Menden. Ali Claudi steht seit über 50 Jahren auf der Bühne. Im Corona-Lockdown hat der berühmte Mendener Jazz-Musiker nun neue Töne angeschlagen.

Vor 60 Jahren ein Drama ohne Noten. Aus Liebe zum Jazz mit dem Vater überworfen: Ali Claudi riskierte alles und wurde enterbt. Wenn der Vater den Titel der noch frischen Doppel-CD heute würde lesen können, würde er ganz bestimmt heftig nicken: „Spiel ja nicht so laut“. Aber wenn er dann in das dem langen Corona-Lockdown geschuldete und erst wenige Tage alte autobiografische Hörbuch seines Sohnes würde hineinhören können, würde er vielleicht doch schmunzeln.

Ein steiniger Weg

Ali Claudi und sein Vater scheinen ähnlich harte Sturschädel gewesen zu sein. Alis Weg in die Spitze der Jazzer und sein Werdegang zur Gitarren-Legende waren – gelinde ausgedrückt – nicht einfach. In einem Interview sagte er mal: „Wenn Du unter einem Diktator wie meinem Vater aufgewachsen bist, kriegst Du als Erstes gesagt, dass du etwas Richtiges lernen musst. Im Sauerland, auch in Menden, konntest du den Eltern nicht erklären, dass du Musiker werden willst – nicht 1958.“

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Der Vater war Chef der AEG in Menden und Ratsmitglied und verbot dem Sohn, auf einer Bühne Musik zu machen. Ali, 1942 geboren, tat es trotzdem. Der Vater wollte, dass sein Sohn einen vernünftigen Beruf ergriff, glaubte nicht, dass Musik, der Jazz seinen Sohn ernähren könnte. Tat sie aber doch. Um Vater zu ärgern, schickt Sohn Ali ihm später alle zwei Jahre kommentarlos eine neu eingespielte Langspielplatte zu. Stiller Triumph eines Musikers, der schon zu Lebzeiten zur Gitarren-Legende aufstieg.

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Ali Claudi machte sein Abitur am Walram-Gymnasium und haute ab. Das Zerwürfnis zu seinem Vater war so groß, dass der Vater den Sohn enterbte, sie beide nicht mehr miteinander sprachen, der Sohn nicht zur Beerdigung des Vaters ging. Mit hineingespielt hat, dass der Vater auch Alis Freundin Annette ablehnte. Als Ali 21 Jahre alt wurde und seine Volljährigkeit im Haus an der Dechant-Röper-Straße feiern wollte, befand der Vater kategorisch: „Deine Freundin kommt nicht mit.“ Die beiden haben dennoch später geheiratet.

Alis Drama mit dem Vater war lange Zeit Gesprächsstoff in Menden.

In 60 Jahren auf 6000 Konzerten

Ali Claudi ist bis heute ein bekannter Jazz-Gitarrist, gehört zu den Pionieren des Instruments in Deutschland. In den vergangenen sechzig Jahren kam er auf mehr als 6000 Konzerte und viele eigene Alben, fast 30 Langspielplatten und CDs. Bekannt ist er außerdem als Gitarrenflüsterer und -verbesserer.

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Ali Claudi erzählt auf der neuen Doppel-CD lustige, seltsame, schräge und überraschende Geschichten aus einem langen Gitarristenleben. Mit dabei sind auch viele Tipps und Ratschläge für Gitarristen. Was so ein langer Lockdown in Corona-Zeiten, dieser „Kulturabsturz“ wie Ali es nennt, mit einem Musiker macht, verriet Ali Claudi am Telefon: Viele Open-Air Konzerte gespielt, CDs aufgenommen, einen Film gemacht und eben dieses autobiografische Hörbuch gesprochen, am Stück und ohne Moderator. Dauer der Doppel-CD 130 Minuten.

Nachdem er sich lange dagegen gewehrt hatte, eine Autobiografie zu schreiben, ließ er sich sofort von der Idee überzeugen, ein Hörbuch aufzunehmen – kein geschriebenes und vorgelesenes, sondern ein spontan erzähltes. So ist neben den Geschichten selbst auch der unterhaltsame Erzähler Ali Claudi zu hören.

