Viele legendäre Geschichten ranken sich um das Café und die Milchbar Flemming.

Menden. Auch so kann eine Karriere beginnen: Die spätere Jazz-Legende Ali Claudi und Band vom Walram-Gymnasium spielten 1959 Jazz in der Milchbar Flemming an der Unnaer Straße. Gerd Flemming mochte Jazz. Für die jungen Musiker gab es 1959 als Gage 15 DM und für jeden ein Bier.

Marianne und Gerhard Flemming.
Marianne und Gerhard Flemming. © privat

Zahlreiche Geschichten ranken sich um diesen „Jugendtreff“, der 34 Jahre Schüler-Generationen aufgenommen hat. Und wer sie mir erzählte, dachte mit Freude an jene Zeit zurück. Es war die Zeit, als es in Menden gleich gegenüber noch die Geschäfte Küster und Hill gab. Nach.Geschäftsschluss strömten die Verkäufer und Verkäuferinnen in die Eis- und Milchbar oder holten sich am Fenster neben der Tür zur Stärkung ein Eis- oder Sahnehörnchen. Das galt auch für die Schüler an der Bushaltestelle, die nicht selten den Bus sausen ließen und sich lieber in die Milchbar setzten und sich über Erdbeeren mit Sahne hermachten: Flemmings Sahne galt als die Beste in der Stadt.

Mit 15 heimlich unterdem Tisch geraucht

Evelyn Hoberg (Jahrgang 1957) schmunzelt heute noch: „Marianne Flemming schaute zwar immer, als wenn man sie störte, wenn ich mir mit meiner Oma Karoline Weigel ein Sahnehörnchen holte.“ Das hat die damals 15-jährige aber nicht gestört, später, nach dem Besuch im städtischen Jugendzentrum mit gleichaltrigen Freundinnen auch noch in die Milchbar zu gehen und Bananen-Milch zu trinken. Sie kannten Marianne und wussten, dass sie das gar nicht so meinte. So riskierten sie sogar, mit 15 heimlich in der letzten Reihe unterm Tisch eine paar Züge an der Zigarette zu machen, was Sohn Lothar Flemming sich im Nachhinein mit einem Schmunzeln gar nicht vorstellen kann, weil seiner Mutter so etwas doch wohl kaum entgangen wäre. Aber es scheint doch so gewesen zu sein, denn überall können auch wachsame Augen nicht sein.

Auch das gab es abends in der Milchbar Flemming: Party der etwas älteren Jugend anno 1965. Und da gab es dann auch hochprozentige Getränke, nicht nur Erdbeer-Shakes.
Auch das gab es abends in der Milchbar Flemming: Party der etwas älteren Jugend anno 1965. Und da gab es dann auch hochprozentige Getränke, nicht nur Erdbeer-Shakes.

Frau Marianne, die wie ihr Mann Gerd die Jugendlichen mit ihrem Vornamen ansprach, führte insgesamt ein strenges Regiment, nicht nur was das Händchenhalten und Umärmeln und Küssen anging („soll ich Euch noch einen Arm leihen?“). Jugendschutz wurde eingehalten. Aber niemand war ihr böse deswegen.

Schokolade als Lockeauf die Sahne gelegt

Ulla Post geb. Knüttel (Jahrgang 1949) erzählte mir, dass sie als Jugendliche sehr oft in der Milchbar war, erinnert sich genau an die Nierentische, an die Hütchenlampen an den Wänden und an „die strenge Frau Flemming“. Als Ulla mit ihrem Freund und späteren Ehemann Helmut Post am Tisch saß, entdeckte Marianne ein Loch in seinem Pullover und schickte ihn nach Hause. „Das dulde ich nicht,“ sagte sie in Hinblick auf ordentliches Aussehen. Helmut blieb nichts andere übrig, als sich zu Haus umzuziehen. Dazu muss man wissen, dass der spätere Bauunternehmer Post aus einer Familie mit acht Kindern stammt.

Spuren hat die Heimschickung weder bei Helmut noch bei Ulla hinterlassen. Ulla Post schwärmte: „Flemmings hatten echt das leckerste Eis von Menden und die besten Milch-Shakes, sogar mit echten Erdbeeren. Als ich schon in Bösperde wohnte und schwanger war, bin ich nach Menden zu Flemmings gefahren, um einen Schwarzwald-Becher zu essen. Dazu raspelte Gerd Schokolade und legte sie als Löckchen auf die Sahne.“

Trocken Brotmit Sahne und Senf

Für Scherze waren beide Flemmings auch zu haben. Ich hatte als junger Dachs mit ihnen gewettet, dass ich auch trocken Brot mit Sahne und Senf essen würde. Sie brachten mir eine „Mahlzeit“ mit dem Hinweis, ich brauchte sie nicht zu bezahlen, wenn ich sie essen würde. Habe ich getan, schmeckte gar nicht übel.

In den ersten beiden Wintern 1957und 1958 hatten die Flemmings ihre Milchbar wohl geschlossen: Jedenfalls erinnert sich Magdalena Terbeck geb. Hillebrand daran, dass Gerd Flemming bei ihnen vor Weihnachten in der Backstube ausgeholfen habe. Das Café Hillebrand, der „Vatikan“ (s: „Mendener Geschichten“ Band 2), öffnete erst 1960 an der Unnaer Straße. Später nahmen Flemmings das Weihnachtsgeschäft selbst wahr und machten erst im Januar Urlaub, und der wurde eher für die Renovierung der Milchbar genutzt.

Beste Erinnerungen an Flemmings hat auch Josef Schulze Bertelsbeck (Jahrgang 1925), der sich mit seinem Feinkost-Geschäft in unmittelbarer Nachbarschaft niedergelassen hatte. „Die Flemmings sind über unserem Geschäft in unsere frühere Wohnung gezogen und haben dort 30 Jahre gewohnt. Wir hatten nie Probleme,“ zollte er ihnen höchstes Lob.

