Die wechselvolle Geschichte des Heilig-Gymnasiums vom privaten zum städtischen Gymnasium.
Menden. Die Spiritaner hatten allen Grund, Ende April 1950 ihr Gelübde einzulösen. Während der Nazi- und Kriegsjahre hatten sie geschworen, dem Hl. Josef, dem Patron ihres Klosters, eine Statue zu stiften, wenn er ihr unter Opfern und Mühen errichtetes Kloster am Gelben Morgen und die Stadt Menden vor Zerstörung bewahren würde. Kloster wie Stadt hatten sie in großer Gefahr gesehen.
Finanziell brauchte sich der Orden wegen der Anschaffungskosten keine Sorgen zu machen. Fabrikant Kissing steuerte das Modell für die Statue bei, ein anderer Fabrikant spendete die Bronze für die zwei Meter hohe Figur mit Kind. Zahlreiche Mendener Bürger gaben Geld, damit die Kunstgießerei August Bischoff aus Düsseldorf das Werk vollenden konnte.
Orden löst Gelübde ein: Josef-Statue ein Mahnmal
Hunderte Gläubige waren am 30. April 1950, am Josefstag, zum Kloster gezogen, um die Einweihung mitzuerleben. Pater Paul Alker betonte in seiner Predigt, diese St.-Josefs-Statue sei kein bloßes Denkmal zur Zierde, sondern ein Denkmal für die Erhaltung des Klosters. Es sei bewusst an die Klosterstraße gestellt worden als Mahnmal dafür, dass neben dem materiellen Aufbau aus Schutt und Trümmern der moralische Aufbau stehen müsse.
Schlechte Versorgungslage, Hunger und Kälte. Die Zeiten waren unmittelbar nach Ende des Krieges nicht rosig. Aber das konnte Pater Heinrich Goergen (1904-1983) nicht stoppen. Das Kloster war bis Ende 1945 noch Lazarett, nahm danach 50 heimatlose alte Menschen aus dem Dortmunder Raum auf, eröffnete aber schon am 1. März 1946 einen „Lehrplan der Missionsschule St. Josef in Menden Kreis Iserlohn, Aufbauschule gymnasialer Richtung“.
Geplant war diese von der Besatzungsmacht genehmigte Schule als siebenklassige Anstalt. Mit 27 Schülern fing sie an, am Ende des Schuljahres waren es 50. Die Alters-Zusammensetzung war abenteuerlich. In der Obersekunda saßen Schüler von 16 bis 24 Jahren, in der Obertertia von 14 bis 25. Der Krieg hatte viele Lebensläufe über den Haufen geworfen.
Geburtsdatum HGGist der 9. September 1947
Das Verwirrspiel um das wahre Alter des Heilig-Geist-Gymnasiums beginnt in diesen Jahren unmittelbar nach dem Krieg. Pater Goergen hatte 1946 zu einem ungünstigen Zeitpunkt nicht nur um die Genehmigung für seine Missionsschule ersucht, sondern auch um die Erlaubnis, in Menden ein privates Gymnasium gründen zu dürfen. Knackpunkt: Am 17. Juli 1946 gab die britische Besatzungsmacht bekannt, dass die Provinzen Westfalen und Rheinland zusammengelegt würden zu Nordrhein-Westfalen. Regierungsbildung und Umorganisationen legten den Goergen-Antrag auf Eis. Erst am 9. September 1947 genehmigte der Kultusminister des neuen Landes NRW das „Private Heilig-Geist-Gymnasium altsprachlicher Richtung in Menden“. Und das ist das offizielle Geburtsdatum des privaten wie später städtischen Heilig-Geist-Gymnasiums.
Pater Goergen sah diese neue Schule allerdings fest verankert in der Tradition seines Ordens. Als Geburtstag des HGG nannten die Spiritaner deshalb den 17. Januar 1896, als ihre Missionare vom Heiligen Geist in den Trümmern der Abtei Knechtsteden, dem deutschen Stammsitz des Ordens, mit dem Unterricht für den Ordensnachwuchs begannen. Nach Goergens Zählart konnte das HGG somit 1947 bereits den 51. Geburtstag feiern.
