Arnsberg/Menden. Ein 19-Jähriger verletzt auf der Mendener Pfingstkirmes einen Jungen mit einem Messer. Der Angeklagte hat eine multiple Persönlichkeitsstörung.

Pfingstkirmes in Menden. 2.40 Uhr. Auf dem Südwall treffen zwei Gruppen aufeinander. Eigentlich friedlich. Ein 19-jähriger Mendener wird plötzlich aggressiv und beschimpft die anderen. Er hat Gras geraucht und Alkohol getrunken. Den ganzen Tag über ist er schon angespannt und auf Ärger aus, werden Zeugen später sagen. Sein Cousin kennt einen Mann aus der anderen Gruppe, begrüßt ihn. Währenddessen hört der 19-Jährige nicht auf zu provozieren, zeigt Gesten am Hals und pöbelt.

Ein Kumpel hält ihn zurück, doch der junge Mann reißt sich los und droht seinem Gegenüber mit einem Messer. Eins mit langer Klinge wirft er weg, mit einem zweiten Messer geht er auf einen 17-Jährigen los. Er schneidet in dessen Hals, sticht mehrfach in Brust und Bauch. Die Halsschlagader des Opfers verfehlt der Mendener nur knapp.

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Nun musste sich der junge Mann, der seit dem Vorfall in Untersuchungshaft war, vor dem Landgericht Arnsberg verantworten.

Das Urteil

Die Jugendkammer entscheidet: Der Mendener soll in ein psychiatrisches Krankenhaus in Lippstadt eingewiesen werden. Nach einem Platz habe man sich bereits erkundigt. Der Haftbefehl wird aufgehoben. „Der Angeklagte ist der gefährlichen Körperverletzung schuldig“, sagt Richter Markus Jäger. Eine zusätzliche Jugendstrafe mache keinen Sinn. Er sieht die mehrjährige Unterbringung als Chance für den Angeklagten, etwas aus seinem Leben zu machen.

Rechts-Wiki: Unterbringung nach § 63 oder § 64

Paragraf 64 des Strafgesetzbuches regelt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt Die Anordnung soll nur ergehen, wenn eine konkrete Aussicht darauf besteht, dass die betroffene Person durch die Behandlung in der Anstalt innerhalb einer Frist zu heilen ist oder eine „erhebliche Zeit“ vor dem Rückfall geschützt werden kann.

Paragraf 63 sieht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vor.

Im Maßregelvollzug in einer Klinik für Forensische Psychiatrie werden unter bestimmten Umständen psychisch kranke oder suchtkranke Straftäter entsprechend den Maßregeln der Besserung und Sicherung untergebracht.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat begangen und war zu dem Zeitpunkt schuldunfähig oder vermindert schuldfähig (wie der Angeklagte), ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Voraussetzung dafür ist, dass „die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist“, heißt es im Strafgesetzbuch.

„Das ist kein Pappenstiel. Es gibt weder eine Höchst- noch eine Mindestdauer. Es hängt ganz von Ihnen ab, wie gut sie mitarbeiten und wie sich Ihr Zustand entwickelt“, sagt Markus Jäger in Richtung des Angeklagten. Ein Gutachter hatte etwa fünf Jahre vorgeschlagen. Der Angeklagte hatte auf sein letztes Wort verzichtet, ergreift dann aber doch das Wort: „Kann man das nicht in sechs, sieben oder acht Jahre Haft umwandeln? Sie verbauen mir doch die Zukunft!“ Die Antwort: Nein.

Der Staatsanwalt

„Das war Glück“, sagte Staatsanwalt Thomas Schmelzer zuvor in seinem Plädoyer. Die Verletzungen des Opfers hätten weitaus schlimmer sein können. Sowohl versuchter Totschlag – wie angeklagt – als auch eine gefährliche Körperverletzung könnten angenommen werden. Für beide Tatbestände gebe es Argumente und Gegenargumente. Doch im Zweifel müsse für den Angeklagten entschieden werden: Der Staatsanwalt tendiert zur gefährlichen Körperverletzung. Aufgrund einer multiplen Persönlichkeitsstörung, seines Alkohol- und Drogenproblems sei der 19-Jährige vermindert schuldfähig. Der Jurist will dem jungen Mann nicht die Zukunft verbauen. Und das obwohl der Mendener während der drei Verhandlungstage kaum Interesse gezeigt habe, als „fünf Volljuristen, ein Gutachter und zwei Ehrenamtler versucht haben, mit Hängen und Würgen eine Perspektive für den Angeklagten zu finden“.

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Schmelzer fordert zwei Jahre und zehn Monate zur Vollstreckung sowie die Unterbringung in einer Entzugsklinik nach Paragraf 64. Sollte das nicht wie gewünscht funktionieren, müsse der junge Mann nach Paragraf 63 in die Forensik gebracht werden. Das wiederum hätte in seinen Augen „etwas Endgültiges“ und sollte nur Mittel zweiter Wahl sein.

Der Verteidiger

Der Verteidiger des Angeklagten ist mit dem Staatsanwalt auf einer Wellenlänge. Von Paragraf 63 will er allerdings absehen. „Aber um eine schädliche Neigung des Angeklagten komme ich nicht herum“, sagt er. Es spreche eine Menge gegen den versuchten Totschlag.

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Der Angeklagte

Vor der Tat soll der Angeklagte bereits zweimal in Auseinandersetzungen verwickelt gewesen sein. Die Zeugenaussagen seien glaubwürdig und stimmig gewesen, sagt Richter Markus Jäger und gibt Einblick in das Leben des 19-Jährigen. „Die Familiengeschichte ist schwierig. Die Familie lebte bereits von Sozialleistungen. Es gab Auseinandersetzungen und Gewalterfahrung. Es gab auch eine langjährige Begleitung durch das Jugendamt.“

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Der Angeklagte sei schon in der Grundschule durch sein aggressives Verhalten aufgefallen, habe Förderschulen besucht und nie einen Abschluss gemacht. Sieben Halbgeschwister, sieben Vorstrafen, Konsum von Cannabis, Amphetamin, Kokain und Alkohol. Die Problemliste sei lang. 2018 hat er im Vollzug verbracht. Bereits vor einigen Jahren sei eine Störung der Persönlichkeit festgestellt und eine Unterbringung angeordnet worden. Auf die Umsetzung sei doch verzichtet worden. „Schade.“

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Angeklagte hat die Möglichkeit in Revision zu gehen.

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