Kirsch mit Whiskyoder Escorial grün

Marianne und Gerd Fleming waren sehr sozial eingestellt, Nicht nur, dass sie sich schwer taten, im Laufe der vielen Jahre den Preis einer Kugel Eis von zehn Pfennig anzuheben, sie spendeten auch für kirchliche Feste und halfen, wo sie nur konnten. Ihr soziales Engagement ist bis heute unvergessen.

Auch die glorreichen Zeiten der Milch gingen vorbei. Sie dauerten zehn Jahre, dann wurden überwiegend andere Getränke verlangt. Lothar Flemming und seine Frau Beate von der Heiden platzten lachend fast gleichzeitig heraus: „Kirsch mit Whisky für 50 Pfennig und Escorial grün für 1 DM.“ Das müssen wohl die Renner gewesen sein. Das habe ich nicht mehr mitbekommen.

Die Getränkekarte mit Hochprozentigem weist aber auch auf große Vielfalt hin bis zum Grog mit Rum oder Batavia Arrak . Sie war auf Schreibmaschine getippt. Was noch angeboten wurde? Martini, Campari, Gin, Cherry-Brandy, Schwedenpunsch, Weinbrand, Jägermeister, Bärenfang und, und, und.

Junge Gäste wurdenspäter hoch berühmt

Viele der jungen Gäste haben später im Leben Karriere gemacht. Einer von ihnen ist der Künstler und Bildhauer Prof. Heinrich Brummack (Jahrgang 1936). Er kam 1950 als 14-Jähriger mit seiner Familie als Flüchtling aus dem Landkreis Weststernberg im heutigen Polen nach Menden und wohnte zusammengepfercht auf zwei Zimmern in der Wasserstraße. Sechs Jahre lang machte er eine Ausbildung als Ziseleur in Iserlohn und fuhr jeden Tag mit dem Bus in die Nachbarstadt. Ich erreichte ihn am Telefon in seinem Wohnort in Schwäbisch Hall. Er erinnert sich noch an die Milchbar als einen Ort mit dem hübschen Design, an dem man sich wohl fühlen konnte.

Ab 1956 studierte er an der Hochschule für Bildende Kunst in Berlin und an der Akademie in Paris. 1966 erhielt er den Villa-Massimo-Preis von Rom, 1969 den Villa-Romana-Preis von Florenz. Er nahm an der „documenta 8“ in Kassel teil und lehrt seit 1982 an der Fachhochschule Münster im Fachbereich Design. Seine Werke sind überall in Deutschland zu sehen, darunter auch der „Angelnde Hase“ in Osnabrück.

Meistertrainer Schlundterlaubte Erdbeer-Shakes

Mein verstorbener Kollege Werner Prünte hat am Ende der „34 Jahre Schulgeschichte“ mit den Flemmings eigene Erinnerungen in seinen Abschiedsbericht einfließen lassen:

„Bei Flemmings an der Unnaer Straße trank z.B. der Walram-Schüler Gert Schulte-Hillen (Jahrgang 1940) Ende der 50er Jahre immer wieder sein Gläschen Vollmilch für 20 Pfennig. Stärkung für den jungen Mann, der später Vorstands-Vorsitzender von Gruner & Jahr in Hamburg werden sollte.

Selbst die Sportler des Meister-Trainers Heinz Schlundt (s. „Mendener Geschichten“ Band 2) schlürften in der Milchbar ihre Erdbeermilch, damals noch für vier Groschen.

11000 Arbeitstage haben die Flemmings neben ihrer Eismaschine verbracht,“ schrieb Pünte weiter. „Ihre Bar war die einzige ihrer Art in Menden, die das ganze Jahr über geöffnet hatte.“ Ironisch zog er einen Vergleich: „Die Konkurrenz der Eis-Gewaltigen aus Italien hielt es da lieber mit den Zugvögeln und bezog nur sommertags in Menden Quartier.“

Nach zehn Jahren wurdeMilch vom Bier abgelöst

Gerd und Marianne haben erzählt, dass Milch nur zehn Jahre lang der große Hit als Nachkriegsgetränk war und Hochkonjunktur hatte. Dann kam der Spruch auf „Durst wird durch Bier erst schön“. Die Milchbar hat das am Milchverkauf gespürt und musste sich um- und darauf einstellen

In den 60er Jahren kam die Eiswelle. Die kleinste Eisration kostete damals zehn Pfennig. Da hat sich so mancher Pennäler für 20 Pfennig den ganzen Nachmittag in der Eis- und Milchbar die Zeit vertrieben.

Mendens charmantesterLauschepper ein Wiener

Gerd Flemming erinnerte sich auch gern an seinen Stammkunden Wolf N., einen gebürtigen Wiener. Ich kannte ihn gut, er war mein Banknachbar in meiner Klasse am „Walram“ und ein umgänglicher Mensch. Er galt aber auch als charmantester Lauschepper Mendens. Ich habe ihn anders kennen gelernt, habe in den Ferien mit ihm zusammen als Handlanger beim Bauunternehmen Christians den Wasser-Hochbehälter in Oesbern mit gebaut. Meine Frau weiß schon gar nicht mehr, wie oft ich ihr das voller Stolz schon erzählt habe. Der Wiener Wolf hatte zwar nie Geld, aber vor ihm auf dem Tisch bei Flemmings stand immer ein Getränk.

1956 bis 1990 Milchbar Flemming. Für Gerd und Marianne zum Schluss wehmütige Erinnerungen. Für viele Gäste auch. Bis heute.