Die Jazz-Prüfung

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Zu Alis Walram-Zeit gab es am Gymnasium die Walram-Rhythmiker mit einer Besetzung von zehn bis elf Mann. Ali Claudi verkleinerte die Band und machte draus die „Neuen Walram-Rhythmiker“ (NRW) und spielte Jazz. Proben ab 1959 im Jazzkeller an der Turmstraße bei Lehmkühler (heute Neues Rathaus). Der Werdegang dieses großartigen Musikers ist anno 2017 in Band 4 der „Mendener Geschichten – So war es früher“ festgehalten. Dazu gehört auch das Jazz-Abitur. Doch ob eine mündliche Prüfung im Abitur heute auch noch so geht wie vor mehr als 60 Jahren? Musik als Prüfungsfach. Das an sich war damals schon wundersam und am Walram-Gymnasium eher selten gewesen. Da musste man wohl Musik als Wahlfach belegt haben, bevor die Prüfer sich mal in die verwirrende Welt der Noten begaben. Beim Walram-Abitur mit einer Jazz-Prüfung für Ali Claudi war die Überraschung riesengroß, als ihm eröffnet wurde, dass nach der Deutsch-Prüfung nun in Musik seine letzte Prüfung im Abitur erfolge.

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Was er bis dahin nicht wusste, war, dass sein aufgeschlossener Musiklehrer Herbert Höpfner heimlich seine Mutter angerufen und gebeten hatte, Alis sieben Jahre jüngere Schwester Yvette mit dessen Gitarre zum Walram-Gymnasium zu schicken. Wie üblich wurde er mit seiner Prüfungsaufgabe zur Vorbereitung in einen Raum geschlossen. Diesmal mit seiner geliebten Gitarre. Er erhielt die Aufgabe, eine bestimmte Melodie zu improvisieren und vor versammelter Lehrer-Mannschaft zu spielen und darüber zu sprechen. Einzige Erleichterung: Der die Abi-Prüfungen beaufsichtigende Schulrat aus Münster war Mathematiker und damit nicht unbedingt ein Kenner der Materie.

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Ali erzählte später lachend, er habe eine Stunde gespielt und ohne Punkt und Komma über die Geschichte des Jazz gequasselt und natürlich die Prüfung bestanden. Kein Wunder, denn da befand er sich bereits auf dem steilen Karriere-Weg als Jazz-Solo-Gitarrist. Nach dem Abi studierte Ali Claudi Volkswirtschaft in Köln, ging für 32 Jahre erst zu Thyssen, dann zu Mannesmann, wurde unter anderem Redenschreiber für den Vorstand. „Ich habe mir ausgesucht, nicht befördert zu werden. Ich wollte frei sein für meine Musik.“. Der Vorstand hats geschluckt.

Erstes Geld verdient

Alis Jazz-Karriere lief an. In Köln im Gürzenich, wo die Studenten Jazz machten, wo Edelhagen spielte. Ali hat in einem Interview im „Jazz-Podium“ 2009 klar gemacht, worum es ihm geht, wenn er Musik macht: „Rockig muss sie sein, eine Mischung aus Swing, Blues und Rhythm`n Blues. Ich halte nix von modernen Spielereien. Ich habe immer gesagt: Wir spielen fürs Publikum, nicht für die Musiker. Ich bin fürs Publikum da. Das muss tierisch abgehen.“ Und Applaus will er haben und keine verständnislosen Gesichter.

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Aber wie gings los mit ihm und seiner Musik? Mit 19 begann er als einer der Pioniere der Sologitarre in Deutschland. Er trat mit unterschiedlichsten Formationen auf. Spielte bei zahlreichen Jazz-Festivals in Berlin, Köln, Düsseldorf, Bingen, im benachbarten Ausland wie Holland und Frankreich und natürlich in Balve, in der Höhle. Das erste Geld verdienten Ali und Band schon vor dem Abitur. 15 DM am Abend und für alle ein Bier. Das war 1959/60 in der Milchbar von Flemming an der Unnaer Straße. „Wir haben an Terminen angenommen, was wir kriegen konnten. Manchmal haben wir bis zu 1000 DM am Abend eingenommen.“ Erzählt hat er davon zu Hause nichts mehr.

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Vergessen hat Ali Claudi sein Menden allerdings nicht, auch wenn ihm das Elternhaus „weggebrochen“ ist. Rund 25 Mal ist er bisher in der Hönnestadt aufgetreten. Darunter der Auftritt beim „Mendener Sommer“ in einem Güterwagen als Bühne auf dem Bundesbahngelände, oder im „Dicken Baum“.

Schöner als die Informationen, die ihn von dritter Seite beschreiben, kann man es kaum formulieren: „Archtop-Flüsterer, Deutsche Gitarrenlegende, war als Solist mit vielen internationalen Jazzgrößen auf Konzerten zu hören wie Bill Coleman, Joe Turner, Booker Erwin, den Edelhagen All Stars oder Gene Williams.“ Gerühmt wird sein ehrlicher zupackender Sound: „Er beherrscht virtuos sein Instrument“. Kenner sprechen von erdig klarer Elektrogitarre ohne elektronische Spielereien.

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