Menden. Nach einer schriftlichen Entgleisung in sozialen Netzwerken streiten sich zwei Ratsmitglieder nicht politisch, sondern vor dem Amtsgericht.
Normalerweise sitzen sich SPD-Fraktionschef Sebastian Meisterjahn und der AfD-Fraktionsvorsitzende Rainer Schwanebeck im Ratssaal direkt gegenüber. Am Mittwochmorgen verlagert sich das Aufeinandertreffen jedoch ins Amtsgericht Menden, nachdem Schwanebeck den Sozialdemokraten in sozialen Netzwerken als „Brunnenvergifter“ betitelt hatte.
Mehrere Bedeutungen
Rückblende: Im Juni 2021 spricht sich die SPD im Märkischen Kreis mehrheitlich für die Hemeranerin Inge Blask als Landtagskandidatin für die Wahl im Mai ‘22 aus. Ihr Mendener Gegenkandidat Sebastian Meisterjahn hat das Nachsehen. Unter einem Beitrag der WP zu dieser Entscheidung kommentiert der AfD-Fraktionsvorsitzende Rainer Schwanebeck: „Herzlichen Glückwunsch Frau Blask, Sie haben einen der schlimmsten Brunnenvergifter verhindert.“ Was folgt, ist ein Aufschrei im politischen Menden – und eine Strafanzeige Meisterjahns.
Denn als Brunnenvergifter wurden über Jahrhunderte jüdische Bürger diffamiert – mit oft schrecklichen Folgen für die Beschuldigten. Mendener Ratsfraktionen fordern von Schwanebeck wegen der antisemitischen Konnotation eine öffentliche Entschuldigung. Auch die Spitze der Stadtverwaltung schaltete sich ein, ein Vorgehen, das in der Kommunalpolitik eher unüblich ist.
Dass sich die Ratsherren im Netz und vor Gericht und nicht im Stadtparlament streiten, ist für Amtsrichter Sauer äußerst verwunderlich – er liest den Politikern die Leviten: „Ich habe Besseres zu tun, als ständig bei Facebook nachzuschauen. Es wäre schön, wenn Sie das auch täten und sich für die Stadt einsetzen, statt sich vor Gericht zu bekriegen.“ Eine außergerichtliche Einigung mit Blick auf die Unterlassungsklage war im Vorfeld nicht zustande gekommen.
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Vor dem Amtsgericht muss laut Sauer nun die Meinungsfreiheit auf beiden Seiten abgewogen werden. Und er macht klar: Der Begriff „Brunnenvergifter“ sei nicht zwangsläufig mit der Verfolgung der Juden behaftet. Vielmehr gebe es mehrere Begriffserklärungen, die sich in einschlägiger Literatur finden lassen. Zum einen im eigentlichen Wortsinn, etwa mit Blick auf kriegerische Auseinandersetzungen, um die Trinkwasserbrunnen des Feindes zu vergiften; oder aber als gehässige Verunglimpfung; und das nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Verfolgung der Juden während der NS-Zeit.
Richter versucht zu vermitteln
Noch dazu sei die Bezeichnung im politischen Diskurs keinesfalls neu. So habe bereits Reichskanzler Otto von Bismarck politische Gegner als „Brunnenvergifter“ tituliert. „Der Begriff ist in der politischen Auseinandersetzung nicht unüblich“, erklärt der Richter. Vielmehr sei es eine Frage, ob in politischen Diskussionen solche „kräftigen Worte“ überhaupt unzulässig seien und ob selbst ehrenamtliche Kommunalpolitiker sich dies nicht eigentlich gefallen lassen müssten. Präzedenzfälle gibt es dazu aber bislang nicht.
„Im Interesse der Politik, der Stadt und der Bürgerinnen und Bürger bitte ich Sie, einem Vergleich zuzustimmen“, betont Amtsrichter Sauer. Mit einer Entschuldigung sollte die Sache schlussendlich erledigt sein. „Herr Schwanebeck hat unserer Meinung nach keine Einsicht gezeigt“, sagt Rechtsanwältin Jana Steinschulte. Erst auf öffentlichen Druck hin seien Entschuldigungsschreiben samt Stellungnahmen der Mendener AfD verschickt worden.
Doch die Fronten scheinen zumindest verhärtet. „Mich als Antisemit darzustellen, hat mich tief verletzt. Ich erwarte eine Entschuldigung“, erklärt Rainer Schwanebeck schließlich seinerseits. Seit Jahren engagiere er sich im Verein „Christen an der Seite Israels“. Nach einer Unterbrechung findet die Verhandlung jedoch nach gut 45 Minuten ein Ende, mit einer Entschuldigung Schwanebecks. Nicht aber ohne einen Appell des Richters: „Ich hoffe, dass die Sache damit erledigt ist, im Interesse der Stadt.“