Original-Genehmigungverschütt: Nur Kopie
Goergen war nach dieser eigenwilligen Nummerierungsweise auch nicht der erste Direktor des HGG, sondern bereits der achte, und sein Nachfolger Clemens Brechmann schon der 9. Direktor. Da Goergen als Beginn seiner Direktorenzeit das Jahr 1946 angab und nicht das Jahr der staatlichen Anerkennung der Schule erst ein Jahr später, war die Verwirrung komplett. 1996/97 fand ein Literaturkreis mit seinem Leiter Jürgen Weber in alten Akten des Knechtstedener Archivs den tatsächlichen Geburtstag des HGG heraus (s. Teil I). Nur eine Abschrift der staatlichen Genehmigung. Das Original ist verschütt.
Es war noch die Zeit, in der Schüler beim Übergang zum Gymnasium eine Aufnahmeprüfung ablegen mussten, als auch noch (bis Ende der 1950er Jahre) Schulgeld erhoben wurde. Schon da wurde bei den Schulen taktiert. Das private HGG war mit 200 Reichsmark Schulgeld pro Jahr günstiger als das Real-Gymnasium, das jetzt echte Konkurrenz bekommen hatte und pro Schüler und Jahr 240 Reichsmark forderte, für Auswärtige sogar 300 RM.
Viel oder nicht viel Geld? 200 Reichsmark entsprachen 1947 etwa 40 Zigaretten auf dem Schwarzmarkt. Im Kloster musste 1950 nach der Währungsreform für die Internatschüler zusätzlich zum Schulgeld ein Tagespflegesatz von 1,30 DM entrichtet werden. Das scheint wenig zu sein, doch ein Lehrer am HGG hatte damals auch nur ein Gehalt von rund 400 DM.
Erstes HGG-Abituram Real-Gymnasium bestanden
Um Kosten zu sparen, wurde der Klostergarten intensiv bewirtschaftet. Die älteren Schüler zogen mit dem Bollerwagen sogar in die Umgebung und baten um Kartoffelspenden und andere Lebensmittel für das Kloster.
März 1949. Die ersten beiden HGG-Oberprimaner stellten sich der Abiturprüfung. Weil es nur zwei waren, legten sie diese Prüfung am Real-Gymnasium ab und bestanden. Einer der beiden war der Mendener Theodor Herr, der andere kam aus Köln.
Jubel 1950 über das Ur-Abitur im Gebäude des HGG über die erste Reifeprüfung. Von den sieben Prüflingen bestanden sechs. Unter ihnen kein Mendener, sie alle kamen von weit her.
Bei aller Freude an der Schule blieb ein Problem: Das HGG wollte eine Sexta als Eingangsklasse und den von der Schulbehörde genehmigten altsprachlichen Zweig in der Unterstufe einrichten und scheiterten immer wieder im Rat an der Mehrheit von CDU und Zentrum. Die bevorzugten das Real-Gymnasium, das ab 1952 Walram-Gymnasium hieß. Ihre Diskussionen über dieses Thema verlegten sie stets in den nichtöffentlichen Teil der Sitzung, wie das so oft geschieht, wenn man sich nicht in die Karten blicken lassen will. So war Politik schon damals.
Bis 1957 konnten die Kommunalpolitiker den Ausbau des HGG zum Voll-Gymnasium blockieren, dann kam 1958 die offizielle Genehmigung zum Vollausbau durch das Kultusministerium. Gleich in der ersten Sexta drängten sich 42 Schüler. Die Schule wuchs, das Lehrerkollegium wuchs mit. Darunter Lehrer des Walram-Gymnasiums mit einer Nebentätigkeit. Dazu gehörten auch Dr. Anton Schulte, der spätere Leiter des „Walram“, „Bulle“ Karl Schlüter und Kunsterzieher Wilhelm „Wackel“ Schneider.
Eltern wollten lieber Französisch-Unterricht
Im Schuljahr 1964/65 gab es am HGG erstmals alle neun Jahrgangsstufen von Sexta bis Oberprima mit insgesamt 215 Schülern.
