Menden. Das Herzensthema des Mendeners Prof. Dr. Christoph Beierle ist die Künstliche Intelligenz. Nun wurde er mit einem Forschungspreis ausgezeichnet.
Es gibt wohl nur noch wenige Lebensbereiche, in die Künstliche Intelligenz noch keinen Einzug gehalten hat. Einer, der sich diesem Thema seit Jahrzehnten verschrieben hat, ist Prof. Dr. Christoph Beierle. Der 68-jährige Mendener wurde mit dem Forschungspreis der Fern-Uni Hagen ausgezeichnet.
1973 am HGG Abitur abgelegt
Als Christoph Beierle 1973 am Heilig-Geist-Gymnasium in Menden sein Abitur ablegte, war das Fachgebiet der Informatik noch ein ganz junges. An einen eigenen Computer zu Hause war lange nicht zu denken. Stattdessen gab es IBM-Großrechner, zu denen er als Student im Rechenzentrum der Universität Bonn Zugang hatte. „Wir haben die Programme auf Lochkarten gestanzt und mussten dann einen Tag warten, bis wir das Ergebnis sehen konnten“, erinnert sich Christoph Beierle. Die Entwicklung in den folgenden Jahrzehnten verlief rasant, „und ich fand das Thema schon immer faszinierend“, sagt Christoph Beierle.
Ein Rechner indes „kann nur das machen, was man vorgibt“, erläutert Christoph Beierle. Das Jahr 1956 gelte als Geburtsstunde der Künstlichen Intelligenz. Grundthema sei: „Wie bringt man Maschinen bei, so zu denken wie Menschen?“ Denn Menschen seien in der Lage, Schlussfolgerungen zu ziehen. „Handlungen auszuführen auf der Basis von unsicherem Wissen – das zu modellieren, ist die Herausforderung“, zeigt der Mendener die Problematik auf. Vieles basiere auf Wenn-dann-Regeln, also zum Beispiel „Wenn das Tier ein Vogel ist, dann kann es fliegen“. Das sei aber keine sichere Regel, da es Ausnahmen gibt – bei dem genannten Beispiel etwa Strauße und Kiwis. Gibt es unsichere Faktoren, was etwa bei medizinischen oder technischen Fragestellungen praktisch immer der Fall ist, dann sei die Herausforderung für die Forschung, welche Schlussfolgerungen aus dem Gesamtbild gezogen werden können.
KI bei Entscheidungen
Nicht immer merken Menschen, ob Künstliche Intelligenz bei einer Entscheidung eine Rolle gespielt hat. Als Beispiele nennt Christoph Beierle die Themen Kreditvergabe, Bewerberauswahl, polizeiliche Ermittlungsarbeit oder medizinische Behandlungsempfehlungen. „Wenn das eingesetzte KI-System auf neuronalen Netzen basiert, wie es heute oft der Fall ist, weiß man aber in der Regel nicht, wie und warum die Ergebnisse entstehen“, erläutert Christoph Beierle. „Vielleicht bekommt jemand allein aufgrund seiner ,falschen‘ Adresse keinen Kredit oder schlechtere Konditionen, weil in seiner Straße oder seinem Stadtteil gehäuft Kredite nicht bedient wurden.“ Ein großes Thema sei daher die sogenannte Explainable KI, die ihre Ergebnisse für den Menschen erklärbar und nachvollziehbar macht. „Ganz wichtig ist aber auch, Diskriminierungen und Vorurteile in einem KI-System zu vermeiden.“
Eigentlich ist der Wissenschaftler seit dem Sommer dieses Jahres im Ruhestand, doch ganz loslassen mag er sein Thema nicht. Und so betreut er gerne weiterhin Studierende bei ihren Bachelor- und Masterarbeiten und auch Promotionen.
„Anerkennung für das ganze Team“
Der Forschungspreis der Fern-Uni Hagen, mit dem der Mendener Wissenschaftler Prof. Dr. Christoph Beierle ausgezeichnet wurde, wurde erst zum zweiten Mal vergeben. Im Vorfeld konnten aus allen Fakultäten Vorschläge kommen, wie Christoph Beierle erzählt. Aspekte, die die unabhängige Jury für die Auswahl berücksichtigte, waren Forschungsleistungen, internationale Sichtbarkeit sowie Relevanz.
Bei der Überreichung des Forschungspreises freute sich Christoph Beierle: „Ich fühle mich sehr geehrt. Diesen Preis sehe ich aber auch als Anerkennung für das ganze Team meines Lehrgebiets; das große Engagement meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat ganz wesentlich zu den Forschungsergebnissen beigetragen.“
Christoph Beierle forscht seit knapp 30 Jahren an der Fern-Uni, verabschiedete sich im August dieses Jahres in den Ruhestand und leitete bis dahin das Lehrgebiet Wissensbasierte Systeme. Im Ruhestand forscht er weiter und betreut noch Doktorandinnen und Doktoranden.
