Attendorn/Altena. Ein 19-jähriger Mann aus Werdohl wurde nach einer Messerstecherei im April 2023 am Attendorner Bahnhof jetzt verurteilt. So geht es dem Opfer.
Die Frage nach dem Warum stellte Richter Dirk Reckschmidt am Donnerstag mehrfach. Warum stach ein heute 19-Jähriger aus Werdohl im April vergangenen Jahres mit einem Einhandmesser auf einen heute 18-Jährigen am Attendorner Bahnhof ein? Warum trug er überhaupt das gefährliche Werkzeug mit sich? Eskalierte an jenem Sonntagabend im April 2023 ein schon länger brodelnder Streit zwischen Jugendlichen? „So recht hat es sich für mich bis heute nicht erschlossen“, konstatierte Reckschmidt, nachdem er vor dem Jugendschöffengericht in Altena den Hauptangeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt hatte – allerdings nach Jugendstrafrecht, weil die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe dem Werdohler „keine Erwachsenenreife“ attestierte. Zudem muss der junge Mann 2000 Euro Schmerzensgeld bezahlen.
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Reckschmidt befand: „Das ging weit über eine Kirmes-Klopperei hinaus.“ An besagtem Wochenende vor ziemlich genau einem Jahr fand, wenn auch bei schlechtem Wetter, der Frühlingsmarkt auf den Straßen der Hansestadt statt. Auf dem Fest waren der Hauptangeklagte, der Reue zeigte und geständig war, das Opfer, das laut eigener Aussage bis heute unter den Folgen der Messerstecherei leidet, und zwei weitere Angeklagte, die zwar keine Messer zückten, dafür aber auf den 18-jährigen Attendorner einschlugen und nun ebenfalls Schmerzensgeld bezahlen müssen. Bei dem Vorfall waren weitere Jugendliche dabei, die sich jedoch im Dunstkreis von Täter und Opfer aufhielten. Zum Teil sogar mit Macheten und japanischen Langschwertern bewaffnet. Doch warum diese Eskalation der Gewalt, die laut Staatsanwalt Lukas Franke „noch viel schlimmere Folgen hätte haben können“? Das Opfer wurde durch die Stiche zwar schwer, nicht aber lebensgefährlich verletzt.
Auseinandersetzung startet auf dem Kik-Parkplatz
Fakt ist: Die Jugendlichen kannten sich. Es habe im Vorfeld Konflikte gegeben, „eine Vorgeschichte“, wie der Hauptangeklagte betonte. Dabei sei es um ein Mädchen gegangen, möglicherweise war Neid im Spiel. „Er war eifersüchtig, weil ich mit seiner Ex-Freundin was hatte“, sagte der Angeklagte. Der Attendorner indes wisse laut eigener Aussage bis heute nicht, wo das Problem lag. „Ich kannte ihn nicht mal.“ Die genauen Hintergründe blieben trotz hartnäckiger Nachfragen von Richter und Staatsanwalt bis zum Schluss nebulös. Unklar blieb auch, ob die Angeklagten, die offenkundig mit einer großen Gruppe in Attendorn unterwegs waren, zufällig auf das Opfer trafen oder gezielt gewartet hatten? Zur Auseinandersetzung kam es jedenfalls auf dem KiK-Parkplatz, als sich die Jugendlichen plötzlich gegenüberstanden.
Es setzte einen ersten Faustschlag ins Gesicht des Attendorners. Der 18-Jährige konnte sich allerdings aus seiner Lage befreien und lief davon in Richtung Bahnhof. Allerdings stolperte er und fiel hin. Das war der Moment, in dem der Jugendliche aus Werdohl das Messer zückt. „Ich habe zugestochen. Ich wollte ihn am Bein treffen, erwischte aber seine Hüfte“, gestand er. Ein zweiter Stich landete unter der Achsel. „Ich habe schwarzgesehen“, gab der Werdohler zu, der Zeit seines Lebens bei Verwandten im Ausland gelebt hat, die Schule abbrach und laut eigener Aussage eine schwierige Beziehung zu seinen Eltern hatte.
Der 18-jährige Mann aus Attendorn, der an jenem Sonntag mit Freunden auf dem Frühlingsmarkt unterwegs war, habe nur einen Kumpel zu dessen Auto bringen wollen, dann ging alles ganz schnell: „Plötzlich standen da 30 Leute. Sie waren mit Samurai-Schwertern bewaffnet. Wir wussten gar nicht, wie uns geschieht.“ Nach dem ersten Faustschlag „bin ich um mein Leben gelaufen.“ Dann fiel er auf den Boden, wenige Augenblicke spürte er, wie sein Bein „nass und warm“ wurde. Der Angeklagte hatte auf ihn eingestochen.
„Ich stand unter Adrenalin und bin auf die Gleise gesprungen, um mich in Sicherheit zu bringen.“ In diesem Moment ließen die Angeklagten, und der Rest der Gruppe, von ihm ab und liefen davon. Das Opfer kam in die Helios-Klinik, die Stiche wurden genäht. Körperlich habe er diesen Vorfall gut verdaut, psychisch allerdings nicht: Er leide bis heute unter einer posttraumatischen Störung. „Ich schlafe schlecht und wenn ich nach draußen gehe, werde ich paranoid.“
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Lukas Franke forderte in seinem Plädoyer sogar eine zweijährige Haftstrafe auf Bewährung für den Jugendlichen aus Werdohl. Denn anders als die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe, die dem jungen Mann „keine schädlichen Neigungen“ attestierte und darauf verwies, dass er kurz vor Beginn einer Ausbildung stehe, sagte der Hagener Staatsanwalt: „Ich sehe negative Neigungen, einen Erziehungsmangel und Aggressionsprobleme.“ Der Hagener Staatsanwalt spielte darauf an, dass der Werdohler vor der Messerstecherei in Attendorn bereits negativ aufgefallen war, als er Widerstand gegen Polizisten leistete. Tatort war in dieser Sache jedoch nicht die Hansestadt. Sie wurde an jenem Abend im April 2023 zum Tatort, als sich die Jugendlichen plötzlich gegenüberstanden, die Fäuste flogen und ein Messer gezuckt wurde. Dieser Abend hätte noch deutlich schlimmer enden können.