Am 1. April 1965 übernahm der gebürtige Mendener Pater Clemens Brechmann (1915-1980) die Leitung der Schule. Er hatte sein Abitur am „Walram“ gemacht, kannte also beide Systeme.
Der Trend der Zeit setzte sich durch, vielleicht schon der europäische Gedanke. Eltern hatte eine Abkehr vom Fach Altgriechisch gefordert und wollten neben Englisch lieber Unterricht in Französisch für ihre Kinder. Die Schule folgte dem Wunsch. Nach 25 Jahren Schule mit humanistischer Ausrichtung, wurde das HGG 1972 ein neusprachliches Gymnasium. Mit weitreichenden Folgen.
Das HGG entsprach jetzt nicht mehr den Anforderungen der Spiritaner, die eine altsprachliche Unterrichtung ihrer Zöglinge als zukünftige Missionare verlangten. Es gab auch kaum noch Schüler im Internat, der Nachwuchs blieb aus. Das Lehrer-Kollegium wurde immer weltlicher, kam kaum noch aus den Reihen des Ordens. Um es vereinfacht zu sagen: Das HGG lohnte sich für die Spiritaner und ihren Missionsauftrag nicht mehr.
Spiritaner gaben 1977das HGG auf
Der Orden als Schulträger spürte die finanziellen Folgen der reformierten Oberstufe und zog die Konsequenzen. Ende Mai 1976 teilten die Spiritaner der Stadt Menden mit, sie würden das Heilig-Geist-Gymnasium (noch nicht das Kloster) aufgeben. Bis zum 1. Januar 1977 musste ein neuer Schulträger für diese Schule mit 465 Schülern gefunden sein. Ein inzwischen anerkannt bedeutsamer Faktor in der heimischen Schullandschaft. Mit dem Erzbistum Paderborn und den Schulschwestern des WBG winkten zwei mögliche Schulträger ab.
Am 1. August 1977 sprang die Stadt Menden über ihren Schatten, übernahm das HGG aus privater in die städtische Trägerschaft. Für zunächst fünf Jahre mietete sie das Schulgebäude an für 13 000 DM pro Monat (nicht das Kloster).
Stadt kauft 1982das gesamte Kloster-Areal
Die Spiritaner spitzten den Konflikt noch weiter zu. 1979 verkündeten sie, sich ganz aus Menden zurück zu ziehen. Klostergebäude, Schule und 33 000 qm Gelände standen zum Verkauf. Ganze Heerscharen von Investoren und Architekten mühten sich den Berg hinauf zum möglichen „Schnäppchen“. Bauland winkte.
Die CDU hätte es am liebsten gesehen, wenn das HGG zum Auslaufmodell geworden wäre, doch die Anmeldezahlen sagten anderes. Im September 1981 gab sich der Rat einen Ruck und anerkannte ausdrücklich die Notwendigkeit zweier Städtischer Gymnasien. Nach Beendigung der fünfjährigen Mietzeit für das Schulgebäudes HGG beschloss die Stadt, einen Schlussstrich zu ziehen und kaufte Klostergebäude und Klostergelände für insgesamt 5,9 Mio DM.
„Walram“ und HGG:Jetzt sind beide weg
Angesichts ungünstiger Prognosen bzw. Schülerzahlen und vertrauend auf die Aussagen eines Gutachters legte die Stadt am 1. August 2015 im Gebäude des Walram-Gymnasiums „Walram“ und HGG zusammen. Die neue Schule heißt jetzt „Gymnasium an der Hönne“. Das Gebäude platzt aus allen Nähten. Im früheren Kloster büffeln jetzt die Realschüler. Ins Gebäude der Hauptschule am Gelben Morgen zog die Gesamtschule, an der man auch die Reifeprüfung ablegen kann.
Was bleibt, ist die Frage, ob sich für die Spiritaner der Bau ihres Mendener Klosters gelohnt hat: 52 Jahre inklusive zwölf Jahre Nazi- bzw. Kriegszeit.