Er interessierte sich früh für die künstliche Intelligenz, studierte in Bonn in einem der ersten Informatik-Studiengänge, die es in Deutschland gab, und in Edinburgh (Schottland). Danach promovierte er in Kaiserslautern.
Der Wissenschaftler präsentierte Resultate seiner Arbeit auf vielen Konferenzen, die in der Informatik von großer Bedeutung sind, war auch Herausgeber von Sonderausgaben internationaler Zeitschriften und ist (Co-)Autor oder (Co)-Herausgeber mehrerer Bücher.
Der Forschungspreis ist mit 20.000 Euro für weitere Forschungsaktivitäten dotiert. „Das Geld möchte ich im Kontext des Projekts ,Intentionales Vergessen‘ vor allem für die Internetplattform ,InfOCF-Web‘ verwenden“, erklärte Christoph Beierle. Bei der Online-Plattform geht es um die Formalisierung von Schlussfolgerungen.
Bevor er an die Fern-Uni kam, arbeitete Christoph Beierle mehrere Jahre bei einem amerikanischen IT- und Beratungsunternehmen im Bereich der KI. Während dieser Zeit hat er der Forschung nie den Rücken gekehrt, sondern weiterhin wissenschaftlich publiziert und auch Lehraufträge an Universitäten wahrgenommen. Die Professur Wissensbasierte Systeme an der Fern-Uni habe gut zu seinen Forschungsinteressen gepasst.
Thema intentionales Vergessen – also das absichtliche Vergessen
Ein aktuelles Projekt dreht sich um das Thema intentionales Vergessen – also das absichtliche Vergessen. „Vergessen ist in der Regel negativ konnotiert“, erläutert Christoph Beierle. Gleichwohl gebe es Dinge, die wir selbstverständlich vergessen, weil wir das Wissen nicht mehr benötigen. „Sie wissen sicher, was Sie heute oder gestern gefrühstückt haben“, sagt Christoph Beierle. „Aber vor einem Jahr – das weiß man natürlich nicht mehr. Es sei denn, das Essen war mit einem ganz besonderen Ereignis verknüpft.“ Der Mensch habe also Strategien, das, was nicht relevant ist, zu vergessen. „Wenn wir alles behalten würden, das wäre eine Katastrophe.“
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Ähnlich sei es beim Tunnelblick in Stresssituationen – das, was nicht wichtig ist, wird ausgeblendet. „Das ist auch eine Art von Vergessen. Hier interessieren wir uns dafür, was genau beim Tunnelblick passiert und wie man dies modellieren kann.“
Warum auch Maschinen etwas vergessen sollen
Während für Menschen das Vergessen also zum Leben dazugehört, forscht Christoph Beierle zur Frage, wie auch Maschinen das Vergessen lernen können. Aber warum sollten Maschinen etwas vergessen? Wo läge der Vorteil? „Wenn in einer Organisation zum Beispiel ein Sachbearbeiter einen Wust von Informationen bekommt, dann macht das wenig Sinn und es wäre es geschickter, wenn Künstliche Intelligenz dazu beiträgt, dass nur das relevante Wissen ausgegeben wird“, erläutert Christoph Beierle. „Oder wenn an einem Help-Desk per Mail oder Telefon Anfragen reinkommen, ist es sinnvoll, wenn die Maschine nur das jeweils Relevante präsentiert und das Irrelevante vergisst.“ Die Relevanz könne beispielsweise abgeleitet werden aus Aspekten wie: „Wie oft wird die Information benutzt? Wie relevant war sie? Wie verknüpft ist sie?“
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Auch bei Produktionsabläufen in Unternehmen kann das Thema eine Rolle spielen. Wenn es etwa Änderungen in der Produktion gibt, gehe es darum, „alte Routinen zu überschreiben“. Also die Handgriffe, die Mitarbeiter über lange Zeit verinnerlicht haben, zu vergessen und durch neue Abläufe zu ersetzen.
Interdisziplinäres Forschungsprojekt „Intentionales Vergessen in Organisationen“
Das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Intentionales Vergessen in Organisationen“, an dem neben Informatikern auch Psychologen und Wirtschaftswissenschaftler arbeiten, wird im Rahmen eines Projekts der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert, das bis 2024 läuft. Dass das Thema Künstliche Intelligenz für Christoph Beierle mit dem Ende des aktuellen Forschungsprojekts endet, ist nicht unbedingt naheliegend: „Das lässt mich nicht los“, sagt er schmunzelnd über sein Herzensprojekt. „Und so lange mir das Spaß macht, mache ich gerne weiter.“
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Obwohl das Thema Künstliche Intelligenz Christoph Beierles Steckenpferd ist, gibt es für den Wissenschaftler klare Grenzen: Der Mensch müsse letztlich die Entscheidungen treffen, nicht die Künstliche Intelligenz. In der Medizin beispielsweise könne die Künstliche Intelligenz wertvolle Unterstützung leisten – etwa bei Tumorkonferenzen – doch wie ein Patient tatsächlich behandelt wird, diese Entscheidung müsse von den menschlichen Experten – gemeinsam mit dem Patienten – getroffen werden.