdoten über Helmut Kohl und seine persönliche Beziehung zum Bild-Chef. Aber auch etwas zum Lachen, wenn sich Diekmann über eine kleine private Fehde mit der TAZ mitsamt einem Penis-Denkmal seines besten Stückes an einer Berliner Fassade amüsiert.

Gegen Ende der Lesung wird’s allerdings noch einmal emotional. Denn Diekmann ist nicht nur PR-Profi, sondern auch Vorsitzender des Freundeskreises Yad Vashem. „Wie blicken Sie auf die aktuellen Entwicklungen in Israel?“, fragt Moderator Dirk Becker. Der Blick von Diekmann wandert über die pinken, gelben und blauen Post-Its in seinem Buch in die Zuschauerreihen. „Dass Juden sich in Deutschland unsicher fühlen, ist unerträglich.“ Damit spielt er vor allem auf Proteste in Berlin in den vergangenen Tagen an, bei denen es immer wieder zu Ausschreitungen gekommen ist. Er selbst habe eine besondere Beziehung zu Israel; quasi qua Amt als früherer Springer-Redakteur. Denn dort sei die Aussöhnung mit Israel fester Bestandteil der Arbeit. Im Freundeskreis Yad Vashem gebe es niemanden, der nicht in irgendeiner Art vom Krieg und den Terrorangriffen betroffen sei, so Diekmann.

Unterm Strich ist es ein Abend zwischen fast schon comedyhaften Geschichten hinter den Geschichten, die das Publikum zum Lachen bringen – und einem knallharten Realitätscheck.