Menden. Auch bei bedürftigen Seniorinnen und Senioren liegt in Menden etwas unterm Weihnachtsbaum. Spender und Auslieferer machen’s möglich.
Wir sind Weihnachtsengel. Sagt jedenfalls Olaf Jäger, Initiator des Senioren-Wunschbaums. Exakt 507 Geschenke müssen in Menden an diesem nasskalten Donnerstag unter die Leute gebracht werden, und wir liefern sie aus. Doch die eigentlichen Weihnachtsengel haben schon geliefert: die Mendenerinnen und Mendener, die vor Wochen hier im Möbel Outlet Menden an der Fröndenberger Straße in Rekordzeit sämtliche Wunschzettel abgepflückt haben. Und die dann für die ihnen unbekannten bedürftigen Senioren die liebevoll verpackten Pakete zurückbrachten.
Taxifahrer Roland Dittrich ordnet die Geschenke nach Straßenzügen zu
Die stapeln sich jetzt im MOM-Lager, sortiert für die Stadtteil-Touren. Das hatte Roland Dittrich übernommen. Dem Taxifahrer haben sie nur die Straßennamen zugerufen, er ordnete die Pakete dann aus dem Kopf zu: „Das da hin, das da hin...“ Olaf Jäger steht jetzt mittendrin und dröhnt: „Hier ist noch Platte Heide! Wer fährt die Platte Heide?“ Schon wankt der nächste Engel – bepackt bis unters Kinn – raus zum Auto. „Wir beide nehmen Bösperde, okay?“, fragt mich Tina Müller.
Tina am Steuer: Mit einem Ganzjahresengel nach Bösperde unterwegs
Mit ihr fahre ich also kurz darauf los. Wunne, Bredde, Landwehr, das sind unsere Ziele. Unterwegs erzählt jeder ein bisschen was von sich. So erfahre ich: Sie ist Krankenschwester im Vincenz und macht ihren Job immer noch gerne. Trotz allem. Tina ist Ganzjahresengel.
+++ Lesen Sie auch: Fahrzeugmangel: Deutsche Bahn stellt Zugverkehr auf Hönnetalbahn ein +++
Senioren-Ehepaar freut sich auf Kinder und Enkel: Hier ist Weihnachten
Gleich an der ersten Tür haben wir Pech. Keiner da. Vermeintliche Nachbarn, die wir fragen, wohnen gar nicht hier. „Ach was, das liegt ja auf meinem Arbeitsweg“, sagt Tina, „da fahr’ ich morgen noch vorbei.“ Weiter geht’s, diesmal bittet uns ein Ehepaar herein, vom Namen her Aussiedler. Es ist wie früher bei meiner Oma: überall Bilder von den Kindern und den Enkeln, die jetzt auf Besuch kommen wollen. Die Freude darüber steht beiden ins Gesicht geschrieben. Hier ist die Einrichtung einfach, hier hat man sich Shampoo und Creme gewünscht. Aber hier ist – Weihnachten.
Ukrainische Seniorin aus dem zerstörten Mariupol: „Menden is wonderful“
Tina hat das Ganze schon bei der Premiere im letzten Jahr mitgemacht. „Weil meine Senioren kaum Deutsch sprachen, habe ich damals außer einem leisen Danke nicht viel gehört“, schmunzelt sie. „Da war das gerade wirklich schön.“ Und so bleibt es. Als wir in der Wunne in einem der erstaunlich schön hergerichteten Ex-Flüchtlingshäuser klingeln, öffnet uns eine ukrainische Familie: Oma, Tochter, Enkel. Sie stammen aus Mariupol, dieser zerbombten Stadt, in der sich ukrainische Soldaten so lange im Stahlwerk gegen die russische Übermacht verteidigt hatten. Die beiden Frauen wechseln lieber schnell das Thema, sie wollen erkennbar nicht losweinen. Dafür sagt die Oma plötzlich: „Danke an Germany.“ Und: „Menden is wonderful!“
Viele Gebende packen mehr ins Paket als die bescheidenen Zettelwünsche
Das kann ich in diesem Moment wirklich unterschreiben. Denn gewünscht hatte sie sich ein Frotteehandtuch. Doch in dem Paket, das ich die Treppe raufgeschlörrt habe, ist viel mehr drin, oder Frottee ist verdammt schwer geworden. Olaf Jäger erzählt später, dass viele der Gebenden viel mehr einpacken als die bescheidenen Zettelwünsche.
Ausfahrerin: „Ich hätte die besuchte Dame am liebsten mit nach Hause genommen“
Der Wunschbaum
Angelehnt an den seit Jahren erfolgreichen Wunschbaum für Kinder aus wirtschaftlich schwachen Familien rief Olaf Jäger als Initiator im letzten Jahr den „Senioren-Wunschbaum“ ins Leben. Die Stadt Menden versandte daraufhin die Wunschzettel zusammen mit den Grundsicherungsbescheiden. Die Hilfsaktion „Mendener in Not“ sorgte dafür, dass Wünsche auch aus allen Altenheimen kamen – und legte für jede(n) noch einen Gutschein dazu.
Auch unsere Engelskameradinnen und -kameraden schicken jetzt kleine Berichte an den Organisator. Daniel Büttinghaus hat von einer Dame, für die er bis unter Dach steigen musste, eine kleine eingepackte Schokolade bekommen: „Da habe ich die Kalorien gleich wieder drauf“, witzelt er. Petra Mackenbruck schreibt: „Die besuchte Dame hat gezittert und geweint. Ich hätte sie am liebsten mit nach Hause genommen.“ Anna Allhoff-Thielen: „Es war uns eine große Freude, die vielen liebevoll verpackten Geschenke mit auszuliefern. Das ist Nächstenliebe. Menden hat einen großartigen Zusammenhalt.“
Und ich habe heute gelernt: Manche sind Engel, ohne es zu ahnen.